: Ein Sieg der Lobby
SPD und Union einigen sich (mal wieder) auf letzte Details der Gesundheitsreform
AUS BERLIN ANNA LEHMANN
Die einen nennen es Durchbruch, die anderen Abbruch. Gestern vermeldeten die Verhandlungsführer von Union und SPD wieder einen Durchbruch bei der Gesundheitsreform. Ulla Schmidt nannte ihn wichtig. SPD-Vorsitzender Kurt Beck machte es nicht unter einem „endgültig“. „Diese Gesundheitsreform ist jetzt wirklich politisch über die Bühne“, sagte Beck. Die Kanzlerin ließ ausrichten, sie sehe die Einigung sehr positiv.
Und wie bei früheren Durchbrüchen im Sommer und Herbst 2006 hat auch dieser das wacklige Konstrukt Gesundheitsreform weiter ausgehöhlt. Die Mauer, die zuletzt noch zwischen beiden Koalitionspartnern stand, war die Reform der privaten Krankenversicherung (PKV). In der Nacht von Donnerstag zu Freitag zockten Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und die Gesundheitsexperten beider Parteien um ebenjenes Reförmchen.
Heraus kam: Die Veränderungen für die PKV werden um ein Jahr auf 2009 verschoben – ein Stich für die Union. Von dann an müssen die Privatunternehmen all ihren Versicherten und denen, die es werden könnten, eine Police zu bezahlbarem Preis und ohne Gesundheitscheck anbieten, den sogenannten Basistarif. Aber nur sechs Monate lang, dann wird der Basistarif praktisch wieder geschlossen – noch ein Stich für die Union. Der Wettbewerb, den sich die SPD so sehnlichst für die Privaten wünschte, bleibt so auf ein halbes Jahr beschränkt. Als Gegenleistung für ihr Einknicken bei den privaten Versicherungsunternehmen durfte Schmidt eine Versicherungspflicht präsentieren: „Für mich ist wichtig, dass zum ersten Mal jeder eine Krankenversicherung abschließen muss.“ Gewinner nach Punkten sind alles in allem die Union und die hinter ihr stehenden Interessenverbände.
Bitter äußerten sich gestern SPD-Linke wie Andrea Nahles: „Wir gratulieren der privaten Krankenversicherung, sie hat die beste Lobbyarbeit in Berlin“, sagte Nahles. „Und sie hat einen parlamentarischen Arm: der heißt CDU/CSU.“
Wie sehr die Sozialdemokraten um Ulla Schmidt ihre Maßstäbe in den vergangenen Monaten senkten, lässt sich daran ablesen, dass sie unmittelbar nach jeder Verhandlungsrunde neue Prioritäten setzten. War es im Sommer noch der Basistarif, den Schmidt als Verhandlungserfolg der SPD-Seite herausstellte, so ist es jetzt die Versicherungspflicht, die bisher nie jemanden interessierte. Und obwohl SPD-Fraktionsvize Elke Ferner der Ministerin den Rücken stärkte und von einem „Meilenstein in der Geschichte der Sozialversicherung“ sprach, konnte sie das Verhandlungsergebnis insgesamt nur als „tragfähigen Kompromiss“ bezeichnen. Von ihrem eigenen Credo, dass „Gesundheitspolitik immer Politik für 82 Millionen Menschen ist“, hat sich Schmidt in der letzten Verhandlungsnacht weit entfernt.
Relevant ist die Versicherungspflicht nämlich in erster Linie für jene 200.000 Personen, die heute ohne Versicherungsschutz sind. Das betrifft viele Selbstständige, die nicht in die gesetzlichen Krankenkassen dürfen, denen für eine Privatversicherung aber das Geld fehlt. Für sie werden die Hürden ab Juli dieses Jahres gesenkt. Dann ist der Standardtarif, den die Privaten bereits anbieten, auch für sie geöffnet. Dieses Netz mussten die Unternehmen für ihre versicherten Rentner knüpfen, damit sie nicht aus der Versicherung fallen, wenn die Beiträge ihre Renten übersteigen. Der Sozialtarif liegt in Preis und Leistung auf dem Niveau der gesetzlichen Kassen.
Ab 1. Januar 2009 gibt es dann den Basistarif: ein Leistungspaket wie bei den gesetzlichen Kassen zum Preis von maximal 530 Euro im Monat. Das ist nicht gerade billig, aber für chronisch Kranke, die in der PKV regulär noch höhere Prämien zahlen müssten, immer noch vergleichsweise günstig. Also machten die Unternehmen erfolgreich Druck, den Tarif nur für sechs Monate aufzumachen, um die Zahl der Wechselwilligen zu begrenzen. Nach dieser Frist dürfen privat Versicherte nur noch in den Basistarif, wenn sie über 55 Jahre alt sind und Bedürftigkeit nachweisen können.
„Die private Krankenversicherung bleibt als private Krankenversicherung erhalten“, so Unions-Gesundheitssprecherin Annette Widmann-Mauz (CDU) zufrieden. Noch besser findet sie, dass die Reform erst mit Inkrafttreten des Fonds kommt, also 2009: „So kann keiner den anderen über den Tisch ziehen.“
Das aber heißt: Wenn der Gesundheitsfonds entsorgt wird, gibt es auch keine Veränderungen für die PKV. Das ist nicht nur eine heimliche Hoffnung der Versicherungsunternehmen. Auch in den Regierungsparteien wurde in letzter Zeit immer lauter darüber spekuliert, dass der Fonds, die neue Inkassostelle für die Beiträge der gesetzlich Versicherten, womöglich nie eingeführt werde. Ohnehin ähnelt der Fonds bereits jetzt einem Sieb.
Und wie ernst es beide Parteien mit ihrer Reform meinen, zeigt allein dessen Zeitplan: Ein halbes Jahr vor den Bundestagswahlen, mitten im Wahlkampf, sollen die umstrittensten Regelungen gegen den Willen von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern eingeführt werden. Da muss noch erheblicher Widerstand durchbrochen werden.