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Archiv-Artikel

Erst Dürre, dann Krieg, dann Flut, dann Krieg

Der neue Krieg im Süden Somalias trifft eine Bevölkerung, die von einer Katastrophe in die nächste rutscht

„Die Lage ist schlimm. Sie ist seit fünfzehn Jahren schlimm“

BERLIN taz ■ „Wir können von Hunderten Toten und Tausenden Flüchtlingen ausgehen“, sagt Pascal Hundt, Somalia-Delegationsleiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Genaue Opferzahlen des neuen Krieges in Somalia liegen nicht vor, aber dass das Leid der Menschen weiter zunimmt, ist klar. „2006 war für die somalische Bevölkerung ein besonders schlimmes Jahr“, erklärt Hundt. „Zu Jahresbeginn hatten wir die schlimmste Dürre in einem Jahrzehnt, dann die Kämpfe in Mogadischu und schließlich die schlimmsten Überschwemmungen seit langem zusammen mit anhaltenden Kämpfen. Die Lage ist schlimm. Sie ist seit fünfzehn Jahren schon schlimm.“

Die Gebiete im Süden Somalias, wo Äthiopiens Armee zusammen mit Milizen der „Übergangsregierung“ aus Baidoa Richtung Hauptstadt vorrückt, sind bereits von verheerenden Fluten und Nahrungsmittelknappheit betroffen. Nach Angaben des Famine Early Warning Sytems Network (Fewsnet) sind 1,1 Millionen Menschen in Südsomalia auf Nothilfe angewiesen, die Hälfte davon wegen der Fluten. Die Fluten und nun die Kämpfe hätten die von Oktober bis Dezember laufende Pflanzsaison der Bauern durcheinandergebracht, und die Region stehe nun vor der vierten Missernte in Folge. Bereits jetzt stiegen die Lebensmittelpreise – Geld haben die meisten Menschen nicht.

Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) verkündete gestern früh die Einstellung seiner Lebensmittelabwürfe aus der Luft für Flutopfer in ansonsten nicht zu erreichenden Gebieten Südsomalias. Als Grund nannte man die von der Baidoa-Regierung verfügte Sperrung des Luftraums. Außerdem evakuierte das WFP seine 25 ausländischen Mitarbeiter aus der südsomalischen Hafenstadt Kismayo, die zum Herrschaftsgebiet der Islamisten gehört. „Wir wollten fast eine halbe Million Menschen erreichen“, sagte WFP-Sprecher Peter Smerdon. „Wir hatten seit Sonntag zwei Luftabwürfe gemacht, aber wir hatten gehofft, damit 1.000 Tonnen Nahrung liefern zu können.“

Die meisten Hilfswerke haben in der Vergangenheit gut mit den Islamisten zusammengearbeitet, die den von ihnen kontrollierten Ortschaften mehr Sicherheit brachten als die vorherigen Warlords. Während der jüngsten Flutkatastrophe, als die Flüsse Juba und Shebelle über die Ufer traten, gab es in Jowhar regelmäßige Treffen zwischen Hilfswerken und den lokalen Strukturen der Islamisten. Um Jowhar am Shebelle-Fluss wurden 15 Dörfer im November komplett unter Wasser gesetzt; in der Stadt unterhält das Hilfswerk Ärzte ohne Grenzen (MSF) eine der wenigen funktionierenden Kliniken der Region. Jowhar wurde gestern von Äthiopiens Armee eingenommen; seitdem gibt es keinen Telefonkontakt zu den verbleibenden lokalen Mitarbeitern, erklärt eine Sprecherin der zuständigen spanischen Sektion von MSF. „Die ausländischen Mitarbeiter wurden am Sonntag evakuiert“, sagt sie.

Das IKRK sagt, es gebe mit keiner der Konfliktparteien Somalias Probleme in der Zusammenarbeit. Auf die Frage, ob die Kämpfe die Aktivitäten des Roten Kreuzes eingeschränkt hätten, antwortet Hundt: „Im Gegenteil: Wir haben unsere Arbeit ausgeweitet.“

DOMINIC JOHNSON