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Archiv-Artikel

Ein Exempel für die Überwachung

Innensenator verteidigt Videodokumentation einer Demo gegen Überwachung. Bürgerrechtler: Nicht stichhaltig

Die Demonstration richtet sich explizit gegen Überwachung und Vorratsdatenspeicherung. Nun wird sie zum Exempel. Denn die rund 30.000 Demonstranten, die im Oktober 2008 unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor zogen, wurden von zahllosen Kameras der Polizei gefilmt. Übertrieben oder sogar provozierend fanden dies die Demonstrierenden. Rechtswidrig, meinen Bürgerrechtler.

Der FDP-Abgeordnete Björn Matthias Jotzo, selbst Teilnehmer an der Demonstration, hatte im Januar eine kleine Anfrage an den Berliner Senat gestellt. „Zu welchem Zweck, aus welchem Anlass, auf welcher jeweiligen Rechtsgrundlage und in welchem Umfang“ wurde auf der Demonstration von der Polizei gefilmt?, fragte der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion. Nun hat er Antwort von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bekommen. Der hält die Videodokumentation für rechtmäßig.

Für das Filmen auf Demonstrationen sieht das Versammlungsgesetz hohe Hürden vor. „Weil die Versammlungs- und Meinungsfreiheit gewichtige Grundrechte sind und der Staat sie ermöglichen und nicht durch Überwachungsmaßnahmen verhindern soll“, erklärt der Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen und Anwältevereins (RAV), Hannes Honecker. Es müssen „tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, dass von den Demonstrationsteilnehmern „erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ ausgehen, damit auf Versammlungen gefilmt werden darf.

Aufrufe im Internet

Diese Voraussetzungen hätten bei der „Freiheit statt Angst“-Demonstration im vergangenen Oktober vorgelegen, schreibt Körting in seiner am Freitag veröffentlichten Antwort auf Jotzos Anfrage. Schließlich sei auf der Internetplattform Indymedia zu Vermummung und „direkten Aktionen gegen Überwachungskameras“ aufgerufen worden. Diese Argumentation hält der RAV-Rechtsanwalt Sven Adam nicht für stichhaltig. „Es müssen auf der Demonstration solche Anhaltspunkte ersichtlich sein, nicht im Vorfeld.“ Bleibe eine Demonstration friedlich, dürfe nicht gefilmt werden.

Zu filmen, weil Vermummung befürchtet wird, scheint zudem gerade nicht dazu geeignet sein, Straftaten zu verhindern. Vermummen sich die meisten doch gerade wegen der polizeilichen Überwachung. „Je weniger Kameras da sind, desto eher verzichten Demonstrationsteilnehmer auf Vermummung“, sagte der Demonstrationsleiter Ricardo Cristof Remmert-Fontes vom Aktionsbündnis Freiheit statt Angst. „Und leider haben wohl einzelne Kamerateams der Polizei viel mehr gefilmt als nötig.“ Nach Auffassung des Bündnisses ist das Vermummungsverbot an sich bereits ein schwerer Eingriff in das Versammlungsrecht.

Langjähriger Streit

Das Bundesverfassungsgericht sprach sich schon in seinem Volkszählungsurteil von 1984 implizit gegen Videoüberwachung auf Demonstrationen aus. Wer nämlich damit rechne, dass eine Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert werde, „wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten.“ Nicht nur die individuellen Entfaltungschancen wären dann beeinträchtigt, sondern auch das Gemeinwohl: „Weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist“, so das Gericht.

Trotzdem gehört das Abfilmen von Demonstrationen mittlerweile zu den polizeilichen Standardmaßnahmen. „Regelmäßig sind Kameras im Einsatz, ohne dass Einsatzgründe für das Filmen erkennbar sind“, berichtet der RAV-Geschäftsführer Honecker. „Die Polizeien teilen in der Regel auch ihre Einsatzgründe nicht mit, sodass davon auszugehen ist, dass regelmäßig unabhängig von den im Gesetz genannten Gründen gefilmt wird.“

Die neuen Versammlungsgesetze auf Länderebene, die von verschiedenen Bundesländern derzeit geplant sind, sehen eine deutliche Ausweitung der behördlichen Befugnisse vor. „Sofern es zur Auswertung des polizeitaktischen Vorgehens erforderlich ist, darf die Polizei auch Übersichtsaufzeichnungen anfertigen“, heißt es zum Beispiel im bayerischen Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Passage allerdings unlängst für verfassungswidrig.

BENJAMIN LAUFER