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Archiv-Artikel

Innovative Problemlösung

Eine Technische Universität im Harz bildet jetzt Endlager-Forscher aus. Finanziert wird die „weltweit einzigartige“ Professur von derselben Firma, die auch die Castor-Transporte nach Gorleben abwickelt

Von der Bergakademie zur Hochschule

Rund 230 Jahre reicht die Geschichte der TU Clausthal zurück. Den Ausschlag für die Gründung gaben reiche örtliche Erzvorkommen an Silber, Blei, Zink und Kupfer. 1763 regte der Theologe Henning Calvör an, man möge eine „mathematische Schule gründen für die aufgewecktesten und fähigsten Köpfe von denen, die Berg- und Zimmerleute werden wollen“. 1864 in den Rang einer Bergakademie erhoben, erlangte sie internationales Ansehen: Zeitweise kam jeder zweite Bergbau-Student aus Nord- und Südamerika. In den 1960er Jahren führte die TU die Studiengänge Chemie, Physik, Mathematik, Maschinenbau und Verfahrenstechnik ein, später kamen u. a. Informatik, Umweltschutztechnik und Energiesystemtechnik dazu. Heute zählt die TU rund 90 Professoren, 420 wissenschaftliche Mitarbeiter und 2.800 Studierende.  RP

VON REIMAR PAUL

Offiziell ernannt ist er schon seit einigen Wochen, am 5. November hält er nun seine Antrittsvorlesung: Klaus-Jürgen Röhlig ist neuer Professor für „Endlagersysteme“ an der Technischen Universität Clausthal (TU) im Harz. Die TU bildet als erste Hochschule in Europa seit diesem Wintersemester Endlager-Forscher aus – mit dem Master-Studiengang „Management radioaktiver und umweltgefährdender Abfälle“. Das neue Fach umfasst nach Angaben der Hochschule eine breite ingenieur- und naturwissenschaftliche Ausbildung zur gesamten „Prozesskette“ der Endlagerung. Seines Wissens sei das Angebot „sogar einmalig in der Welt“, sagt Röhlig.

Röhlig ist Mathematiker, er war zuvor fast 15 Jahre bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln beschäftigt. In Clausthal will er die interdisziplinäre Forschung vorantreiben: „Wir wollen dazu beitragen, bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland zu einer Lösung zu kommen“, sagt er.

Die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) fördert Röhligs Stelle für zunächst sieben Jahre als Stiftungsprofessur. Umweltschützer kritisieren daher, sein Lehrstuhl werde „von der Atomindustrie gesponsert“: Die GNS gehört Eon Kernkraft (48 Prozent), RWE Power (28 Prozent), der Südwestdeutschen Nuklear-Entsorgungs-Gesellschaft (18,5 Prozent) sowie Vattenfall Europe (5,5 Prozent) und wickelt unter anderem die Castortransporte nach Gorleben ab. Die beiden Firmen, welche die Atommüll-Zwischenlager in Gorleben und Ahaus betreiben, sind wiederum Töchter der GNS.

Seit dem Jahr 2000 ist die Erkundung des Gorlebener Salzstocks unterbrochen. CDU/CSU, FDP und vor allem die Atomwirtschaft drängen jedoch darauf, dass die Arbeiten wieder aufgenommen werden und das Endlager für hochradioaktive Abfälle so schnell wie möglich in Betrieb geht. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) spricht da im Zusammenhang mit dem Clausthaler Lehrstuhl schon von „mafiösen Strukturen“: Ausgerechnet die GNS wolle über die Stiftungsprofessur in Clausthal das fragwürdige Projekt finanzieren. Das „Eigeninteresse der Atomstromkonzerne“, die über die Hochschule „angeblich ergebnisoffen forschen wollen, liegt deutlich auf der Hand“, sagt Francis Althoff. Der BI-Sprecher nennt es „offensichtlich und unerträglich, dass die Privatwirtschaft über ein als Forschung getarntes Hintertürchen Gorleben als Endlager dingfest machen will“.

Die Initiative befürchtet zudem, dass die Clausthaler Endlager-Forscher im Gorlebener Salzstock ein Labor einrichten wollen. Das neue Institut könne eine Vorstufe dazu sein. Mit einem solchen Untertagelabor, für das Energiekonzerne und CDU/CSU seit längerem eintreten, würde Gorleben als Endlagerstandort ein weiteres Stück wahrscheinlicher. Niedersachsens Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) hatte 2006 bei einem Besuch in Gorleben über Pläne berichtet, im Salzstock ein solches Untertagelabor für Versuche mit Atommüll zu bauen.

Althoff verweist auch auf „langjährige personelle Verfilzungen“ zwischen der Clausthaler Hochschule und der Atomwirtschaft: So hätten Professor Klaus Kühn von der TU und Klaus Jürgen Brammer von der GNS in einer gemeinsamen Stellungnahme gefordert, die Erkundungsarbeiten in Gorleben unverzüglich fortzusetzen und dem als „Gorleben-skeptisch“ eingeschätzten Bundesamt für Strahlenschutz entgegenzutreten. Als „Sicherheitsexperte“ habe Kühn auch den vom Absaufen beziehungsweise Einstürzen bedrohten Endlagern Asse II und Morsleben jahrelang Standsicherheit attestiert.

Die GNS verteidigt ihr finanzielles Engagement an der TU Clausthal. Man strebe durch die Finanzierung der Professur eine Klärung des „gesellschaftlich relevanten Problems“ der Endlagerung an. „Wir erhoffen uns innovative, gute Anregungen in der Endlagerforschung“, sagt Holger Bröskamp, Sprecher der GNS-Geschäftsführung.

Auch die Hochschule selbst weist Vorwürfe der Atomkraftgegner zurück. Die Ausbildung an der TU werde allgemein „von der Industrie geschätzt“, heißt es. So fördere der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung mit einem sechsstelligen Betrag die Ausbildung im Studiengang Erdöl- und Erdgastechnik. Gemeinsam mit einem Industriebetrieb wiederum hatten Clausthaler Wissenschaftler kürzlich ein standortunabhängiges Kleinkraftwerk zur Stromerzeugung entwickelt. Die mobile Windkraftanlage kann per Container auch an schwer zugängliche Orte geliefert werden (taz berichtete).