: „Die USA müssen unsere Anführer sein“
Der radikale Islam ist eine totalitäre Gefahr für Europa, meint Ayaan Hirsi Ali. Um die Unterwanderung zu stoppen, sollten radikale Muslime konsequent abgeschoben werden – und Europäer bereit sein, „für die Freiheit zu sterben“
taz: Frau Ali, Sie vertreten die These vom „Kampf der Kulturen“. Ist diese Formel nicht zu schlicht, um alle Probleme zu erfassen – vom islamistischen Terror bis zur Integrationsdebatte? Reden Sie damit nicht erst jenen Radikalen das Wort, die sich im Krieg wähnen?
Ayaan Hirsi Ali: Dieser Konflikt existiert, ich rede ihn nicht herbei. Der Krieg hat längst begonnen – und es waren nicht die USA, die ihn erklärt haben. Er wurde von einer Gruppe im Namen einer Ideologie begonnen. Das macht diesen Krieg so verzwickt.
Und wer ist der Gegner?
Wir stehen vor keinem Gegner mit Uniformen auf einem Schlachtfeld, wo es leicht ist, die Schlechten und die Guten auszumachen. Heute kann Ihr Nachbar jemand sein, der unsere Werte zerstören will. Wir reagieren nur. Aber unsere Botschaft muss lauten: Wenn ihr unsere Werte zerstören wollt, dann werden wir uns verteidigen.
Und wie soll das gehen?
Wir befinden uns mitten in einem Konflikt der Wertesysteme. Tony Blair spricht von einem „unkonventionellen Krieg“ und von einem „Krieg um Werte“ – zwischen den Menschen, die die Freiheit lieben, die freie Individuen wollen, und denen, die die Welt dominieren wollen, in dem sie die Religion dazu nutzen.
In vielen europäischen Ländern gibt es Probleme mit der Integration von Einwanderern. Aber das kann man doch nicht ausschließlich als einen Kulturkonflikt beschreiben!
In vielen Ländern ist die Integration gescheitert. Das liegt daran, dass nie jemand den Immigranten und deren Kindern erklärt hat, dass sie eine Menge Rechte bekommen, aber damit auch eine Menge Pflichten verbunden sind. Doch unser Problem hat nur bedingt mit der Immigration zu tun. Wir stehen einer breiten, totalitären Bewegung gegenüber, die versucht, überall reelle Macht zu bekommen: in den Regierungen, den Gewerkschaften, den Universitäten bis hinunter zu den Familien. Sie wollen die Menschen beeinflussen, damit sie einen Islam leben, der nach einem Staat strebt, der auf den islamischen Idealen basieren soll. Wir müssen dies stoppen.
Wie geht das?
Wir müssen ganz klar verteidigen, wofür wir stehen. Und dann können wir hingehen und sagen: Okay, ein Teil des Problems ist die Immigration. Also erlauben wir nur denen nach Europa zu kommen, die unsere Regeln und Werte verstehen und annehmen.
Und was ist mit Muslimen, die in Europa leben oder hier geboren wurden und sich dann radikalisieren?
Wir können nur einen Teil ausweisen. Sie haben Recht, viele haben bereits die Staatsangehörigkeit. Sie zu erhalten, war bisher viel zu leicht. Die Staatsangehörigkeit muss künftig ein gesellschaftlicher Vertrag sein: Sie stimmen unseren Werten zu, sie sind politisch loyal – dann sagen sie das auch. Im gegenteiligen Fall gibt es keine Staatsangehörigkeit. Und so bald sie beginnen, unser System auszuhöhlen, werden sie abgeschoben.
Für Sie ist nicht nur der muslimische Fundamentalismus, sondern der ganze Islam das Problem. Halten Sie ihn denn nicht für reformierbar? Es wird ja viel von einem „europäischen Islam“ geredet.
Wenn die Menschen, die sich als Muslime begreifen, willens sind, den Koran endlich als Buch zu akzeptieren, das von Menschen geschrieben wurde und nicht das Wort Gottes ist. Und wenn sie einsehen, dass der Prophet Mohammed im 21. Jahrhundert nicht für alles ein Vorbild ist: Er kann auf keinen Fall als Vorbild dafür dienen, wie Frauen und die Individuen im Allgemeinen behandelt werden.
Sie verstehen sich als Frauenrechtlerin. Was müsste Ihrer Ansicht nach konkret geschehen, um die Situation muslimischer Frauen zu verbessern?
Wir müssen mit dem radikalen Islam in einen Wettstreit um Werte treten. Und wir können unseren Teil zur Befreiung der muslimischen Frau beitragen, indem wir dafür sorgen, dass sie finanziell unabhängig wird und über ihren Körper und ihre Sexualität frei bestimmen kann. Das ist der beste Weg, etwas für die Entstehung eines freien, modernen, europäischen Islam zu tun.
Sie leben jetzt in den USA und arbeiten in dem neokonservativen Thinktank „American Enterprise Institut“. Haben Sie dort jetzt Ihre ideologische Heimat gefunden?
Die USA müssen unsere Anführer sein. Denn ich will in keiner Welt leben, die von China, den arabischen Ländern oder Russland angeführt wird. Wir leben in keiner perfekten Welt – aber ich denke, es ist die beste Welt, die wir bisher hatten.
Und diese Welt muss sich mit allen Mitteln zu Wehr setzen – zur Not mit Krieg?
Diejenigen, die die Freiheit wollen, müssen in letzter Konsequenz bereit sein, für die Verteidigung dieser Freiheit und deren Institutionen zu sterben. Nur dann können wir diesen Krieg gewinnen.
INTERVIEW: REINER WANDLER