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Archiv-Artikel

Die Leiche des Irak wird schon zerfleddert

Der schiitische Iran und das sunnistische Saudi-Arabien rivalisieren im Irak um Einfluss und unterstützen die jeweiligen Glaubensgenossen. Dies verschärft den irakischen Bürgerkrieg und sorgt auch in der saudischen Elite für Spannungen

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Beim Umgang mit der innenpolitischen Krise des Irak wird das Konkurrenzgebaren der Nachbarn Iran und Saudi-Arabien immer deutlicher. Saudi-Arabien, das von einem Zweckbündnis der Familie Saud und den erzkonservativen sunnitischen Rechtsgelehrten der Wahabiten regiert wird, ist von der Sorge um den wachsenden Einfluss der schiitischen Regionalmacht Iran regelrecht besessen, berichten arabische diplomatische Kreise.

Letzte Woche schrieb der in der saudischen Botschaft in Washington residierende Sicherheitsberater Nawaf Obaid in der Washington Post, dass Saudi-Arabien nach einem Rückzug der US-Truppen aus dem Irak massiv auf Seiten der irakischen Sunniten intervenieren würde, „um die von Iran unterstützten irakischen Milizen davon abzuhalten, die Sunniten abzuschlachten“. Für diese Indiskredition ist er inzwischen gefeuert worden.

Riad war noch mit Schadensbegrenzung beschäftigt, da veröffentlichten am Montag 30 prominente saudische islamische Rechtsgelehrte einen Aufruf zur Unterstützung der sunnitischen Brüder im Irak. Die Schiiten würden ansonsten in einer Verschwörung zusammen mit den Kreuzfahrern die Kontrolle übernehmen, schreiben die Scheichs, von denen viele über exzellente Beziehungen zum Königshaus verfügen. „Was mit Gewalt genommen wird, muss mit Gewalt zurückgeholt werden“, lautete die Schlussfolgerung. Begleitet wurde der Aufruf von Berichten, dass bereits viel privates saudisches Geld an irakische sunnitische Aufständische fließt, damit diese Waffen kaufen und sich auf einen Bürgerkrieg gegen die Schiiten vorbereiten können.

Dann berichtete die New York Times, dass der saudische König Abdullah den US-Vizepräsidenten Dick Cheney bei dessen Besuch in Saudi-Arabien vor zwei Wochen ebenfalls gewarnt habe, Saudi-Arabien würde direkt auf Seiten der irakischen Sunniten eingreifen, sollten die US-Truppen abziehen. Offiziell wurde dies sowohl von saudischer als auch von US-Seite dementiert.

Am Mittwoch folgte der rätselhafte Rücktritt des saudischen Botschafters in Washington, Prinz Turki al-Faisal. Der ehemalige saudische Geheimdienstchef diente seinem Land nur 15 Monate in der US-Hauptstadt, bevor er sich jetzt „aus familiären Gründen“ von dort zurückzog. Nun wird spekuliert, ob Turki vielleicht das Amt des kranken saudischen Außenministers Prinz Saud Faisal antreten könnte. Andere glauben dagegen, dass Turki einem Machtkampf innerhalb des Könighauses zum Opfer gefallen ist. Dabei soll es auch um die Frage gehen, ob Saudi-Arabien auf Seiten der Sunniten im Irak gegen den schiitischen iranischen Einfluss direkt intervenieren oder sich besser heraushalten soll. Turki hatte sich in den letzten Wochen immer wieder dafür ausgesprochen, dass die US-Regierung mit dem Iran Gespräche aufnimmt, um die Irakkrise zu lösen.

Manchen saudischen Medien scheint das der falsche Weg. „Der iranische Präsident Ahmedinedschad möchte dafür sorgen, dass Saudi-Arabien keine Rolle im Irak spielt, während er den Iran als großen Irakvermittler präsentiert“, kommentiert die Tageszeitung Scharq al-Aussat.

Die britische Times kritisiert ein mangelndes Bewusstsein der Amerikaner für die Sorgen der Saudis. „Der Bericht der Baker-Kommission war für Riad ein Schock und wurde dort als Signal für einen Wandel in der US-Politik aufgefasst – ein Wandel, der für die Saudis unwillkommene Folgen hätte“, so das Blatt. „Solange die Gewalt im Irak anhält, benötigt Washington die Erfahrung und den Rat von Freunden in der Region. Jeder ernste Zwist mit Saudi-Arabien hätte ernste Konsequenzen.“

Wie verzweifelt die Lage inzwischen im Irak ist, zeigt eine Umfrage des „Irakischen Zentrums für Forschung und Strategische Studien“, die gestern von al-Dschasira vorgestellt wurde. Für neun von zehn Irakern ist die Situation heute schlimmer als in der Vorkriegszeit. Die Sicherheitslage habe sich laut 95 Prozent, die politische laut 89 und die wirtschaftliche gemäß 79 Prozent der Befragten verschlechtert. Über 80 Prozent der 2.000 Befragten aus allen konfessionellen Gruppierungen des Landes bezeichnen ihre Regierung als „sehr schlecht“. Fast 40 Prozent haben kein Vertrauen darin, dass der Premier Nuri al-Maliki die Situation verbessern könnte. Jeder dritte Iraker glaubt auch, dass die regulären Sicherheitskräfte, die nun von den US-Truppen verstärkt ausgebildet werden sollen, nicht fähig sein werden, das Land zu kontrollieren.