: „Wir sprechen über ungefangene Fische“
Wenn Reli Pflicht wird, könnte es auch ein staatliches Fach Islamkunde geben, sagt Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall
HANS-JÜRGEN POKALL ist Landesschulrat und damit der oberste Schulaufsichtsbeamte des Bildungswesens im Land Berlin.
taz: Herr Pokall, was wird sich ändern, sollte der Volksentscheid „Pro Reli“ Erfolg haben?
Hans-Jürgen Pokall: Die Gesetzessituation müsste so geändert werden, dass Religion zu einem ordentlichen Lehrfach wird. Es wäre dann zu behandeln wie jedes andere Unterrichtsfach auch. Das heißt: Es gibt Zensuren und Noten, die eventuell auch maßgeblich für Übergänge oder Abschlüsse sein können.
Welche inhaltlichen Konsequenzen hätte das?
Das bedeutet, dass Unterrichtsinhalte dann staatlicherseits festgelegt werden. Natürlich in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Religionsgemeinschaften und unter Berücksichtigung von deren Grundsätzen.
Die Kampagne von Pro Reli zielt darauf ab, Religionsunterricht als Alternative zum Fach Ethik zu etablieren, dass in der Klasse 7 und 8 unterrichtet wird. Was würde aus dem Religionsunterricht an den Grundschulen?
Wenn ich das Ziel des Volksbegehrens richtig verstehe, geht es insgesamt um die Klassen 1 bis 13. Die Veränderung träfe also die gesamte Berliner Schule.
Auch in den Grundschulen würde Religion also ein staatlicherseits erteiltes Lehrfach?
Ja.
Hätte eine Gesetzesänderung Folgen für die Auswahl der LehrerInnen?
Die LehrerInnen müssten dann über das erste und zweite Staatsexamen oder über einen Masterabschluss und das zweite Staatsexamen verfügen. Das ist natürlich nicht von heute auf morgen zu erreichen. Da muss man Übergangsregelungen schaffen.
Für den Islamunterricht gibt es solche Lehrer nicht.
Für den islamischen Unterricht haben wir zurzeit nur wenige LehrerInnen, die Islamkunde oder Islamwissenschaften an einer Hochschule studiert haben.
Sie haben angekündigt, dass es eventuell auch zu einem staatlichen Fach „Islamkunde“ kommen könnte. Was meinen Sie damit?
Sollte es zur Veränderung des Religionsunterrichts in Berlin kommen, würden wir natürlich versuchen, auch für die islamische Seite einen Gesprächspartner für den Religionsunterricht zu finden, der über die Grundsätze des Islamunterrichts aus der Sicht der Religionsgemeinschaften sprechfähig ist. Sollte das nicht gelingen, wäre ein möglicher Weg, dass man über die Einführung eines staatlichen Fachs Islamkunde nachdenkt. Das wäre dann ein reguläres staatliches Unterrichtsfach, das nicht unter die Bedingungen des Artikels 7 Absatz 3 Grundgesetz fällt. Aber wir sprechen hier über ungefangene Fische.
Derzeit gibt es an den Grundschulen Islamunterricht der Islamischen Föderation und der Alevitischen Gemeinde. Wären das nicht automatisch Ihre Gesprächspartner?
Das kann ich jetzt im Augenblick noch nicht überblicken, ob noch weitere Gruppierungen und Einrichtungen eingebunden werden sollten und könnten. Aber ich würde, das ist der Stil unseres Hauses, sicher dafür werben, dass man versucht, möglichst alle Gruppen des Islam zusammenzubinden und zu beteiligen.
INTERVIEW: ALKE WIERTH