piwik no script img

Archiv-Artikel

Die mit den schwarzen Mappen

VON BAHMAN NIRUMAND

Man sieht sie oft auf belebten Straßen europäischer Großstädte: meist junge Frauen mit Kopftuch oder ordentlich gekleidete Männer, die Unterschriften für Demokratie und Menschenrechte im Iran sammeln. Sie sind beileibe keine Terroristen. Aber die schwarze Mappe, die sie in der Hand halten, hat es in sich. Sie enthält grauenhafte Bilder von Hinrichtung und Folter im Iran. Entsetzt darüber setzen nur allzu oft ahnungslose Passanten ihre Unterschrift unter Erklärungen, in denen mehr Freiheit und Demokratie im Iran gefordert wird. Und sie werfen Spenden in die Geldbüchsen ein, die die „Sammler für Freiheit und Demokratie“ ihnen entgegenhalten.

Eigentlich eine gute Sache, doch eine mit einem großen Pferdefuß. Mit der Unterschrift ist man einer unter vielen, die die Streichung der Volksmudschaheddin aus der Liste der Terrororganisationen fordern: einer Gruppe, die tatsächlich einmal eine iranische Widerstandsorganisation war, dann aber Jahre lang als Söldner Saddam Husseins unterstand und inzwischen ihre Dienste der CIA anbietet. Zugleich ist die Geschichte der Volksmudschaheddin die traurige Geschichte einer ideologisch verbrämten und nach Macht dürstenden Organisation, deren Führung mehrere tausend Menschen, die sich aus aufrichtiger Liebe zu ihrem Land den Volksmudschaheddin angeschlossen haben, in den Schlamm gezogen hat.

Die Volksmudschaheddin und ihr links orientiertes Pendant, die Volksfedajin, wurden Mitte der 1960er-Jahre gegründet, führten bis 1979 im Untergrund den bewaffneten Kampf gegen das Schah-Regime. Ihre Beteiligung an der Revolution brachte ihnen unter der Bevölkerung große Sympathien ein, beide Organisationen verfügten nach dem Sturz des Regimes über eine beachtliche Basis.

Doch obwohl sich die Volksmudschaheddin dem islamischen Lager zugehörig fühlten und die uneingeschränkte Führung Ajatollah Chomeinis akzeptierten, lehnten die neuen Herren, die Mullahs, es ab, sie an der Macht zu beteiligen. Es kam zu lokalen Kämpfen, die schließlich im Sommer 1981 in landesweit gewaltsame Auseinandersetzungen mündeten. Tausende Mitglieder der Volksmudschaheddin wurden verhaftet und zum Teil in den Gefängnissen hingerichtet. Gleichzeitig versuchte die Organisation vergeblich, das Regime durch Mordattentate und Terroranschläge gegen staatliche Einrichtungen zu schwächen.

Als 1981 die Auseinandersetzungen ihren Gipfel erreichten, flüchtete der Führer der Volksmudschaheddin, Massud Radschawi, gemeinsam mit dem in Ungnade gefallenen und abgesetzten Staatspräsidenten, Abol Hassan Bani Sadr, nach Paris. Dort gründeten sie gemeinsam mit einigen Oppositionsgruppen den „Nationalen Widerstandsrat“. Das Bündnis war nicht von langer Dauer. Erstens, weil die Volksmudschaheddin ihre Bündnispartner für ihre Ziele instrumentalisieren wollten. Zweitens, weil sich bald herausstellte, dass sie ohne Wissen ihrer Verbündeten mit dem Regime von Saddam Hussein über eine Umsiedlung in den Irak verhandelten. Bagdad sollte den Mudschaheddin Waffen geben, sie finanziell unterstützen und ihnen einen Radiosender, Räumlichkeiten und Stützpunkte zur Verfügung stellen.

Saddams Helfer

Saddam Hussein, der seit 1980 gegen Iran Krieg führte, willigte ein. Er hatte sofort die Chance erkannt, die Oppositionsgruppe als Söldner benutzen zu können. 1985 stellten die Mudschaheddin ein kleines Heer im Irak zusammen, mit dem realitätsfernen Ziel, iranisches Territorium zu erobern und schließlich das islamische Regime zu stürzen. Die Folgen waren fatal. Der zweimalige Versuch, über die Grenze zu marschieren, endete jedes Mal innerhalb weniger Tage mit einem blutigen Rückzug, bei dem hunderte der an den Kämpfen Beteiligten tot zurückgelassen wurden.

