: „Richtiger Ansatz, falsche Reform“
Die große Koalition wird die Unternehmensteuer reformieren – und damit Konzernen Milliarden schenken und den Mittelstand belasten. Auch gegen die Steuerflucht hilft diese Reform nicht, so der grüne Steuerexperte Gerhard Schick
GERHARD SCHICK, 34, wurde über die grüne Landesliste für Baden-Württemberg 2005 in den Bundestag gewählt. Dort ist der promovierte Volkswirt und Steuerexperte Mitglied des Finanzausschusses. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Marktwirtschaft und Projektmanager bei der Bertelsmann Stiftung. Seit 2001 ist er Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft „Wirtschaft und Finanzen“ bei den Grünen.
taz: Herr Schick, heute entscheidet das Kabinett über die Körperschaftsteuer. Wie viele Milliarden Euro wird diese Reform kosten?
Gerhard Schick: Bis 2011 sind es knapp 7 Milliarden Euro, dann etwa 5 Milliarden jährlich.
Das sind die Zahlen von SPD-Finanzminister Peer Steinbrück. Er kann also rechnen?
Das kann ich nicht beurteilen. Es gibt ja nur die offiziellen Zahlen vom Bundesfinanzministerium. Deren Datengrundlage ist aber ziemlich wackelig.
Die große Koalition will den Steuersatz von 25 auf 15 Prozent senken – und damit Steuerflucht verhindern.
Der Ansatz ist plausibel, aber es ist falsch, dabei an die Großkonzerne Milliarden zu verschenken. Zumal die Reform vor allem von den kleinen Firmen bezahlt wird, indem etwa die degressive Abschreibung zurückgefahren wird. Das klingt jetzt sehr technisch, aber es bedeutet, dass Investitionen nicht mehr gleich zu Beginn zu einem großen Teil bei der Steuer geltend gemacht werden können. Gerade für den Mittelstand wird es schwieriger, neue Maschinen zu anzuschaffen. Außerdem passt diese Reform nicht in die politische Landschaft: Die Großunternehmen sollen weniger Steuern zahlen, gleichzeitig wird die Mehrwertsteuer erhöht.
Ende März wird das Gesetz im Bundestag eingebracht. Hoffen Sie auf eine Revolte der SPD-Linken?
Ein paar werden ihren Protest zu Protokoll geben – wie Hannelore Kraft, die neue SPD-Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen. Aber ich glaube nicht, dass es noch zu wesentlichen Korrekturen kommen wird.
Eigentlich ist es erstaunlich, dass sich die Grünen jetzt über die Reform der Unternehmensteuer aufregen. Schließlich hat Rot-Grün die Konzerne auch massiv entlastet. Der Satz der Körperschaftssteuer wurde sogar noch drastischer gesenkt – von 45 auf 25 Prozent.
Deswegen ist eine Entlastung jetzt ja nicht mehr nötig. Damals war die Steuerbelastung für die deutschen Unternehmen im europäischen Vergleich viel höher.
Aber vor der rot-grünen Steuerreform 2000 haben die Konzerne auch schon kaum Steuern gezahlt, wie Zahlen von 1999 zeigen. Im EU-Durchschnitt machten Steuern auf Gewinne von Kapitalgesellschaften 3,5 Prozent des Sozialprodukts aus – in Deutschland waren es damals aber nur 1,8 Prozent.
Wenn die reale und die nominale Steuerbelastung für Konzerne in Deutschland derartig auseinanderklaffen, dann liegt es daran, dass die Firmen ihre Profite über die Grenzen schaffen. Das Bundesfinanzministerium schätzt, dass jährlich 65 Milliarden Euro legal ins Ausland abfließen.
Dann hat die rot-grüne Steuerreform ja nur viel gekostet und nichts gebracht.
Ohne unsere Reform hätten wir heute riesige Steuerausfälle, weil völlig klar war, dass der Europäische Gerichtshof das alte System nicht akzeptiert, das Anlagen bei ausländischen Firmen benachteiligt hat. Aber Sie haben insofern Recht, als Gewinnverlagerungen durch die damalige Reform nicht beseitigt wurden. Auch die jetzt geplante Reform wird das nicht erreichen. Letztlich brauchen wir ein einheitliches europäisches Steuerrecht für Unternehmen. Nur so kann man die legale Steuerflucht ins Ausland wirklich verhindern.
Die EU-Steuerharmonisierung kommt aber überhaupt nicht voran, weil sich unter anderem Großbritannien und Irland sperren …
Trotzdem könnte man wenigstens mit einer Kerngruppe von vielleicht acht Staaten beginnen. Außerdem gibt es Maßnahmen, die Deutschland auch allein ergreifen könnte – zum Beispiel bei den Abkommen zur Doppelbesteuerung. Momentan werden Gewinne im Ausland in der Regel hierzulande nicht besteuert. Das macht zum Beispiel Dubai so attraktiv: Dort müssen Gewinne überhaupt nicht versteuert werden – der Satz liegt bei 0 Prozent. Wenn man also in Dubai Immobilienfonds kauft, muss man weder dort noch hier Steuern zahlen.
Und was schlagen Sie vor?
Den Vertrag mit Dubai kündigen! Es ist doch ungerecht, wenn Mittelständler hierzulande ihre Steuern zahlen, aber Gewinne in Dubai unversteuert bleiben. Stattdessen wurde das Abkommen letzte Woche im Bundestag um zwei Jahre verlängert – sogar mit Stimmen von WASG und PDS. Bemerkenswert, dass die Linkspartei für Steueroasen eintritt.
Um wie viele Milliarden geht es dabei?
Dafür gibt es keine genauen Zahlen. Aber Deutschland sollte es grundsätzlich so handhaben wie die USA – und das sogenannte „Anrechnungsverfahren“ anwenden. Gewinne aus dem Ausland würden dann hier ganz normal besteuert, und wenn sie auch schon in einem anderen Staat versteuert wurden, dann kann das beim Finanzamt angegeben werden.
INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN, STEFAN REINECKE