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Archiv-Artikel

Wasserkante nur für Reiche

Dass die Nobel-Bebauung von Hafengebieten Ärmere raus den Städten drängt, ist aus Kopenhagen bekannt. Dass das auch für die Hafencity gilt, eruierte die jüngste „Waterfront“ Konferenz nicht

PROJEKT LIVERPOOL

Im englischen Liverpool werden sich vom 19. bis 21. November erneut „Waterfront“-Spezialisten treffen, um deutlich kritischer als in Hamburg auf Planung und Effekt solcher Projekte zu schauen: Nicht nur Konflikte zwischen Planern und Bevölkerung werden Thema der Konferenz „On the Waterfront“ sein, sondern auch der Umgang mit historischer Bausubstanz und der zweifelhafte Segen des Wasserkanten-Tourismus. PS

VON PETRA SCHELLEN

Partizipation – das ist ein Begriff aus den Siebzigern. Aus jenen Ären, in denen die öffentlichen Kassen noch leidlich gefüllt waren und niemand vor Investoren buckeln musste. Inzwischen hat sich das geändert – und damit auch das Prozedere etwa in Sachen Stadtentwicklung: Längst ist kein Geheimnis mehr, dass nicht mehr der Senat etwa die hiesige Hafencity plant, sondern dass das die Investoren tun, die man nicht vergraulen will. Denn aus eigener Tasche könnte die Stadt die Umwidmung ehemaliger Hafengebiete in Wohnareale nicht finanzieren.

Damit steht Hamburg nicht allein: In Oslo, Rotterdam, Boston, Liverpool, Kopenhagen, die derzeit alle das „Wohnen am Wasser“ entdecken, ist das so. Das Ziel ist immer gleich: durch exzentrische Architektur am Wasser Identität zu schaffen. Man möchte als Wohnort für wohlhabende „Kreative“ attraktiv werden und einen guten Platz im Städte-Ranking ergattern.

Die soziale Durchmischung dieser Reißbrett-Stadtteile interessiert da kaum. Das hat Folgen – auch in Hamburg, das hier noch am Anfang steht: Nicht nur, dass in der bislang erschlossenen Hafencity ausschließlich hochpreisige Wohnungen geplant sind: Nein, man hatte auch vergessen, der Schule einen Hof zu verpassen und verlegte ihn kurzerhand aufs Dach. Fazit: Die Hafencity ist auf bestem Wege, eine Elite-Insel zu werden; darüber täuscht auch der „Sprung über die Elbe“ – sprich: das in Sichtweite liegende, (noch) niedrigpreisige Wilhelmsburg nicht hinweg.

Diese Entwicklung überrascht nicht, und wer immer noch glaubt, all dies sei Schwarzseherei, konnte Ende vergangener Woche auf der Konferenz „The Fixity and Flow of urban Waterfronts“ an den Elbbrücken, der Südspitze der geplanten Hafencity, einiges lernen. In Kopenhagen etwa ist die Ex-Hafenbrache schon wesentlich weiter entwickelt als in Hamburg. Die Folgen sind evident: Da die Stadt die Planungshoheit einer eigens gegründeten Gesellschaft und deren Verhandlungen mit Investoren überließ, wurden in dem Gebiet ausschließlich teure Wohnungen gebaut, mit denen sich Profit erzielen lässt. Soziale Durchmischung war kein Planungsziel.

Der Effekt sei ambivalent, sagt Geograf Hans Thor Andersen von der Kopenhagener Universität: „Einerseits symbolisieren diese Gebäude einen Boom und erzeugen ein positives Lebensgefühl.“ Andererseits seien infolge der Hafenentwicklung die Mieten in Kopenhagen in den letzten Jahren derart gestiegen, dass weniger Wohlhabende aus der Stadt gedrängt würden. „Viele müssen jetzt 50 bis 100 Kilometer zur Arbeit fahren, weil sie sich nicht mehr leisten können, in der Stadt zu wohnen“, sagt Anderson. „Die soziale Komposition der Stadt hat sich verändert. Es gibt eine neue Ausgrenzung der ärmeren Schichten.“

Zudem erzeugt die von Investoren geleitete Erschließung der Wasserkante ein Demokratiedefizit: „Bisher waren wir es gewohnt, dass es öffentliche Anhörungen und lange Diskussionen gab“, sagt Andersen. Inzwischen gebe es die nur noch vereinzelt – zudem die Prozesse extrem komplex und intransparent geworden seien: „Wenn man etwa beschließt, eine Billion Kronen in die Kopenhagener U-Bahn zu investieren, nimmt man in Kauf, dass das Gleisnetz später weiter ausgebaut wird, dass Buslinien eingestellt werden und so weiter. Und wenn ich die Umwidmung eines Industriegebiets zum Wohnareal beschließe, akzeptiere ich stillschweigend, dass sich Elite-Inseln bilden, die die Bevölkerungsstruktur einer Stadt gravierend verändern.“

Das alles ist in Hamburg bislang kaum Thema; zu wenig interessiert sich die Bevölkerung für das jahrzehntelang unzugängliche Freihafengebiet, wo derzeit der erste Abschnitt der Hafencity entsteht. Denn anders als in Kopenhagen, wo die Menschen froh sind, das Brachland im Zentrum los zu sein und daher nicht protestieren, bildet die Hamburger Hafencity einen wenig interessierenden Hinterhof. Die Planung geschieht vergleichsweise unaufgeregt; allenfalls die einfallslose Architektur wird mal moniert. Die Frage nach gezielter Steuerung der sozialen Durchmischung oder nach dem Sinn von Wohnungen für insgesamt 12.000 Menschen in einer real schrumpfen Stadt stellt niemand.

Diese Teilnahmslosigkeit spiegelte auch die Konferenz in Rothenburgsort: Wohl erwähnte eine Rednerin, dass es inzwischen Usus sei, Künstler temporär auf die Baustelle zu lassen, um die Hafencity populär zu machen und dass Künstler Brachen, die man entwickeln will, gern trockenwohnen dürfen, bevor die Mieten unerschwinglich werden. Einen kritischen Beitrag zur Partizipation und den langfristigen sozialen Folgen des Hafencity-Projekts hörte man auf dieser Konferenz nicht. Das spiegelt exakt den Stand der hiesigen öffentlichen Diskussion.