: Grenzenlose Ausfuhr
AUS BERLIN BETTINA GAUS
Die Besitzer von Aktien großer Rüstungsunternehmen haben Anlass zur Genugtuung. Um mehr als 40 Prozent ist der Wert der aus Deutschland exportierten Kriegswaffen innerhalb eines einzigen Jahres – nämlich von 2004 bis 2005 – gestiegen. Politische Beschränkungen müssen Rüstungsexporteure kaum noch fürchten: Entwicklungsländer, Krisenregionen und Nuklearmächte erhalten militärische Güter aus Deutschland. Ebenso wie Länder, in denen die Menschenrechte missachtet werden oder in denen interne gewaltsame Konflikte toben.
All das geht aus dem gemeinsamen Rüstungsexportbericht der katholischen und der evangelischen Kirche hervor, der in Zusammenarbeit mit der hessischen Stiftung für Friedens-und Konfliktforschung erstellt und gestern in Berlin vorgestellt wurde. Die Studie eignet sich gut, um Karl Marx in einer grundsätzlichen Frage zu widersprechen: Offenbar geht es derzeit nicht in erster Linie um die Veränderung der Welt. Es ist schon ein großer Schritt getan, wenn man bereit und mutig genug ist, sie zu interpretieren.
Denn diejenigen, die diese Studie erstellt haben, mussten sich nicht einmal die Mühe machen, neue Zahlen selbst zu erarbeiten. Aufschlussreich genug ist bereits ein neuer, unbefangener Blick auf den Rüstungsexportbericht der Bundesregierung, der im September dieses Jahres vorgestellt wurde. Daraus ergibt sich, so die Studie, eine „Abkehr vom Grundsatz, Waffen nicht in Spannungsgebiete zu liefern“. Durchdekliniert wird das am Beispiel des Nahen Ostens und auch am Beispiel konkurrierender Nuklearmächte wie Pakistan und Indien.
Am vielleicht eindrucksvollsten aber offenbart sich das grundlegende Dilemma am Beispiel von Krisenregionen wie Afghanistan und dem Irak: Von der Pistole bis zum gepanzerten Militärfahrzeug wurden letztes Jahr Exporte in mehrstelliger Millionenhöhe genehmigt – eine vielleicht unvermeidliche, konsequente Folge des politischen Zieles, Polizei und andere Sicherheitskräfte auszubilden und vernünftig auszustatten. Andererseits heißt es in der Studie: „Von parallelen Schritten einer Demobilisierung bewaffneter Organisationen und einer Zerstörung vorhandener Waffenpotenziale ist nicht die Rede.“ Soll, unhöflicher formuliert, heißen: Es ist nicht auszuschließen, dass Pistolen, die – angeblich – für das Ziel verstärkter Sicherheit für die Bevölkerung geliefert wurden, am Ende zur Erpressung und Einschüchterung ebenjener Zivilbevölkerung verwendet werden.
Multinationale Richtlinien und Selbstverpflichtungen, wie etwa der EU-Verhaltenskodex für Rüstungsausfuhren, scheinen alte und neue Bundesregierung im Genehmigungsverfahren für vernachlässigbar zu halten. So wurden Rüstungsgüter in zahlreiche Staaten geliefert, in denen äußerst komplexe politische Bedingungen herrschen (s. Grafik).
Wie schwierig es ist, die Bundesregierung in diesem Zusammenhang auf eine gemeinsame Position festzulegen, erwies sich gestern auch auf der Pressekonferenz der Regierung. Die Sprecherin von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) wollte sich zu dem Bericht gar nicht äußern. Und der Sprecher von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) erklärte, Rüstungsexporte fielen nicht in die Zuständigkeit des Ministeriums. Das wird so schon stimmen.
Und ändert nichts daran, dass ausgerechnet die sogenannten Entwicklungsländer in steigendem Umfang die Empfänger von Rüstungsgütern sind. Die „klassischen“ Entwicklungsländer erhielten 2005 Güter im Wert von 911 Millionen Euro – gegenüber 429 Millionen Euro im Jahr zuvor. Ganz besonders begehrt: leichte und kleine Waffen. Die sowohl von Milizen als auch von Kriminellen gerne für eigene Zwecke genutzt werden – für deren Machtminderung seit Jahren immer mal wieder internationale Einsätze beschlossen werden. Mit Amphibienfahrzeugen.