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Archiv-Artikel

Analysewerkzeuge für den Postkommunismus

Bukarest boomt, und rumänische Künstler werden im internationalen Kulturbetrieb nachgefragt wie noch nie. Kritische Gesellschaftstheorie aber hat einen schweren Stand – wenn überhaupt, dann wird sie fern der Hauptstadt betrieben. Ein Porträt des Verlages Idea, der in Cluj angesiedelt ist

Rumänien wandelt sich zurzeit von einem armen Land in ein Billiglohnland. Von Deutschland kommen seit dem EU-Beitritt jährlich vier Milliarden Direktinvestitionen. Rumänien liegt damit nach Italien auf Platz zwei. Auf dem Feld der Kultur hat diese Veränderung paradoxerweise einen Boom ausgelöst. Rumänische Autoren und Künstler sind international gefragt wie nie. Suhrkamp hat soeben die Rechte an den Arbeiten des literarischen Jungstars Filip Florian gekauft. Der Filmemacher Cristi Puiu erhielt 2005 für „Der Tod des Herrn Lazarescu“ einen Preis in Cannes. Seitdem gilt der rumänische Film unter Kritikern als Geheimtipp. In der Kunstszene zählen Dan Perjovschi und Mircea Cantor zu den Aufsteigern. Die Kultur ist die Putzkolonne des ökonomischen Umbaus der rumänischen Gesellschaft.

Die jungen Dichter, Künstler und Filmemacher in Bukarest, einer der lebendigsten und teuersten Metropolen in Europa, genießen die kapitalistische Zeitenwende, die ihnen Erfolg und Lifestyle brachte. Trotz ihres nationalen wie internationalen Erfolges ist eine grundsätzliche gesamtgesellschaftliche Analyse der Transformation sowohl bei den Exkommunisten als auch bei den Liberalen mehrheitlich unerwünscht. Protest oder Widerstand gelten in der jungen Generation zumeist als uncool, Nichtregierungsorganisationen und Bürgerrechtsbewegungen schmiegen sich an den liberalistischen Mainstream an. Mit anderen Worten: Die Gesellschaft normalisiert sich; sie nähert sich der trostlosen Situation im Westen an.

Weil sie den entfesselten Kräften des Liberalismus im Wege steht, entwickelt sich eine Kultur des kritischen Blicks nur zaghaft und punktuell und schwebt zudem in der permanenten Gefahr, in Lifestyle umgewandelt zu werden. In Rumänien besteht das grundlegende Problem der Verankerung einer Kultur des kritischen Blicks im gesellschaftlichen Leben sowie das Problem der fehlenden Institutionen und der mangelhaften Ausbildung. Die bestehenden kulturellen Institutionen und Einrichtungen, Universitäten und Akademien sind traditionalistisch ausgerichtet, weshalb die Wertschätzung für kritische Kultur in der Gesellschaft allgemein sehr gering ist.

Eine große Ausnahme bildet das Verlagshaus Idea Design & Print, das neben wichtigen Übersetzungen fremdsprachiger Autoren auch die Zeitschrift Idea arta + societate (Kunst und Gesellschaft) herausbringt. Angesiedelt im westrumänischen Cluj (Klausenburg) auf dem Gebiet des ehemaligen austro-ungarischen Imperiums mit mehrheitlich ungarischer Bevölkerung, bildet der kleine Verlag das intellektuelle Gegenzentrum zu Bukarest. Während in Bukarest der Humanitas Verlag mit Autoren wie Mircea Eliade dem Eklektizismus frönt und der mächtige Polirom-Verlag in Iași mit vierhundert Titeln im Jahr den Markt dominiert, hält Idea die Nische der kritischen Intellektualität besetzt.

Der Verleger Timotei Nadașan sagt programmatisch: „Wir lehnen Ästhetizismus, Akademismus und jede institutionalisierte Transzendenz wie die Religion strikt ab. Unser Verlagsprojekt distanziert sich auch von der so genannten Expertenkultur, die ein Symptom des seelenlosen Bürokratismus geworden ist.“ Das kleine Redaktionsteam, dem neben anderen bekannte Intellektuelle wie Ciprian Mihali und Adrian T. Sirbu angehören, bringt vor allem französische Theorie in Erstübersetzungen heraus, Roland Barthes, Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Michel Foucault und Jean-Luc Nancy, aber auch Hannah Arendt und Walter Benjamin, Peter Sloterdijk und neuerdings Giorgio Agamben.

Neue Buchreihen zu „Öffentlichkeit“ und „Postkommunismus“ sind für dieses Jahr geplant. Danach möchte man sich der amerikanischen Theoriebildung annehmen. Die hervorragend edierten und qualitätvoll ausgestatteten Bücher, die in Auflagen von rund sechshundert Stück und zu etwa 6 Euro verkauft werden, sollen als Agenten gegen den geschichtsblinden rumänischen Kulturrelativismus wirken. Die im Postkommunismus in Mode gekommene Vorstellung von der Neutralität jedweder Ideologie (derzeit Neoliberalismus), die wie ein gottgegebener Weltgeist über der Gesellschaft schwebt und das Leben den Profitinteressen des Kapitals unterwirft, kritisiert Nadașan als „Fiktion“. Die Verlagstätigkeit versteht er dagegen als „Theoriepraxis“ zur Analyse der postkommunistischen Lebensbedingungen.

Der Verlag, dem ein kommerziell erfolgreiches Druckhaus angeschlossen ist, wird von Nadașan mäzenatisch geführt, ebenso die dreimal jährlich publizierte Zeitschrift Idea arta + societate, die auf Rumänisch und Englisch erscheint und als eine der besten in Osteuropa gilt. Wenig erstaunlich also, dass sie Teil des Zeitschriftennetzwerkes der Documenta 12 ist. In diesem Jahr beginnt eine Kooperation mit dem renommierten Kunst- und Theorie-Verlag Walter König. Auch Idea ist damit im Westen angekommen. MARIUS BABIAS

www.idea.ro