: Das Wunder von Kiel
Politische Debatten wie über die Gesundheitsreform können durch einseitige Berichterstattung in eine wirtschaftsfreundliche Richtung gedrückt werden. Das ist Ergebnis einer neuen Studie
Von Peter Nowak
Über Wochen haben die Medien ausführlich über den Streit der großen Koalition um die Gesundheitsreform berichtet. Waren dabei einige der Medien gar Teil einer Kampagne, mit der die Gesundheitsreform in eine wirtschaftsfreundlichere Richtung getrieben werden sollte?
Was sich zunächst wie eine Verschwörungstheorie anhört, hat einen realen Kern, meinen Sabine Nehls und Magnus-Sebastian Kutz. Die Mitarbeiter des Instituts für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg haben sich mit dem Einfluss neoliberaler Denkfabriken und Institute auf die Medienberichterstattung befasst.
Ihre Analyse ist ernüchternd. Vor allem die 1999 gegründete „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) habe ihre Kampagnenfähigkeit in der letzten Zeit erheblich erweitern können. Dazu trage der jährliche Etat von 8,8 Millionen Euro bei, der dem neoliberalen Thinktanks zur Verfügung steht, so Sabine Nehls gegenüber der taz.
Die Berichterstattung über die Gesundheitsreform ist für sie ein gutes Beispiel für die PR-Arbeit des neoliberalen Instituts. So wurde in den Medien über eine Kieler Studie berichtet, die milliardenschwere Belastungen für die unionsgeführten Bundesländer durch die Gesundheitsreform prognostizierten. Auf diese Studie stützte auch die bayerische Landesregierung ihre heftige Opposition gegen bestimmte, von ihr als sozialdemokratisch gebrandmarkte Elemente der Reform.
In den meisten Medien wurde allerdings nicht erwähnt, dass die Kieler Studie auf einer Pressekonferenz des INSM vorgestellt wurde. „War am 18. Dezember noch in einer Pressemitteilung von einer von der INSM in Auftrag gegebenen Studie die Rede, wird in einer flugs geänderten Mitteilung mittlerweile nur noch von einer Studie eines Kieler Wissenschaftlers gesprochen. Und so verschwindet auf wundersame Weise die INSM auch aus der Berichterstattung“, schreiben Nehls und Kutz.
Die beiden Hamburger MedienbeobachterInnen sehen hierin nur das jüngste Beispiel der INSM-Erfolgsgeschichte. Deren PR-StrategInnen würden das Bedürfnis der Medien nach griffigen Formulierungen und Aktualität aufgreifen. Die schmale Personaldecke bei vielen Medien lässt oft kaum Zeit für eigene Recherche, sodass auf die Texte von Institutionen wie dem INSM zurückgegriffen wird, so Kutz.
In der Regel werde die politische Einordnung des Instituts in den Medien weggelassen. Nur in sechs Prozent der untersuchten Fälle wurde korrekt vermerkt, dass es dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall nahe steht. Wird hingegen das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in den Medien zitiert, fehlt selten der Hinweis, dass es sich dabei um eine gewerkschaftsnahe Einrichtung handelt. Die Konsequenz liegt für Kutz auf der Hand. Wirtschaftsnahe Reformmodelle werden so als Ausfluss der gesellschaftlichen Vernunft hingestellt, während die Beiträge der Gewerkschaften als Wünsche einer bestimmten Interessengruppe wahrgenommen würden und so schon als verdächtig erschienen.