piwik no script img

Unruhen in TadschikistanKillerkommando im Pamir

Erst gaben die tadschikischen Clans ihre Waffen ab, dann schickte die Regierung Soldaten. Die Bevölkerung von Badachschan protestiert – mit Erfolg.

Das Pamir-Gebirge ist die Heimat der meisten Ismailiten in Tadschikistan.

CHOROG taz | Die Treue zum Aga Khan wurde dem Bandenchef am frühen Morgen des 22. August zum Verhängnis. Die Täter drangen in das Haus von Imomnasar Imomnasarow mitten im Stadtzentrum ein und töteten ihn mit Granaten und Schüssen. Der Aga Khan, geistiger Führer der Ismailiten, hatte die Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft angewiesen, die Waffen abzugeben, und so starb der Bandenchef ohne Gegenwehr seiner Leibwache.

Der Ermordete war wie die meisten der 200.000 Einwohner der tadschikischen Provinz Berg-Badachschan ein Ismailit, Mitglied einer schiitischen Sekte, der jeder religiöse Fanatismus fremd ist.

Der 48-jährige Imomnasarow war nach einer Verletzung aus dem Bürgerkrieg vor 20 Jahren gelähmt, eine Zuckerkrankheit hatte ihn zusätzlich ans Bett gefesselt. Doch trotz seiner Gebrechen war er ein mächtiger Mann in Badachschan: das Oberhaupt einer von vier Banden, die in der Provinz unweit der afghanischen Grenze die Gebirgszüge und Straßen beherrschen und am illegalen Rubinhandel sowie dem Schmuggel mit Afghanistan beteiligt sind.

Berg-Badachschan

Die autonome Provinz macht 50 Prozent des tadschikischen Staatsgebietes aus. Dennoch leben im Länderdreieck zwischen China, Afghanistan und Pakistan nur 200.000 Menschen.

Die Pamiris, wie sich die Bergler nennen, sind meist Ismailiten, eine schiitische Sekte, die den Aga Khan als Nachfolger des Propheten in der Zeit verehren.

Der Pamir sorgt für unwirtliche Schluchten, die immer eine Versorgung von außen erforderlich machten. Der Landweg geht entweder von Osch über 5.000 Meter hohe Pässe oder den Grenzfluss Pjansch entlang von Duschanbe.

Truppen ziehen ab

Als Reaktion auf die Bluttat sind seit dem 22. August tausende Einwohner auf den Hauptplatz von Chorog geströmt, sie forderten den Abzug der tadschikischen Truppen. Selbst der Geschäftsführer der Aga Khan Foundation in Tadschikistan, Jodgor Faisow, zeigte sich auf der Demonstration. Bis zum vergangenen Freitag hielten die Proteste an, dann sicherte die Regierung den Rückzug der Truppen zu.

Imomnasarows Tod und die darauffolgenden Proteste sind Folge eines Konflikts zwischen der tadschikischen Zentralregierung unter Präsident Rachmon in der Ebene und den Patrons im östlichen Hochgebirge des zentralasiatischen Staates. Ein Konflikt, der bereits einen Monat zuvor zu eskalieren begonnen hatte.

Im Morgengrauen des 24. Juli drangen mehrere tausend Soldaten in die Stadt mit knapp 30.000 Einwohnern ein und lieferten sich bis in den Abend hinein heftige Gefechte mit der Gefolgschaft der vier lokalen Bandenchefs. Nach offiziellen Angaben gab es 50 Tote, darunter 17 Soldaten und einen Zivilisten. Laut Augenzeugen soll die Zahl der Opfer unter den Sicherheitskräften und Soldaten höher gewesen sein. Eine gut informierte Quelle versichert, dass mindestens 60 Soldaten gestorben seien, aber bisher versuche die Staatsmacht ihren Tod vor den Familien zu verheimlichen. Dies sei auch einer der Gründe, warum bis heute die Mobilnetze ausgeschaltet seien.

