: Von Smithfield zur Folter
AUS SMITHFIELD JOHN GOETZ UND ISABELLA KEMPF
Einen fragwürdigen Ruf hat die Gegend in North Carolina schon länger: Bis Ende der 70er-Jahre begrüßte Johnston County seine Besucher noch mit Anschlagtafeln, auf denen neben einem Willkommensgruß „This is Klan Country“ stand. Von hier aus, aus Smithfield, startete vor etwas mehr als drei Jahren das Flugzeug, mit auch der Deutsche Khaled El Masri aus Mazedonien verschleppt wurde.
Der Weg auf dem Highway 70 von Raleigh, der Hauptstadt des Bundesstaates, Richtung Süden führt durch eine eintönige Landschaft: Tankstellen, Industrieanlagen, am Horizont Wassertürme aus den 50er-Jahren. Biegt man schließlich in Smithfield rechts ab und fährt eine Reihe von Neubausiedlungen entlang, kreuzt man auch die Swift Creek Road. Hier weist ein Schild den Weg zum Johnston County Airport. Ortsfremde, die sich dem Gelände nähern, werden schräg angeschaut. Beim zweiten Mal schreibt sich sogar jemand das Autokennzeichen auf, dann greift er zum Handy.
Das Misstrauen ist nicht ganz unbegründet. Denn kaum jemand würde vermuten, dass sich auf diesem winzigen Flughafen, hinter den Türen der Firma Aero Contractors, die Zentrale des geheimen Kidnapping- Programms der CIA befindet. Aero Contractors gilt als Nachfolgefirma von Air America, die bis in die 70er-Jahre hinein als Airline der CIA operiert hat. Heute starten von hier aus Maschinen nach Kabul, Amman oder Kairo. Auch Ibiza, Mallorca und die Kanarischen Inseln werden angesteuert.
Die Passagiere sind in Johnston County zu Hause und sie haben besondere Missionen zu erfüllen. Dafür buchen sie aber keine regulären Linienflüge, sondern Luxusmaschinen, etwa die Gulfstream V oder Boeing Business Jets, ausgestattet mit Badezimmer, Doppelbetten und Konferenztischen. An Bord befinden sich in der Regel nur ein Dutzend Personen, einschließlich der Piloten. Die meisten von ihnen sind im Besitz besonderer Reiseunterlagen, ihre Passnummern beginnen mit einer 90 – Zeichen für den Diplomatenstatus.
Von Smithfield aus fliegen allerdings nicht Mitarbeiter des State Department, sondern mit Tarnnamen versehene CIA-Agenten (siehe Seite 3). Ihr Auftrag ist es, vermeintliche Terroristen wie Khaled El Masri zu verschleppen und in die vom US-Geheimdienst oder in dessen Auftrag geführten Foltergefängnisse zu bringen. Auch Guantánamo steht immer wieder auf ihrem Reiseplan.
Seit einem Jahr jedoch ist es vorbei mit der beschaulichen Ruhe am Flughafen. Jeden Sonntag kommen Aktivisten von „Stop Torture Now“ hierher. Sie tragen orangefarbene Overalls wie die der Guantánamo-Häftlinge, und sie halten Transparente in die Luft: „Stop Torture Taxis“ steht darauf. Sie verteilen Flugblätter, auf denen es unter anderem um Khaled El Masri und seine Geschichte geht. Er ist einer der wenigen, der aus dem amerikanischen Gulag zurückgekommen ist. Immer ganz vorn dabei bei den Protesten ist Allyson Caison. Die Grundstücksmaklerin wohnt in der 6.000-Einwohner-Gemeinde Selma in einem alten Kolonialstilhaus. Auf ihrer geräumigen Veranda in der New Massey Street serviert sie ihren Gästen selbst gemachte Limonade.
In ihren praktischen Outdoor-Klamotten wirkt sie auf den ersten Blick nicht wie eine politisch engagierte Aktivistin. Die Mutter von zwei Söhnen ist in North Carolina aufgewachsen, die Familie ihres Mannes lebt seit Generationen in Johnston County. Nun hat sie zusammen mit 25 weiteren Bürgerinnen und Bürgern „Stop Torture Now“ ins Leben gerufen. Sie wollen erreichen, dass ihr Flughafen für die von der CIA durchgeführten „Rendition Flights“, die Überstellungsflüge, geschlossen wird und sich alle Beteiligten vor Gericht verantworten müssen.
„Als wir hörten“, erzählt Allyson aufgebracht, „was der Geheimdienst hier veranstaltet, und als wir dann auch noch mitbekamen, dass diese Entführungen bei uns ihren Ursprung haben, hatten wir gar keine andere Wahl. Wir mussten etwas unternehmen.“
Der Flughafen in Johnston County erhält finanzielle Unterstützung durch den Staat North Carolina, Steuergelder. Wie der Gouverneur den Menschen hier in die Augen schauen und gleichzeitig diese illegalen Aktivitäten subventionieren kann, ist für Allyson unverständlich. „Quasi mitten unter uns befindet sich die Zentrale dieser gewaltigen Foltermaschinerie – und wir finanzieren das Ganze indirekt auch noch mit.“ Manchmal schämt sie sich für ihr Land.
