: „Ich kann nicht anders“
Die Diktatur in Usbekistan halten viele im Westen für ein Bollwerk gegen den Islamismus. Doch der Islamismus ist nur attraktiv, weil das Regime so repressiv ist, so der usbekische Menschenrechtsaktivist Bachtior Chamrajew
taz: Herr Chamrajew, derzeit besucht eine hochrangige Delegation aus Usbekistan Berlin – zum ersten Mal seit dem Massaker von Andischan 2005 als Präsident Karimow auf Zivilisten schießen ließ. Was erhofft sich Usbekistan von Deutschland?
Bachtior Chamrajew: Usbekistan ist auf Deutschland angewiesen, um die eingefrorenen Beziehungen zu Europa zu verbessern. Deutschland hat jetzt den Vorsitz in der EU inne, und Deutschland soll helfen Usbekistan aus der Sackgasse zu führen, in die sich das Land nach dem Massaker von Andischan befindet. Denn die usbekische Regierung hat verstanden, dass sie Europa braucht.
Wie soll sich die deutsche Regierung zu Usbekistan verhalten?
Ich bin für einen Dialog, nur sollten in diesem Dialog geopolitische Überlegungen mit den Menschenrechten Hand in Hand gehen. Die deutsche Regierung muss fordern, dass erst mal die über ein Dutzend in Usbekistan inhaftierten Menschenrechtler und Journalisten freikommen. Danach muss der Dialog auf gleicher Augenhöhe geführt werden, und man darf sich nicht von kurzfristigen geo- und machtpolitischen Interessen verführen lassen. Deutschland muss auf klaren politischen und wirtschaftlichen Reformen bestehen. Karimow verspricht seit 17 Jahren, dass es Reformen geben wird. Das hat sich ausgereizt. Das Land steht am Rande des Abgrunds. Wenn sich im nächsten Jahr nichts ändert, könnte die Gesellschaft zerbrechen.
Ist denn die Regierung unter dem usbekischen Präsidenten Islam Karimow überhaupt reformfähig?
Man kann Karimow nicht trauen. Er hat nach dem Massaker von Andischan Blut an seinen Händen. Es besteht die Gefahr, dass er die Deutschen genauso hintergeht wie damals die US-Amerikaner.
Wieso?
Er hat auch ihnen anfänglich Reformfortschritte versprochen, einige politische Häftlinge freigelassen und unabhängige NGOs zugelassen. Usbekistan benutzte auch damals die politischen Gefangenen als Verhandlungspfand mit dem Westen. An der Politik Karimows hat sich allerdings nichts geändert, und die USA mussten nach dem Massaker von Andischan Usbekistan verlassen.
Viele im Westen halten Karimow allerdings für ein Bollwerk im Kampf gegen den islamistischen Terror in Zentralasien.
Das Regime Karimow hat doch selbst dieses Situation erst geschaffen und künstlich befördert. Er braucht die islamische Bedrohung als Buhmann, um seine Macht zu rechtfertigen. Die Korruption und die Ausweglosigkeit in Usbekistan machen doch erst die Heilsversprechen der radikalen Gruppen für Jugendliche attraktiv. Aus meiner Erfahrung und der Geschichte Usbekistans hat hier ein radikaler Islamismus jedoch keine Chance. Wenn man uns die Möglichkeit gibt, normal zu leben und zu arbeiten, ohne die alltägliche Repression, die auch Bauern auf dem Land trifft, dann kann von einer radikalislamischen Gefahr keine Rede sein.
Herr Chamrajew, Sie setzen sich in Usbekistan für Menschenrechte ein. Wie reagiert die Staatsmacht darauf?
Ich werde bedroht und zusammengeschlagen, und nun haben sie sich an meinem Sohn Ichtior vergriffen. Ich soll der Welt nichts über die Folter, Gewalt und Willkür erzählen, die hier täglich vor sich geht. Im August wurde mein Sohn in eine Schlägerei verwickelt und dann verurteilt. Die Anklage und das Gerichtsverfahren widersprachen allen rechtlichen Normen. Im Gefängnis wird terrorisiert. Erst im Dezember wurde er böse zusammengeschlagen. Unser Anwalt hat während der Gerichtsverhandlung gesagt, dass Ichtior wegen meiner Tätigkeit vor Gericht stünde.
Ist das eine Vermutung Ihres Anwalts – oder hat Ihnen auch die usbekische Staatsmacht zu verstehen gegeben, dass Ihr Sohn Ihretwegen eingesperrt wurde?
Mein Sohn Ichtior, da besteht kein Zweifel, sitzt meinetwegen im Gefängnis. Sicherheitsleute haben mir offen gesagt, ich müsste nur den Mund halten, dann würde sich das Problem mit meinem Sohn lösen.
Warum tun Sie es nicht?
Ich kann nicht anders. Das ist in meinem Blut. Wenn ich Unrecht sehe, kann ich nicht schweigen. Was wird denn sonst aus unserer Gesellschaft? Erst schweige ich, dann schweigt ein anderer, und am Ende redet überhaupt keiner mehr. Deshalb werde ich nicht aufhören. Ich habe die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir irgendwann in einer gerechten und demokratischen Gesellschaft leben werden. INTERVIEW: MARCUS BENSMANN