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Archiv-Artikel

„Der EU-Austritt ist möglich“

INTERVIEW SABINE HERRE UND NICOLE MESSMER

taz: Herr Altmaier, Sie fordern ein europaweites Referendum über die EU-Verfassung. Warum?

Peter Altmaier: In den nächsten Monaten geht es zunächst darum, dass die Staats- und Regierungschefs sich rasch auf die Verfassung einigen – und zwar unter Beibehaltung ihrer Substanz. Sollte dies nicht gelingen, fordert die Europa-Union, dass die Bürger Europas über die Verfassung abstimmen. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Projekt an nationalen Egoismen in einzelnen Ländern scheitert.

Noch vor zwei Jahren waren Sie gegen eine Volksabstimmung über die Verfassung. Was hat sich seitdem geändert?

Ich war und bin gegen nationale Referenden über europäische Fragen. Denn es hat sich gezeigt, dass bei diesen stets nationale Themen im Mittelpunkt stehen. Beim gescheiterten Verfassungsreferendum in Frankreich war es die Unzufriedenheit über die Pariser Politik, beim Referendum in den Niederlanden hat sich die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes negativ ausgewirkt. Europäische Themen werden in Geiselhaft genommen für nationale Konflikte und Befindlichkeiten. Das wollen wir nicht länger hinnehmen. Zudem bietet ein europaweites Referendum die Chance für eine europäische öffentliche Debatte, wie es sie bislang noch nicht gegeben hat.

Soll das Referendum bindend für die Politik sein, oder werden die Parlamente doch wieder das letzte Wort haben?

Wir sollten uns jetzt nicht in juristischen Detaildiskussionen verlieren. Entscheidend ist, dass wir in allen Mitgliedstaaten eine breite Unterstützung für die Verfassung bekommen und die Regierungschefs sich über dieses Votum der Bürger dann nicht hinwegsetzen können.

Doch was passiert, wenn die Deutschen Nein zur Verfassung sagen? Treten wir dann aus der EU aus?

Wenn die Mehrheit der Bürger Europas Ja zur Verfassung sagt, soll sie in Kraft treten. Auch wenn die Bürger eines Landes – egal ob groß oder klein – Nein sagen. Die europäische Integration darf nicht dauerhaft von Neinsagern blockiert werden.

Das heißt, wenn es in einem Staat keine Mehrheit für die Verfassung gibt, muss dieser sie trotzdem akzeptieren?

Jedes einzelne Land, in dem die Verfassung abgelehnt wird, muss entscheiden, ob es diese dennoch annimmt oder aus der EU austritt. Diese Möglichkeit zum Austritt aus der EU steht im Übrigen auch in der Verfassung.

In Deutschland herrscht zurzeit eine europaskeptische Stimmung. So könnte das Verfassungsreferendum zu einer Abrechnung mit der gesamten EU-Politik werden.

Ich bezweifle, dass es in Deutschland eine europaskeptische Stimmung gibt. Es gab in der Vergangenheit Politiker in Bund und Ländern, die nicht den Mut hatten, sich offensiv zur Notwendigkeit europäischer Integration zu bekennen. Dies hat sich mit dem Amtsantritt der großen Koalition spürbar geändert. Deutschland macht heute eine betont proeuropäische Politik und hat damit Zustimmung bei den Partnern, aber auch in der Bevölkerung gefunden. Die EU-Skeptiker sind auf breiter Front auf dem Rückzug.

Umfragen sagen etwas anderes. Nur noch 42 Prozent der Deutschen haben ein positives Bild von der EU …

Das liegt auch daran, dass es bestimmte Probleme wie Demokratie- und Transparenzdefizite der EU wirklich gibt. Zu deren Abbau soll die Verfassung ja gerade beitragen, aber das wird sich erst nach ihrem Inkrafttreten zeigen.

Was, wenn die Verfassung in einem EU-weiten Referendum scheitert?

Dann müssen wir die Debatte über die weitere Integration von Neuem beginnen. Wir werden einen Ausweg finden, doch vielleicht ist es dann zu spät für die Lösung solcher Probleme wie Klimaschutz, Energiesicherheit oder Migration. Seit der Erklärung von Laeken im Dezember 2001, mit der die Staats- und Regierungschefs den Verfassungsprozess starteten, sind schon jetzt über sechs Jahre vergangen. Die Zeit wird knapp.

Bisher gibt es weder in Deutschland noch auf EU-Ebene die rechtliche Möglichkeit zu einen europaweiten Referendum.

Wenn unsere Unterschriftenkampagne Erfolg hat, werden die Staats- und Regierungschefs nicht darum herumkommen, sich damit zu beschäftigen. Um ein europaweites Referendum rechtlich zu ermöglichen, müsste ein Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten verabschiedet werden, eine Grundgesetzänderung in Deutschland wäre nicht nötig.

Doch der Bundestag müsste den Vertrag ratifizieren. Bei der letzten Debatte über ein Verfassungsreferendum gab es eine breite Nein-Koalition von Gerhard Schröder über Joschka Fischer bis hin zu Angela Merkel. Wo wollen Sie die Mehrheit hernehmen?

Damals ging es um direkte Demokratie auf Bundesebene, heute jedoch um ein europaweites Referendum. Dieses wird nötig, wenn die nationalen Regierungen vor der Aufgabe versagen, das Verfassungsproblem zu lösen.

Dennoch brauchen sie eine Mehrheit im Bundestag. Ist denn Angela Merkel für ein europaweites Referendum?

Im Augenblick arbeitet die Kanzlerin intensiv daran, das Verfassungsprojekt zum Erfolg zu führen. Die Chancen sind gar nicht so schlecht.

Wenn es nun zu einem Referendum über die EU-Verfassung kommt, wird es auch bei anderen wichtigen EU-Entscheidungen die Forderung nach einer Volksabstimmung geben. Beim EU-Beitritt der Türkei zum Beispiel.

Persönlich bin ich gegen Referenden über außenpolitische Fragen. Ein europaweites Referendum sollte nur über Grundsatzentscheidungen der EU stattfinden. Und auch nur dann, wenn die normalen Entscheidungswege nicht zu einem Ergebnis führen. In der Verfassung ist der Weg des Bürgerbegehrens vorgesehen. Ich meine, dadurch werden die Möglichkeiten zur Partizipation der Bürger ausreichend erweitert.

Ist der EU-Beitritt der Türkei etwa keine Grundsatzentscheidung?

Was eine Grundsatzentscheidung ist, wird die öffentliche politische Debatte zeigen. Ich glaube nicht, dass es auf europäischer Ebene regelmäßig Referenden geben wird.

Wann könnte das Referendum stattfinden?

Bis Ende des Jahres wollen wir europaweit eine Million Unterschriften sammeln. Bis dahin steht auch fest, ob sich die Regierungschefs auf die Verfassung geeinigt haben. Daher dürfte im ersten Halbjahr 2008 die Entscheidung fallen, ob es zu einem Referendum kommt. Dieses könnte zeitgleich mit den Europawahlen 2009 stattfinden. Ich denke, dass es für Staaten wie Großbritannien, die nationale Referenden über die Verfassung angekündigt haben, sehr schwer wird, gegenüber ihrer Öffentlichkeit zu erklären, warum sie ein europaweites Referendum ablehnen.