ausgehen und rumstehen: Wie schön ist doch die Musik von früher: 2009 wird auch die Love Parade schon 20 Jahre alt
Das Wochenende begann in der Karaokebar „Monster Ronsons Ichibaba“ in der Warschauer Straße. Kollegin Steffi hatte Geburtstag, wir sangen Songs von damals: „Major Tom“, „Drive-In Saturday“, „Codo“, „Life on Mars“, „Hot Love“, „Ich will Spaß“, ganz am Ende „Under Pressure“ und irgendwann auch „The Message“ von Grandmaster Flash. Zuvor hatte ich gedacht, ich würde den Text auswendig können. Das war aber ein Irrtum, und alles ging so schnell, dass ich überhaupt nicht mitkam. Die Texte der Lieder waren toll. Dann war es spät, und wir gingen wieder heim.
Am nächsten Tag war 20 Jahre Love Parade. Damals war’s, im Sommer 89. 137 zogen unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ über den Ku’damm, inspiriert von der englischen Acid-House-Bewegung, die ein Jahr zuvor ihren Summer of Love erlebt hatte, der seinerseits irgendwie wieder auf den amerikanischen Summer of Love, 1967, geantwortet hatte – Althippies legen immer viel Wert darauf, dass 1968 ja eigentlich schon das Schönste vorbei gewesen sei. Die Raver der frühen Stunde dachten ähnlich, wenn sie spätestens ab Mitte der 90er immer wieder betonten, dass Techno am Ende und alles nur noch Ausverkauf sei, und am Ende ging es dann ja doch weiter.
Irgendwie war es jedenfalls schon klasse, dass in dem mit 20-Jahre-89-Veranstaltungen vollgepackten Haus der Kulturen der Welt auch der Gründergeist der Technokultur beschworen wurde. Unter dem Motto „Party like it’s 1989“ legten Motte, Mijk van Dijk, Tanith, Hardy Hard, Jonzon usw. auf, und manches war wie früher: Ich kam nicht in die Gänge. Eigentlich hatte ich zuvor noch zum vierjährigen Jubiläum des Clubs 49 in die Ohlauer Straße gehen wollen, es war aber immer später geworden, weil irgendwas nicht funktionierte, und dann war es wohl Mitternacht, als ich mit dem Fahrrad durch weichen, nassen Schnee zum Haus der Kulturen der Welt fuhr. Die Straßen waren menschenleer. Es schneite sehr, und alles sah super aus.
Ich dachte an einen Phil-Comic, wo die Technoqueen sagt: „Punker Krause, Punker Schmitt – Technotanzen ist der Hit!“ und an den „Ruck“-Rave vor elf Jahren. Damals hatte es einen dreitägigen 68er-Kongress gegeben, den die Veranstalter um Rainer Langhans mit einer Technoparty im Haus der Kulturen der Welt beendet hatten. WestBam und Monika Kruse hatten aufgelegt. Alles war ein bisschen steif, gehemmt und nicht wirklich gut besucht gewesen. Die jungen Technofreunde, mit denen sich die 68er hatten verbünden wollen, waren ausgeblieben, den 68ern war nicht so recht nach Tanzen zumute, oder sie wussten nicht, wie sie tanzen sollten. Man war als Technofreund da gewesen und hatte gedacht, dass man die 68er eigentlich immer nur mit dem Zusatz „Alt-“ wahrgenommen hatte.
Nun war es schon wieder elf Jahre später und irgendwie eher umgekehrt: Das HdKdW war total voll. Silver-Raver aus den frühen Technojahren waren kaum gekommen; die meisten waren unter Mitte zwanzig. Ich kannte exakt zwei Leute, von vieren vielleicht noch die Gesichter, und kam mir beim Tanzen leicht päderastisch vor. Retromäßig war kaum jemand angezogen, und wer retromäßig angezogen war, lieferte ein angreifbares Statement ab; ein Typ, schlank, gut erhalten, vielleicht 40, trug ein T-Shirt mit knallorangefarbenem „WESTBAM“-Schriftzug, zwei, drei Tresor-Shirts schlenderten vorbei; auf dem T-Shirt eines weiteren stand „Save the Rave“ in knallorangen Buchstaben auf dunkelblauem Grund, und das war’s dann auch schon mit identitätsstiftenden Kleidungsstücken. Der Rest lief normal rum und sprach viele Sprachen.
Wahrscheinlich war die Party ganz schön. Da und dort gab es emphatische Inseln mit Leuten, die richtig viel Spaß hatten; Hymnen von früher wurden gespielt; dies und das von Marshall Jefferson; „Big Fun“ von Inner City; „French Kiss“ natürlich; „Move Any Mountain“ von den Shamen, Joe Smooth mit „Promised Land“ usw. Wie schön ist doch die Musik von früher!
Tanzen ist wohl Karaoke mit den Beinen. Hans-Nieswandt-, Tobias-Rapp- und WestBam-Lookalikes standen an der Bar rum. Um ein Bier zu bekommen, musste man eine halbe Stunde warten und dann schreien. Die Leute, die rauchten, nahm man irgendwie ähnlich wahr, wie die Leute, die früher kifften. Außer mir kifften nur noch fünf andere. Draußen war es auch super. Ein Pärchen bewarf sich mit Schneebällen, die mich immer trafen. Ein junger Mann stand da mit seiner Mutter. Beide waren bestimmt auf E. Die Mutter berlinerte Leute, die ihr den Weg an der Tür versperrten, extrem gut gelaunt an: „Ey, mach mal Platz da!“ DETLEF KUHLBRODT
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