Die Soldaten haben auch direkt im Garten von Firus Bachtuschamlow gekämpft. Der 43-jährige Pamiri, von Beruf Musiker, filmte hinter einem Vorhang das Geschehen. Sie nahmen Deckung unter dem Aprikosenbaum und feuerten in Richtung Stadt, zwei Soldaten brachen getroffen zusammen.

„Als die Gefechte nachließen, haben wir Tee für die Kinder gemacht. Plötzlich knallte es“, sagte der Pamiri und zupft seinen ergrauten Bart. Die Kugel verletzte seine Frau leicht, und ein Splitter durchschlug die Hüfte der zweijährigen Saidmo. „Wir wollten in Krankenhaus, aber die Gefechte waren zu heftig“, erinnert sich der Vater. Ein Arzt in der Nachbarschaft konnte die Wunde verbinden. Nach einem Monat kann die kleine Saidmo wieder gehen, aber nicht lachen, der Schrecken des Krieges sitzt ihr in den Augen.

Mächtige Banden

Der Militäreinsatz im Juli, der auf Anweisung des tadschikischen Präsidenten Emomali Rachmon erfolgte, sollte bezwecken, die langjährige Macht der vier Bandenchefs am Pamir zu brechen. Wenige Tage zuvor war der Geheimdienstchef der Provinz getötet worden, und die Behörden vermuteten die Mörder in den Reihen der Banden. Die Gelegenheit war günstig, denn zeitgleich befanden sich 1.000 tadschikische Soldaten wegen eines Manövers im Pamir-Gebirge. Doch die martialische Aktion verfehlte ihr Ziel: die Bandenchefs konnten sich auch danach weiterhin ungehindert in Chorog aufhalten.

Auf Anweisung des Aga Khans gaben die Bandenchefs allerdings ihre Waffen ab und stimmten Verhandlungen mit der Staatsmacht zu. „Der Imam hat die Waffenabgabe befohlen, und so folgen wir“, sagte kurz vor seinem Tod Imomnasarow persönlich der taz. Nun scheinen nächtliche Killerkommandos das zu Ende gebracht zu haben, was der Armee nicht gelungen war.

Die Bandenchefs sind ein Relikt des tadschikischen Bürgerkriegs. Nach dem Zerfall der Sowjetunion schlidderte das Land in einen blutigen Machtkampf zwischen den Clans der Kuljab-Ebene und den Hochland-Tadschiken im Garmtal und dem Pamir. Der heutige Präsident Rachmon stammt aus der Talebene. Als die Volksfront der Kuljabis 1993 siegte und die Hauptstadt Duschanbe eroberte, begann eine mörderische Hatz auf die Menschen aus dem Hochland, an die 100.000 sollen dabei grausam getötet worden sein. Wo jemand herkam, welchen Dialekt er sprach, entschied über Leben und Tod.

Die Hochland-Tadschiken und ihre geschlagenen Kampfeinheiten flüchteten ins schwer zugängliche Pamirgebirge, dessen Zufahrtsstraßen lokale Milizen erfolgreich blockierten und die sie gegen die Kuljabi verteidigten. Seither ist es Präsident Emomali Rachmon, seit 1994 an der Macht, nicht gelungen, die östliche Gebirgsprovinz zu kontrollieren. Die früheren Milizenführer konnten ihre Einflusszonen am Pamir sichern.

Hilfe vom Aga Khan

Doch nicht nur die Milizen halfen den Pamiri, sondern auch ihr Glaube half ihnen. Denn während des Bürgerkriegs waren die Zufahrtswege blockiert, die zu Sowjetzeiten aus Moskau erfolgende Versorgung unterblieb. Den Bewohnern im unwirtlichen Gebirge, deren Gletscher bis zu 7.000 Meter in den Himmel ragen, drohte der Hungertod.

