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Archiv-Artikel

Berichte aus der Raumstation

Ehemalige Mitglieder der RAF, der Bewegung 2. Juni und der früheren Unterstützerszene haben sich regelmäßig fast 7 Jahre lang mit Therapeuten getroffen. Ein einzigartiger Band dokumentiert ihre Konflikte und Einsichten

Größer kann eine Entfremdung kaum sein. „Im Gefängnis“, schreibt Karl-Heinz Dellwo, früheres Mitglied der RAF, „schien mir meine Situation mit der eines Astronauten vergleichbar zu sein. Der Hochsicherheitstrakt eine Raumstation, die um die Erde kreist, technische Verbindungen zur Außenwelt und Kontakt wie hin und wieder Funkverkehr. Vom gesellschaftlichen Alltag abgelöst ein Blick aufs Ganze und oft nur Unverständnis über das Konkrete. So war die RAF auch: Sicht aus weiter Ferne. Sie verwarf die Veränderung des Unmittelbaren und suchte nach etwas völlig Neuem. ‚Sprung‘ war damals eine oft genutzte Metapher. Schon im Gefängnis dachte ich irgendwann: Wir sind gesprungen und nirgendwo angekommen.“

Elf Jahre nach seiner Entlassung aus der Haft stellt Dellwo fest: „Wir sind gescheitert. Heute sage ich auch: zu Recht!“ Mit diesen Sätzen beginnt Dellwo seinen Beitrag „Kein Ankommen, kein Zurück“ in dem gerade erschienenen bemerkenswerten Buch „Nach dem bewaffneten Kampf“. Das Buch, herausgegeben von der Hamburger Therapeutin Angelika Holderberg, ist allein schon wegen seiner Entstehungsgeschichte ungewöhnlich. 1996 findet im psychoanalytischen Michael-Balint-Institut der Hamburger Universität ein Seminar über Folter und Traumatisierung in Chile statt. Unter den Teilnehmern: etliche Mitglieder früherer militanter Gruppen, die sich für das Thema schon allein wegen der selbst erfahrenen jahrelangen Isolationshaft für das Thema interessieren.

Im Anschluss an das Seminar entsteht eine Gruppenarbeit und, soweit bekannt, ist sie die einzige ihrer Art in der Bundesrepublik. Ehemalige Mitglieder der RAF, der Bewegung 2. Juni und Frauen aus der früheren Unterstützerszene treffen sich regelmäßig fast 7 Jahre lang für mehrere Wochenenden mit Therapeuten, um über sich, ihre Beziehungen untereinander, ihre Haftbedingungen, ihre Utopien und ihr Verhältnis zur Gesellschaft und über ihre Politik zu sprechen.

Einfach sind die Treffen nicht: Schon nach dem dritten Termin spaltet sich die Gruppe – die einen wollen über sich und das eigene Tun, die anderen ausschließlich über die erlittene Isolationshaft sprechen. Dass es schwierige Treffen sind, lässt sich auch daran ersehen, dass in den sieben Jahren acht Therapeuten das Handtuch werfen. Nur zwei halten den gesamten Zeitraum durch. 2003 enden die Treffen. Diejenigen, die durchgehalten haben, setzten sich dann jeder für sich noch einmal mit dem gemeinsam Erlebten auseinander – und schreiben darüber.

Herausgekommen ist der Band „Nach dem bewaffneten Kampf“. Ein Werk mit sehr unterschiedlichen Beiträgen. Es sind teils sehr persönliche, intellektuell differenzierte und politisch reflektierte Texte – Einblicke in eine bislang nach außen streng abgeschirmte innere Welt des politisch motivierten Terrorismus. Um im Bild von Karl-Heinz Dellwo zu bleiben. Es sind die Reporte aus der Raumstation.

Von den Opfern des Terrors ist auf den 237 Seiten kaum die Rede – sehr viel aber vom Auseinanderfallen des Gefangenenkollektivs, den internen Widersprüchen und von den Instrumentalisierungen untereinander. So ist auch wenig erstaunlich, dass das erste Treffen „einem Tigerkäfig geglichen“ habe, wie Knut Folkerts schreibt, der wegen einer Beteiligung am Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback 1977 verurteilt wurde: „Die unbesprochenen Widersprüche aus 20 Jahren waren explodiert und lagen als Trümmer zwischen uns. Der 18. 10. 77 [damals wurden in der Haftanstalt Stammheim Baader, Ensslin und Raspe tot aufgefunden, Anm. d. Red.], Chiffre für alles Unaufgeklärte und Unbegriffene, hing über uns. Jeder wusste, wenn wir anfangen zu sprechen, kommt früher oder später alles auf den Tisch.“

Dass die Militanten und ihre Unterstützer nicht nur Täter, sondern auch Opfer ihrer eigenen Politik wurden, beschreibt im Rückblick eine der früheren Unterstützerinnen, die anonym bleiben will: „Es herrschte ein regelrechter Darwinismus in unseren Kreisen, nach dem es nur der scheinbar Stärkste richtig machte. Vor dem Hintergrund des verbalen Anspruchs der Kollektivität waren wir einsame Wölfe. Freundschaften in unserem Zusammenhang waren nicht sehr gebräuchlich. … In der Illegalität, im bewaffneten Kollektiv sollte alles völlig anders sein. Selbst uns bekannte Menschen sollten mit der Waffe im Gürtel zu gänzlich neuen aufblühen. Wir, die Legalen, plapperten das brav nach, legten Zeugnis ab von unserer Begriffslosigkeit.“

Auch wenn von Reue in dem Buch nicht geschrieben wird: Das bedeutet nicht – wie in der gegenwärtigen Kontroverse um eine Haftentlassung von Christian Klar insinuiert wird – das Ausblenden und Reflektieren der eigenen Handlungen. Karl-Heinz Dellwo etwa schreibt: „Ich bin mitverantwortlich für den Tod von zwei Botschaftsangehörigen. Hieran trägt jeder aus unserem Kommando die gleiche und ungeteilte Schuld.“ WOLFGANG GAST

Angelika Holderberg (Hg.): „Nach dem bewaffneten Kampf. Ehemalige Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni sprechen mit Therapeuten über ihre Vergangenheit“. Psychosozial-Verlag, Gießen 2007, 216 Seiten, 19,90 Euro