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Archiv-Artikel

Neulich in der Türfalle

LEBENSHILFE Aus Versehen ausgesperrt? Kein Geld für den Schlüsseldienst? Mit ein wenig Geschick, Gerüttel und Gestocher klappt’s auch mit dem Türschloss

Das Einbruchinstrument ein paar Zentimeter über dem Türknauf ansetzen und rütteln

VON PHILIPP BRANDSTÄDTER

Der Augenblick, als die Tür ins Schloss fällt, ist ein Moment des Stillstands und der späten Erkenntnis. Das ging zu schnell, stelle ich fest. Dann rauscht die Panik heran. Ich durchsuche die Hosentaschen nach meinem Schlüssel, der natürlich von innen im Türschloss steckt. Der Klassiker.

Samstagabend, kurz vor Ladenschluss noch fix Bier kaufen. Und die Lasagne schon im Ofen. Der Freund am Handy wird harsch zum Kümmern rekrutiert, freundlich sind wir morgen wieder, und bloß nicht den Schlüsseldienst nehmen, der im Telefonbuch unter „A.A.A. Absicherung aller Art“ steht. Diese Wahnsinnigen kassieren ein paar hundert Euro für Anfahrt, Feierabendzuschlag und eine gesprengte Schließanlage.

Keine Viertelstunde später schlurft ein kugelrunder, ergrauter Herr mit beigefarbener Allzweckweste die Stufen hinauf. Kein Werkzeugkoffer, kein Brecheisen, kein Universalschlüsselbund. Hinter seinem Lächeln verbirgt sich mehr Spott als Mitleid. Er ist die Ruhe selbst, die personifizierte Provokation. Die Lasagne dürfte bereits al dente sein.

Schnapper im Holz

Er mache weder Schloss noch Tür kaputt, versichert er, deshalb nehme er auch nur fünfzig Euro. Der Alte klingelt beim Nachbarn und guckt sich an, wie breit die Türen hier im Haus so sind und wie weit sich die Schnapper im Holz verstecken. Der Schnapper nennt sich Türfalle, lerne ich. Auch Schrägfalle genannt, wegen der Abschrägung der Außenseite nämlich. Ach so.

Aus seiner Weste zückt der Mann drei selbst gebastelte Plastikscheibchen unterschiedlicher Dicke und sucht sich eines aus, das er gerade so durch den Spalt meiner Wohnungstür zwängt. Holz arbeitet, Holz biegt sich, der Mann verschafft sich Spielraum. Er zieht tatsächlich das Kreditkartending aus den Krimis durch. Aus meiner Wohnung duftet es nach überbackenem Käse.

Ich sitze auf der Treppe und denke an Lasagne, an rußig schwarzen Qualm und an die Feuerwehr. Die würde meine Tür sofort aufkriegen. Der Sparschlüsseldienst stochert keuchend in meinem Türrahmen herum. Eine Etage über mir quietscht ein Bett, dann meine Nachbarin. Minuten rinnen zähflüssig die Stufen hinab. Mal dauert es ein paar Sekunden, mal eine Stunde, sagt der Mann. Ich verstehe nicht. Er deutet auf meine Wohnungstür. Sie steht offen.

Der Fuffi war gut investiertes Lehrgeld. Seitdem habe ich einen Zweitschlüssel bei einem Zweitmenschen verstaut und weiß, wie man zugefallene Türen öffnet. Dazu braucht man nur ein Stück Kunststoff, dicker als Klarsichtfolie, flexibler als Geldkarte. Hierfür eile man zunächst in den Supermarkt und kaufe eine große Flasche Cola. Die Anderthalbliterviecher müssen es sein, die sind nicht geriffelt und biegsam genug. Dann trinke man die Flasche in einem Zug aus und störe – möglichst freundlich – die Nachbarin beim Koitus, um sich eine Schere zu leihen. Nun schneide man sich ein Stück Plastik zurecht, in etwa so lang und breit, um damit ein Türschloss zu öffnen.

Mit dem Schlüssel in der Tasche übe ich den Ernstfall und sperre mich aus. Das Kunststoffstück aus der Flasche gleitet locker in den Türspalt und bleibt oben am Schnapper hängen. An der Türfalle. Schrägfalle. Danach geht erst mal gar nichts mehr. Ich schiebe und ziehe und zerkratze mir die Hände. Dann wird optimiert: Mit einem Feuerzeug schmore ich den Kunststoff rund. Die scharfen Kanten schrumpfen zu braunen Rändern, ich inhaliere giftige Dämpfe, fühle mich professionell und high zugleich.

Noch einmal. Das Einbruchinstrument ein paar Zentimeter über dem Türknauf ansetzen und durch konzentriertes Rütteln und Biegen im Spalt an der Türfalle vorbei nach unten. Plastik will nicht. Plastik muss einen ziemlich soliden Metallstift aus dem Schließblech schnipsen. Die Handgelenke schmerzen mittlerweile, die Arbeit frustriert. Ein neuer Versuch ist die Wiederholung des vorausgegangenen Scheiterns.

Der Nachbar schaut vorbei. Ausgesperrt? Nein, ich übe. Erst an meiner eigenen Tür und nachts dann an Ihrer. Findet er nicht lustig. Ich erinnere mich an den runden Alten. Der hatte nicht nur Plastikscheiben, sondern auch die Ruhe gepachtet. Er besaß die Selbstsicherheit, schon etliche Türen geöffnet zu haben. Die Technik funktioniert, weitermachen! Ich falte die Flaschenfolie doppelt, um mehr Stabilität zu gewinnen. Also wieder senkrecht in den Schlitz bis zum Schnapper. Ich biege den Plastikmüll langsam hin und her, rüttle, Hebelwirkung, schnapp. Das Werkzeug rutscht weg, meine Knöchel schlagen blutig auf den Türknauf, die Tür ist offen. Es ist ein Augenblick des Stillstands und der späten Genugtuung.

Wer sich aussperrt, bleibe gelassen. Und habe in der Wohnung ein Pflaster parat.