: Wie Siegen das Rad neu erfindet
Wissenschaftler der Uni Siegen entwickeln das Wasserrad weiter. Aufgerüstet mit einigen Transistoren, Spulen und Transformatoren liefert es Strom wie aus der Steckdose. Die Siegener hoffen, dass es sich weltweit durchsetzt – im regenreichen Nordwesten von Äthiopien ebenso wie im Sauerland
Der teuerste Kaffee der Welt wird zur Zeit wohl in Siegen gekocht. In dem Wasserbaulabor der Universität ist eine konventionelle Kaffeemaschine zu Versuchszwecken an ein unkonventionelles Kraftwerk angeschlossen. „Um interessierten Journalisten etwas anbieten zu können,“ scherzt Jörg Wieland. Der Ingenieur hat mit einigen Studierenden ein Miniwasserkraftwerk gebaut. Gespeist durch einen mit einer Elektropumpe erzeugten Wasserstrahl, erzeugt es etwa 500 Watt.
Natürlich ist der Aufwand in diesem Fall unverhältnismäßig hoch. Doch das stört die Forschern aus dem Siegerland nicht weiter. Für sie ist das Wasserrad ein Beispiel dafür, wie künftig in vielen Ländern der Welt, in denen es kein flächendeckendes Stromleitungssystem gibt, Strom produziert werden könnte: mit Wasserkraft, dezentral, umweltfreundlich.
Gegenwärtig werden beispielsweise in Äthiopien Getreidemühlen mit Dieselmotoren angetrieben. Der Kraftstoff, vertrieben durch mächtige Kartelle, ist für die Landbevölkerung unverhältnismäßig teuer. Eine Kilowattstunde koste unter jenen Bedingungen bis zu einen Euro, erklärt Jörg Wieland. Importmehl sei da oft günstiger als heimische Produkte. Das Siegener Kleinstkraftwerk kann für viel weniger als einen Euro Strom und auch mechanische Energie erzeugen. Auch in Äthiopien – denn der Nordwesten des Landes ist sehr regenreich und verfügt über ein größeres Potenzial an Wasserkraft als Norwegen.
Einige Anforderungen muss das Siegener Kleinstkraftwerk auf jeden Fall erfüllen, berichtet Wieland. Um auch in unwegsamen Gegenden zum Einsatz zu kommen, muss es so weit zerlegbar sein, dass es mit einfachen Autos transportiert werden kann. Errichtung und Wartung müssen von jedem einheimischen Handwerkern zu erledigen sein. Das etwa 2,50 Meter hohe Wasserrad in der Unihalle in Siegen erfüllt all diese Bedingungen. LKW-Felgen bilden das Innere des Rades. Wie bei einem Fahrrad hält eine Speichenkonstruktion das Rad stabil. Schaufeln aus zwei Millimetern dickem Blech sind mit einer Tafelschere und einer Handkantbank manuell leicht zu erstellen.
Das Institut für Leistungselektronik und Elektrische Antriebe der Uni Siegen entwickelte den kompliziertesten Teil der Anlage. Die schwankende Stromstärke, die der Generator liefert, muss umgewandelt werden. Der Elektroniker Martin Schulz konzipierte für seine Dissertation gleich zwei Modelle. Eine Version besteht aus Transistoren, Spulen und Transformatoren und kann von jedem Dorfschmied zusammengebaut werden. Die digitale Version ist ein postkartengroßes Kästchen. Egal wie der Strom vorne hinein kommt, immer liefert das kleine Kraftwerk 230 Volt bei 50 Hertz Wechselstrom, versichert Schulz. Also Strom, wie er in Deutschland aus jeder Steckdose kommt.
Bei steigenden Energiepreisen könnte das Wasserrad auch für Europa interessant werden. Im Jahr 1850 gab es etwa 4.500 Wasserräder in Deutschland. Heute sind es unter 70. Die Standorte sind alle noch erhalten. Die Auflagen hierzulande erschweren allerdings einen Einsatz. So würden Wasserräder hier eine Fischaufstiegsanlage benötigen – eine Treppe für Lachse.
Die Forscher der Uni Siegen, die ihre Trafo-Mühle zu einem Großteil in ihrer Freizeit konzipieren, suchen nun nach einem Standort, an dem sie unter natürlichen Bedingungen ein größeres Wasserrad aufbauen und testen können. Eine Reise nach Äthiopien können sich die Techniker noch nicht leisten. Aber sie haben nun einen älteren Herren kennen gelernt, auf dessen Grundstück ein passendes Bächlein fließt. „Machen Sie einfach das Sauerland zum Entwicklungsland“, habe er den jungen Leuten einladend zugerufen, erzählt Jörg Wieland. LUTZ DEBUS