: „Eine religiös begründete Politik“
Der grüne Bundes-Politiker Volker Beck erklärt, warum er die staatliche Unterstützung für das Bremer Christival für problematisch hält – und welche Reaktion er sich von den Bischöfen und den Landeskirchen erhofft
VOLKER BECK, 47, ist seit 1994 Bundestagsabgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Er ist deren menschenrechtspolitischer Sprecher und ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer. Er ist ledig und lebt in schwuler Lebensgemeinschaft in Köln.
INTERVIEW: BENNO SCHIRRMEISTER
taz: Herr Beck, bekommen Sie eigentlich viel Post wegen Ihrer Kritik am Christival?
Volker Beck: Mein Büro wird von Mails förmlich geflutet. Allein am vergangenen Wochenende waren es gut 100 zu diesem Thema.
Veranstalter und Deutsche Evangelische Allianz (DEA) werfen Ihnen vor, der Meinungsfreiheit zu schaden. Trifft Sie das?
Ich finde den Vorwurf bezeichnend für deren Demokratieverständnis: Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit bedeuten nicht, dass alles, was man in ihrem Namen artikuliert, völlig außerhalb der Kritik steht. Kritik ist kein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern ihr Ausdruck.
Das heißt: Sie wollen nicht, dass das Christival gestoppt wird?
Nein! Ich würde mich stets dafür verwenden, dass niemand versucht, das, was die dort veranstalten, strafrechtlich zu verfolgen – diese Homo-Heilungs-Seminare eingeschlossen. Genauso ist meine Kritik keine Kritik am Christentum an sich: Der Versuch von DEA und Christival-Veranstaltern, bestimmte eigene Positionen mit dem Christentum gleichzusetzen und sich dadurch gegen Kritik zu immunisieren, ist einfach illegitim. Ich würde aber alle DemokratInnen und humanistisch orientierte ChristInnen aufrufen, vor solchen Veranstaltungen zu warnen.
Warnungen seitens der Bremer evangelischen Kirche bleiben bislang aus. Enttäuschend?
Ich würde mir schon wünschen, dass unsere Bischöfe erkennen: Sie haben auch eine seelsorgerische Verantwortung für Menschen, die in die Fänge dieser Gruppierungen geraten. In denen wird auf junge, homosexuelle ChristInnen ein Druck ausgeübt, sich in Pseudo-Therapien zu begeben – mit den potenziellen Folgen von schweren Depressionen bis hin zu Suizidversuchen.
Aber holla! Wir sprechen von 90-Minuten-Seminaren. Ist das nicht ein bisschen überbewertet?
Es geht mir nicht darum, zu behaupten, ein einzelnes Seminar würde unheimlichen Druck auf jemanden ausüben. Das Problem ist aber: Menschen erfahren dort von einer abstrusen Theorie – und halten diese dann für wahr.
Wirklich?
Es gibt bestimmte, sehr religiös geprägte Familien, wo die Eltern, wenn sie von der Homosexualität ihrer Kinder erfahren, diese in solche Pseudo-Therapien stecken – von denen sie beispielsweise auf so einem Festival gehört haben. Ich erhalte in dieser Diskussion auch etliche Schreiben von schwulen oder lesbischen ChristInnen, die berichten, dass ein enormer Druck auf sie ausgeübt wurde – in genau solche Richtungen. Und dass es für sie ein sehr schmerzlicher Prozess war, sich daraus zu befreien.
Okay, das ist Standard in solchen Glaubensgruppen…
Es ist ein wichtiger Unterschied, ob dieser Druck mit Billigung von Instanzen wie der evangelischen Kirche oder dem Staat ausgeübt wird – oder im Widerspruch zu ihnen. Das ist für die Chance, sich davon zu befreien, ganz entscheidend.
Die Veranstalter behaupten, das Homo-Seminar habe gar keine therapeutische Zielsetzung gehabt. Halten Sie das für glaubwürdig?
Der ganze Diskurs dieser Leute über Homosexualität ist geprägt von der Behauptung, Homosexualität wäre ein veränderungsbedürftiges Defizit. Es wird nirgends die Möglichkeit erwogen, die eigene Homosexualität positiv anzunehmen – und sie in Übereinstimmung mit dem Glauben zu leben. In Interviews des DEA-Vorsitzenden kommt klar zum Ausdruck, dass dies für diese christliche Strömung nicht denkbar ist.
Der besagte Jürgen Werth hatte dem evangelischen Pressedienst gesagt, Homosexualität sei eine „Zielverfehlung“. Was aber ein biblischer Befund und keinesfalls eine Diffamierung sei…
Diese Damen und Herren spielen mit der Sprache. Kritik ist Angriff auf die Meinungsfreiheit, Diffamierung ist keine Diffamierung, solange sie von ihnen kommt. Und Selbstbestimmung ist dann, wenn man sich seine Homosexualität wegtherapieren lässt. Das ist eine Strategie, die hat man in den USA abgeguckt.
Das Christival existiert seit 30 Jahren. Bisher hat es nie Aufregung gegeben. Hat bloß niemand hingeguckt?
Ich habe den Eindruck, es gibt in diesem eher konservativen, evangelikalen Spektrum durch den Einfluss der Bewegungen in den USA eine Engführung auf bestimmte Themen – wie Homosexualität, Schwangerschaftsabbruch, überhaupt Sexuallehre, aber auch den Kreationismus, wo man ganz gezielt versucht, für eine sehr randständige Meinung gesellschaftliches Terrain zu erobern. Das hatte man früher in dem Maße nicht – da ging es in erster Linie wirklich um Religiosität. Mittlerweile geht es um eine religiös begründete Politik.
Die Presse-Resonanz ist schwach – dabei ist Fundamentalismus doch ein Debatten-Thema. Oder gilt das nur für den Islam?
Auch ich bin auf dieses Christival nur durch die Schirmherrschaft der Bundesfamilienministerin aufmerksam geworden. Man gibt da von staatlicher Seite so etwas wie ein Gütesiegel und sagt: Das ist ein christliches Jugendfestival, offen für alle. Und das stimmt eben nicht. Auch hat mich erstaunt, dass das Festival staatlich mit 250.000 Euro kofinanziert wird: Die Bundesregierung sieht offenbar nicht, dass diese Förderung dazu verpflichten müsste, dass dort wenigstens nichts Minderheitenfeindliches stattfinden darf.
Naja, das Familienministerium behauptet, man habe wegen des Homo-Heiler-Seminars interveniert und dafür gesorgt, dass es rausfliegt…
… und die Veranstalter behaupten das genaue Gegenteil: Sie hätten es aus freien Stücken abgesagt. Nur eins von beiden kann wahr sein. Und ich frage mich: Wer lügt?