Mit dieser Haltung allerdings vertritt sie eine mutige Außenseiterposition – und das, obwohl sie in ihrem Beruf auf das Wohlwollen ihrer Kunden angewiesen ist. Kollegen haben sie schon verhöhnt, die Aktionen von „Stop Torture Now“ sarkastisch kommentiert. Sogar in ihrer Kirche musste sie sich bereits Bemerkungen anhören. Jesus habe Folter doch auch unterstützt, sagte ein Gemeindemitglied zu ihr. Und in der Lokalzeitung wurden sie und ihre Mitstreiter als „Amerikahasser“ und „Übeltäter“ bezeichnet. „Der Autor dieses Artikels wohnt quasi gegenüber“, erzählt Allyson. Es sei schon ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass die Nachbarn so über einen denken.
Tatsächlich scheinen die meisten Leute hier kein Problem damit zu haben, dass der Flughafen von der CIA als Drehscheibe für die „Rendition Flights“ genutzt wird. „Sehen Sie“, sagt ein Anwohner, während er eine Pause vom Rasenmähen macht, „ich bin total gegen die Terroristen. Was immer nötig ist, auch wenn es Freiheitsrechte verletzt: Wir müssen sie loswerden.“ Und ein anderer erklärt: „Meine Sicherheit kommt zuerst, dann mein Land – und sonst können die machen, was sie wollen.“ Er steigt in seinen Wagen und fährt davon.
Bei ihren Protesten vor dem Flughafengelände wird Allyson von ganz unterschiedlichen Menschen aus Johnston County begleitet: Der harte Kern von „Stop Torture Now“ besteht aus ihr, Hedy Epstein, einer 81-jährigen Holocaust-Überlebenden, Bernadette O’Neill, einer 17-jährigen Schülerin, fünf Mitgliedern der „Catholic Worker“, Reverend William Finlater, einem Anwalt der Bürgerrechtsbewegung und zwei Hochschuldozenten.
Einer von ihnen ist Jerry Surh. Der 67-Jährige ist koreanischer Abstammung und lehrt russische Geschichte an der North Carolina State University in Raleigh. Er meint: „Auch wenn ich mir bewusst bin, dass eine kleine Gruppe wie wir die politischen Geschicke dieses Landes kaum beeinflussen kann, weiß ich doch, dass ich gegen diese Ungerechtigkeit vor meiner Haustür protestieren muss“, sagt Surh. Ihn erschüttert, wie gleichgültig seine Studenten in dieser Angelegenheit sind.
Er hingegen hat die Folgen seines Tuns schon zu spüren bekommen. Vor einem Jahr mussten sich 14 Mitglieder von „Stop Torture Now“ wegen unerlaubten Betretens des Flughafengeländes vor Gericht verantworten. „Wir haben friedlich protestiert“, erinnert sich Surh. „Aber die Polizei hat unsere Demonstration trotzdem aufgelöst und ging dabei hart vor.“ Er sagt, das CIA-Sicherheitspersonal habe die Demonstranten sogar mit Elektroschockwaffen bedroht. Danach wurden sie verhaftet und einen Tag lang im Gefängnis festgehalten. Erst nach langen Einzelverhören ließ man sie auf Kaution frei.
Zwei Monate später fand die Verhandlung stand. Zum ersten Mal überhaupt war das Bezirksgericht mit einem derartigen Fall befasst: Politische Proteste gibt es in Johnston County normalerweise nicht, schon gar nicht mit 81-jährige Großmüttern auf der Anklagebank. Die Beschuldigten verteidigten sich bei der Verhandlung selbst. Sie hätten diese Aktion durchgeführt, weil sie ein Verbrechen verhindern wollten, an dem auch der Staat North Carolina beteiligt sei, erklärte die 17-jährige Bernadette selbstbewusst dem Richter.
Sie und ihre Mitstreiter haben im Gegenzug Strafanzeige gegen das Management von „Aero Contractors“ erstattet. Es sind ihre Nachbarn. Das Unternehmen ist Nachfolger der von der CIA kontrollierten „Air America“, die während des Vietnamkrieges verdeckte Operationen in Südostasien durchführte. Nach außen tritt „Aero Contractors“ als zivile Fluggesellschaft auf.
Auch den Weg über das Parlament hat die Organisation zu gehen versucht. „Stop Torture Now“ konnte zwölf Mitglieder des Repräsentantenhauses von North Carolina davon überzeugen, einen Brief an die Direktorin des State Bureau of Investigation (SBI) zu verfassen. Darin wird sie aufgefordert, ein Ermittlungsverfahren gegen „Aero Contractors“ einzuleiten – unter anderem wegen der Entführung Khaled El Masris.
Eine der Unterzeichnerinnen ist die Abgeordnete Jennifer Weiss. „Zwölf Abgeordnete, die den Staat dazu bringen wollen, in diesem Fall zu ermitteln – das ist für North Carolina schon eine kleine Sensation“, gibt sie zu. Bisher hat das SBI eine Untersuchung jedoch abgelehnt – mit der Begründung, derlei falle nicht in ihren Aufgabenbereich.
Allyson glaubt weiter daran, dass ihr Einsatz gegen die „Torture Taxis“ irgendwann etwas bewirkt. Sie erinnert sich an die Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den Sechzigerjahren: „Proteste haben in diesem Land schon Dinge bewirkt, von denen man glaubte, dass sie sich nie ändern würden.“