Der Aga Khan, ein international erfolgreicher Geschäftsmann mit einer Vorliebe für Pferderennen, setzte die in den 60er Jahren gegründete Aga Khan Foundation zur Notrettung ein. Mithilfe europäischer Staaten und der USA wurden bis zum Frieden im tadschikischen Bürgerkrieg 1997 Lebensmittel und Heizmaterial über 5.000 Meter hohe Pässe vom kirgisischen Osch aus nach Badachschan geschafft.

1995 besuchte der Führer der Ismailiten die Region zum ersten Mal und zeigte sich den Gläubigen bei einer religiösen Veranstaltung. Seither fühlen sich die Pamiris dem Aga Khan, den sie als den 49. Imam verehren, noch mehr verbunden. Es gibt kaum ein Haus, in dem sich nicht sein Foto an einem prominenten Platz findet, obwohl er den Bilderkult untersagt hat.

Nach dem Friedensschluss entwickelte sich die Aga Khan Foundation zu einer einflussreichen Entwicklungsorganisation in Tadschikistan und gehört mit jährlich fast 80 Millionen Euro zu den wichtigsten Investoren in dem bitterarmen Land.

Auch die Autorität der ehemaligen Milizenführer als Bandenchefs blieb nach Friedensschluss unangetastet, auch wenn einige von ihnen Posten in den tadschikischen Streitkräften bekamen.

Das Regime von Präsident Rachmon ist nicht in der Lage, seit dem Abzug der russischen Grenztruppen 2004 die Ufer des engen Grenzflusses zu Afghanistan in Badachschan zu sichern. Da die Milizenführer aus dem Pamir seit dem Bürgerkrieg auch auf afghanischer Seite den Ruf tapferer Kämpfer genießen, die ihre Einflusszone zu schützen wissen, bewahrt ihre Autorität die Provinz bis heute vor Raubzügen afghanischer Räuberbanden.

Aber die Bandenchefs wehrten nicht nur die äußere Bedrohung ab. „Die Richter, die Staatsanwälte und Polizei erpressen von den Menschen Geld, und die haben keins“, sagt mit hoher Fistelstimme wenige Tage vor seinem Tod der auf dem Krankenlager liegende Imomnasarow, „die Menschen kamen deshalb zu uns und haben uns um Hilfe gebeten.“

Gefahr aus Afghanistan

„Ich bin nur ein einfacher Rentner mit einer Behinderung“, sagt der ausgemergelte Mann mit Understatement auf seinem Krankenlager, „sie nennen mich den älteren Bruder.“ Imomnasarow schlürft Tee und schließt die Augen, während junge Männer im Raum ehrfürchtig flüsternd auf weitere Befehle warten.

Die vom Imomnasarow gewährte Hilfe war allerdings handfest. Regelmäßig wurden in den letzten Jahren in der Pamirprovinz tadschikische Beamte verprügelt. Die Banden beherrschen auch alle illegalen und halblegalen Geschäfte am Pamir, sie geben selbst zu, im Zigarettenschmuggel aus Afghanistan und im Rubinschmuggel involviert zu sein.

Aber den vom tadschikischen Staat erhobenen Vorwurf, mit dem Drogenhandel zu tun zu haben, weist Imomnasarow im Gespräch entschieden zurück.

Durch Chorog verläuft tatsächlich eine Drogenroute aus Afghanistan, und das Regime präsentierte wie zum Beweis nach der Militäraktion kiloweise sichergestelltes Heroin und Opium. Aber der Haupttransit der Ware führt durch die westliche Ebene ausgerechnet durch die Provinz Kuljab. Die kriminellen Strukturen seien eng mit der Staatsspitze verbunden, erklärt Deidre Tynan von der europäischen Denkfabrik International Crisis Group.

Die Militäraktion der Regierung hat bei der Bevölkerung von Chorog Angst und Schrecken ausgelöst. Noch immer ist der Zugang zu der schwer erreichbaren Provinz begrenzt, Journalisten wird der Zugang in der Regel verweigert. Ein längerer Konflikt in der Pamirprovinz wäre für Tadschikistan gefährlich, denn auf der afghanischen Seite sind die Taliban schon fast bis zur Grenze vorgerückt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare