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Archiv-Artikel

„Wahlkämpfe machen Gefängnisse voll“

Härtere Urteile sorgen für volle Haftanstalten: Der Strafrechtler Johannes Feest führt die steigenden Gefangenenzahlen auf zunehmenden Populismus von Politikern und Medien zurück. Manchmal, wie in Hamburg, laufe es aber auch umgekehrt

INTERVIEW NICO POINTNER

taz: Herr Feest, mit über 64.000 ist die Zahl der Strafgefangenen so hoch wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Wie eng ist es hinter deutschen Gittern?

Johannes Feest: Der neue Anstieg ist dramatisch. Die Zahl der Strafgefangenen ist in den letzten zehn Jahren um ein Fünftel gestiegen. Immer mehr Menschen werden eingesperrt.

Weil es mehr Straftaten gibt?

Nein. Die Gefängnispopulation wächst, ohne dass die Kriminalität steigt, die nahm teilweise sogar ab. Die Ursache findet man in den Gerichtssälen: Die Rechtsprechung ist sehr viel härter geworden, die Zahl der Inhaftierten mit lebenslänglicher Haftstrafe etwa hat sich verdoppelt. Je härter die Urteile und länger die Strafen, desto mehr Haftplätze sind belegt. Das ist der eigentliche Motor dieser Entwicklung.

Also weniger, dafür aber schlimmere Verbrechen?

Eher schlimmere Politiker. Es ist immer wieder ein Wahlkampfschlager, sich Verbrechensbekämpfung und härtere Gesetze auf die Fahnen zu schreiben. Durch die Medien greift diese Stimmung auf die Bevölkerung über, was das Thema für die Politik noch reizvoller macht. Es entsteht ein Teufelskreis, der sich immer weiter verstärkt. Das lässt die Justiz nicht unbeeindruckt. Richter sind auch nur Menschen.

Der Wahlkampf bringt die Verbrecher hinter Gitter?

Ja. Wahlkämpfe bieten genau das Klima, in dem diese Problematik gedeiht. Wir haben sie leider alle Nase lang. Deshalb sind längere Wahlperioden und weniger Wahltermine wünschenswert.

Das ist die eine Seite. Aber geht es unseren Gefangenen nicht trotzdem relativ gut?

Ich bin in vielen Knästen. Das sind meist unerfreuliche, übelriechende Plätze, die man keinem Bekannten zumuten will. Politiker haben lang genug unsinnige Begriffe wie „Hotel-Vollzug“ ins Spiel gebracht, für die ich nirgendwo ein Beispiel sehe.

Aber ist ein gewisses Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nicht auch gerechtfertigt?

Die Bevölkerung erhofft sich vom Strafrecht die Lösung aller Probleme. Kriminologen nennen das gerne eine „punitive“ Stimmung in der Bevölkerung. Nur wenige Menschen haben doch eigene Erfahrungen mit Kriminalität gemacht. Die meisten Leute trauen sich nicht aus dem Haus, nur weil sie gehört haben, dass es immer gefährlicher auf unseren Straßen wird.

Eine imaginäre Gefahr?

Die aber zu einer sehr realen Angst vor Verbrechen wird. Dabei wird das Leben zumindest in Deutschland immer sicherer. Hier zu leben ist in Sachen Sicherheit absoluter Luxus.

Was für Folgen hat die Überbevölkerung der Knäste auf den Gefängnisalltag?

Die spürbarste Konsequenz sind überfüllte Hafträume. Das Personal wird nicht aufgestockt und muss sich um mehr Gefangene kümmern. Hinter Gittern bauen sich so Spannungen auf, die sich irgendwann in einem großen Knall auflösen – und dann sind alle völlig überrascht. Einige aktuelle Skandale zeigen, dass sich das Verhältnis zwischen Bediensteten und Gefangenen verschlechtert, siehe den Foltermord in der JVA Siegburg. Das sind eindeutige Warnsignale.

Sie führen derartige Extremfälle auf die hohe Gefangenenzahl zurück?

Die Überpopulation ist noch weniger problematisch als der gleichzeitige Rückgang von Lockerungen im Strafvollzug. Resozialisierungsmaßnahmen wie der offene Vollzug haben dramatisch abgenommen. Für die Gefangenen ist das aber eine wichtige Chance, sich in einem langsamen Übergang an die Normalität zu gewöhnen. Geschlossener Vollzug bedeutet indes eine steigende Rückfallquote und weniger Entlassungen. Auch das ist politisch gewollt.

Um Kosten zu sparen?

Nein, der offene Vollzug ist sogar billiger. Doch er ist nicht nur finanziell von Vorteil: Lockerungen bedeuten weniger Spannungen im Knastalltag. Auch vorzeitige Entlassungen vermeiden Konflikte und führen auch zu mehr Platz in den Gefängnissen.

Handelt es sich bei den steigenden Gefangenenzahlen um eine bundesweite Entwicklung?

Nein, es gibt auch erfreuliche Gegenbeispiele. In Hamburg ist die Gefängnispopulation entgegen allen Erwartungen deutlich rückläufig. Sie ist in den letzten Jahren um 8 Prozent gesunken, während sich die Zahlen in anderen Ländern verdoppelt haben.

Wieso ausgerechnet in der Hansestadt? Wollten sich der frühere Justizsenator Kusch und die CDU dort nicht gerade mit einem besonders harten Strafrecht profilieren?

Ich erkläre mir das mit einem negativen „Kusch-Effekt“. Der ehemalige Justizsenator hat mit seinen Vorschlägen deutlich gemacht, dass er ein Extremist jenseits jedes konservativen Spektrums ist. So hat er die Richter gegen sich aufgebracht, die als eine Art Gegenbewegung den Strafrahmen nach unten ausgeschöpft haben. Ihr Protest waren mildere Urteile.

Wie wird es weitergehen?

Es kann jedenfalls nicht sehr viel schlimmer werden. Die Problematik wird abgeschwächt, sobald wieder andere Themen auf der politischen Agenda stehen. Grundsätzlich können wir unsere Gefangenen auf verschiedene Wegen aus den überfüllten Knästen herausbekommen. Eine Möglichkeit ist Resozialisierung. Die anderen sind Dachbesteigungen, Geiselnahmen und Aufstände.