: „Wo soll das Geld herkommen?“
Die Unternehmensteuerreform der großen Koalition nutzt der Wirtschaft und wird den Staat Milliarden kosten. Entlastet werden, so der SPD-Linke Ortwin Runde, Leute wie er selbst – und die hätten es nicht nötig
ORTWIN RUNDE, 60, ist SPD-Bundestagsabgeordneter und im Finanzausschuss. Er war in den 90er-Jahren in Hamburg erst Senator für Arbeit, Gesundheit und Soziales und später als Senator für Finanzen tätig. Von 1997 bis 2001 war er Bürgermeister der rot-grün regierten Hansestadt. In dieser Funktion war er auch Vorsitzender des Vermittlungsausschusses – und hat unter anderem die „große Steuerreform“ von 2000 ausgehandelt.
taz: Herr Runde, Sie gehören zur SPD-Linken und Sie sitzen im Finanzausschuss. Was halten Sie von der Unternehmensteuerreform des SPD-Finanzministers Peer Steinbrück?
Ortwin Runde: Der kritische Punkt ist, dass die Reform zu Steuerausfällen führt. Dabei steht im Koalitionsvertrag, dass sie aufkommensneutral sein soll. Das ist auch durch viele SPD-Gremien beschlossen worden.
Steinbrück rechnet in den Anfangsjahren mit Steuerausfällen von 6,5 Milliarden Euro. Ist das auch Ihre Prognose?
Als alter Finanzer bin ich immer ein bisschen vorsichtig mit offiziellen Schätzungen. Wie hoch die Defizite tatsächlich ausfallen, ist hinterher kaum überprüfbar, weil letztlich alle Steuereinnahmen in einen großen Topf wandern. Wenn dann die Berechnungen stimmen, hängt das oft an der Wirtschaftsdynamik und hat mit der Exaktheit der Schätzungen weniger zu tun.
Das klingt wie ein politischer Blindflug.
Jedenfalls muss es nachdenklich stimmen, dass über die eingeplanten Defizite von 6,5 Milliarden Euro hinaus noch weitere Steuerausfälle zu erwarten sind: Nächste Woche wird der Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, und es sind schon diverse Veränderungen angekündigt worden. So will Kanzlerin Merkel den Mittelstand noch besser stellen. Der Mittelstand fährt aber seit der Steuerreform 2000 schon gut. Die niedrige Steuerbelastung ist nicht nur ein Phänomen bei den Großkonzernen, um es vornehm auszudrücken.
Die SPD-Linke will nächste Woche eine „Streitschrift“ gegen die geplante Unternehmensteuerreform beschließen. Aber die Koalition ist auf Ihre Stimmen doch gar nicht angewiesen. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass Sie noch etwas verändern können?
Frau Merkel hat diese Hoffnung doch offensichtlich auch. Sie macht ihre Unions-Parlamentarier jetzt scharf, dass sie im Bundestag noch Veränderungen durchboxen sollen.
Das sieht wie ein aussichtsloser Zweifrontenkampf für die SPD-Linke aus: gegen die Union und gegen die Befürworter des jetzigen Entwurfs bei den Sozialdemokraten.
Ich hoffe eben immer auf etwas Vernünftiges. Das sind keine Kampfspielchen ums Prestige.
Und wie wollen Sie die Gegenseite überzeugen?
Wir können uns diese Einnahmeausfälle schlicht nicht leisten. Das sehen auch viele Bundesländer so, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Allein wenn ich an das Urteil des niedersächsischen Finanzgerichts zur Pendlerpauschale denke …
… deren Kürzung wurde als verfassungswidrig eingestuft
… das sind alles Haushaltsrisiken. Da wird einem angst und bange. Oder denken Sie an die „Nacht der langen Gesichter“ am 3. Juli letzten Jahres: Damals wurde bei der Gesundheitsreform beschlossen, dass die Kassenbeiträge für Kinder künftig aus Steuermitteln finanziert werden. Das summiert sich auf 14 Milliarden Euro jährlich bis 2016. Wo soll das Geld herkommen? Die geplante Kinderbetreuung ist ebenfalls teuer. Man kann nicht dauernd mit Versprechungen umherlaufen und dann bei der Einnahmeseite Risiken einbauen. Wir brauchen eine Strategie der soliden Haushaltspolitik.
Ein sehr technischer Begriff. Von einem SPD-Linken hätte man eher einen flammenden Appell für mehr Gerechtigkeit erwartet.
Das eine hat mit dem anderen zu tun. Die große Gerechtigkeitslücke zeigt sich bei der geplanten Abgeltungsteuer, wenn ab 2009 alle Zins- und Dividendenerträge nur noch pauschal mit einem Satz von 25 Prozent besteuert werden sollen. Was man den Vermögenden mit der Reichensteuer aus der Tasche ziehen will, bekommen sie mit der Abgeltungsteuer wieder zurück. Es werden Leute wie ich entlastet, aber die haben es nicht nötig.
Finanzminister Steinbrück hofft, damit die Kapitalflucht ins Ausland zu vermindern.
Das hat schon bei der Steueramnestie nicht funktioniert. Aber bei diesem Thema hat sich in der Regierung jetzt die große Amnesie ausgebreitet.
Sollte man also die Reform der Unternehmensteuer ebenfalls ganz vergessen?
Nein, immerhin ist positiv zu vermerken, dass es künftig für die Unternehmen schwerer wird, ihre Gewinne ins Ausland zu verlagern. Auch die Stabilisierung der Gewerbesteuer ist gut, so können die Kommunen investieren.
Von Finanzminister Steinbrück fordern Sie eine seriöse Gegenfinanzierung. Wie wollen Sie also die Lücke von 6,5 Milliarden Euro schließen?
Als Erstes sollte die Abgeltungsteuer abgetrennt werden.
Das bringt aber nur 1,7 Milliarden Euro.
Außerdem sollte die Körperschaftsteuer von 25 nur auf 19 und nicht auf 15 Prozent sinken. Dieser Vorschlag ist übrigens nicht neu.
Bisher hat das Kabinett aber nicht auf Sie gehört.
Manchmal dauert es eben länger, aber dann kommt es mächtig.
INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN