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Archiv-Artikel

Polizei pfeift auf Pressefreiheit

Polizei filzt Wohnung von Redakteur des Freien Sender Kombinats wegen Betrugs-Verdacht und beschlagnahmt Redaktionsunterlagen. Polizei bestreitet, dass der Staatsschutz dabei gewesen sei

VON KAI VON APPEN

Offiziell geht es um den Vorwurf des Betruges. Ein gewisser „Ralf Stuhlmann“ aus Barmbek hat im April vorigen Jahres für 1.300 Euro per Internet Medikamente bei Apotheken bestellt und sich liefern lassen, ohne sie zu bezahlen. Da aber kein „Ralf Stuhlmann“ in Hamburg gemeldet ist, nutzt die Polizei die Gunst der Stunde, einen ihr nicht unbekannten Jens Stuhlmann aufs Korn zu nehmen.

Da dieser vor zwei Monaten einer „Zeugenvernehmung“ gegen seinen vermeintlichen „Verwandten“ nicht nachgekommen ist, drang die Polizei am Morgen des 11. Juni in seine Wohnung im Karoviertel ein. Acht Beamte standen mit gezogenen Waffen vor seinem Bett: „Aufwachen! Polizei!“ Bei der Durchsuchung beschlagnahmten sie seine drei Computer.

Jens Stuhlmann ist kein Unbekannter. Bis zur seiner Haftentlassung vor zehn Jahren war er Insassenvertreter in Santa Fu und hatte dort die Knastzeitschrift „Blickpunkt“ aufgebaut. Heute arbeitet Stuhlmann als Journalist für den freien Radiosender „Freies Sender Kombinat“ (FSK) und ist dort auch für die Erstellung des Monatsmagazins und Programmheftes „Transmitter“ zuständig.

Dass es nicht allein um den Betrugsvorwurfs gegangen sein kann, zeigt sich daran, dass bei der Hausdurchsuchung die Federführung offenkundig der Staatsschutz hatte, der sich vor allem für politische Fragen bei Stuhlmann interessierte. „Sie haben geäußert, dass ich für FSK arbeite“, berichtet Stuhlmann der taz. „Sie haben mir vorgeworfen: ‚Ihr habt den 1. Mai organisiert.‘“

Und so stand auch nicht die Suche nach Indizien für einen Betrug im Mittelpunkt der Polizeiaktion, sondern die nach dem Computer, auf dem Stuhlmann gerade das Juli-Programmheft „Transmitter“ für FSK produziert hatte. Auf ihm befindet sich auch Redaktionskorrespondenz. Die Polizei bestreitet, dass der Staatsschutz involviert war. „Das war allein die Kripo des Kommissariats 32“, beteuert Polizeisprecherin Christiane Leven.

Sämtliche Proteste von Stuhlmanns Anwalt Jan Mohr bei der Staatsanwaltschaft, zumindest die Datei des Juli-Transmitter in Kopie herauszugeben, fruchteten nicht. Mit viel Aufwand hat Stuhlmann den Transmitter neu erstellen müssen, der inzwischen erschienen ist. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft gegenüber Stuhlmanns Anwalt Mohr angekündigt, eine Kopie der Transmitter-Datei herauszugeben. „Passiert ist noch nichts“, sagt Mohr gegenüber der taz. Auch FSK geht mittlerweile gegen den „Eingriff in das Redaktionsgeheimnis“ vor. FSK sei ein „freies Radio auf einer Vollfrequenz“ und könne sich dementsprechend „auf den vollen grundrechtlich garantierten Schutz der Pressefreiheit berufen“, schrieb die FSK-Anwältin Ingrid Witte-Rohde an die Staatsanwaltschaft.

Die Anklagebehörde habe die „Verpflichtung“ dafür einzustehen, dass unkontrolliert keine „polizeilichen Ermittlungsbeamten Zugriff und Sicht auf redaktionelle Inhalte und Recherche-Ergebnisse erhalten“, schreibt Witte-Rohde „Auch die Kenntniserlangung über Abläufe und interne Kommunikation des Radiosenders stellt einen Eingriff in Artikel 5 Grundgesetz dar.“ Bis heute hat die Anklagebehörde Zeit, sich zu äußern, wie sie die Daten-Abschottung gewährleisten will. „Wir behalten uns weitere rechtliche Schritte vor“, sagt Witte-Rohde der taz: „Die Polizei hat einfach nicht das Recht, die Nase in FSK-Redaktionsinterna zu stecken und unbegrenzt Daten auszuwerten, die in keinem Zusammenhang mit den Ermittlungen stehen.“

Auch die Deutsche Journalisten Union (DJU) kritisiert das polizeiliche Vorgehen: „Wir fordern die Staatsanwaltschaft auf, dafür Sorge zu tragen, dass Artikel 5 des Grundgesetzes auch in Hamburg ernst genommen wird“, schimpft die DJU-Landesgeschäftsführerin in der Gewerkschaft Ver.di, Eva Schleifenbaum. „Wir wünschen uns, dass der neue Senat die Chance nutzt, von der Linie des rein schwarzen Senats abzuweichen, der die Pressefreiheit häufig als lästiges Übel behandelte.“

Schleifenbaum fordert, dass FSK seine Unterlagen unverzüglich zurückerhält. „Sollte dieser Forderung nicht Folge geleistet werden“, so Schleifenbaum „wird Ver.di FSK bei der Durchsetzung seiner Rechte unterstützen“.