Nach diesen Niederlagen blieb den Volksmudschaheddin keine andere Wahl mehr, als sich in den Dienst der irakischen Armee und der Geheimdienste zu stellen. Bei der Niederschlagung der kurdischen und schiitischen Organisationen erwiesen sie sich als tüchtige Befehlsempfänger. Sie seien weit brutaler gewesen als die anderen Soldaten, beklagen Iraker.

All dies war für viele Mitglieder nicht nachvollziehbar. Die Organisation drohte, sich zu spalten. Um dem zuvorzukommen, ordnete die Führung eine so genannte „Kulturrevolution“ an. Jedes Mitglied musste sich einer rigorosen ideologischen Schulung unterziehen. Damit verwandelte sich die Organisation, deren Ideologie bis dahin eine Mischung aus Islamismus und Stalinismus war, in eine Sekte, in der den Mitgliedern blinder Gehorsam, uneingeschränkte Opferbereitschaft und grenzenlose Hingabe abverlangt wurde.

Der oberste Mudschaheddin heiratete die Frau seines Stellvertreters, der sich dafür scheiden lassen musste. Radschawi bezeichnete diese Zwangstrennung als einen „revolutionären Akt“ im Interesse der Organisation. Mit demselben Argument wurden zahlreiche Ehen zerstört und, noch schlimmer, Kinder von ihren Eltern getrennt.

Kult um Radschawi

Mariam Radschawi, die neue Gattin des Führers, wurde in den Rang der Präsidentin und Radschawi selbst, Ajatollah Chomeini nachahmend, in den Rang des Revolutionsführers gehoben. Von da an begann ein Personenkult, der mit der Zeit absurde Züge annahm. Die Wahnvorstellung des neuen Führerpaars kam in dem neuen Slogan der Organisation zum Ausdruck: „Iran Radschawi – Radschawi Iran“, was heißen soll, dass das Schicksal des Landes einzig in der Hand des Ehepaars liegt.

Wie weit dieser Personenkult reicht, zeigte sich im Juni 2003, als die französische Polizei Mariam Radschawi vorübergehend in Untersuchungshaft nahm. Dagegen protestierten mindestens zehn Mitglieder damit, dass sie sich selbst anzündeten. Zwei Frauen starben dabei. Nach ihrer Freilassung verkündete Mariam Radschawi: „Wir haben unsere Ziele erreicht und sind besonders stolz darauf, dass sich so viele für uns geopfert und sich selbst verbrannt haben.“

Mit Kritikern innerhalb der Organisation kennen die Volksmudschaheddin kein Pardon. Ihnen droht Einzelhaft und Folter – manchmal bis zum Tod. In einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vom Mai 2005 heißt es, fünf geflüchtete Mitglieder hätten erzählt, Jahre lang im irakischen Gefängnis Abu Ghraib verbracht zu haben. Und Hussein Sohani, auch ein Mitkämpfer, sei achteinhalb Jahre im Stützpunkt der Volksmudschaheddin in Einzelhaft gewesen, danach weitere zwei Jahre in Abu Ghraib, bevor er schließlich an den Iran ausgeliefert worden sei. Zeugen hätten auch berichtet, dass zwei Mitglieder nach Folterungen gestorben seien.

Während des Irakkriegs wurden die Lager der Mudschaheddin zunächst von der US-Armee bombardiert. Doch bald kam Washington offenbar der Gedanke, den Saddam Hussein schon fast zwei Jahrzehnte zuvor gehabt hatte – nämlich, die Volksmudschaheddin für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Nach einem Waffenstillstandsabkommen durfte die Organisation ihre Stützpunkte und zum Teil auch ihre Waffen behalten. Und da sie an dem Krieg unbeteiligt war, galten ihre Mitglieder unter Berufung auf die Genfer Konvention als „geschützte Personen“.

Im Dienst der CIA

Es war schon absurd, dass die Bush-Regierung, die dem internationalen Terrorismus den Kampf angesagt und den Sturz Saddam Husseins herbeigeführt hatte, ein Abkommen mit einer Organisation schloss, die sie selbst – und bisher auch die EU – als terroristisch eingestuft hatten und die zu den Befehlsempfängern Saddam Husseins gehörte. Der Waffenstillstand leitete eine Zusammenarbeit ein, die inzwischen recht weit gediehen ist. Wie weit, erzählte Ray MacGovern, ein Ex-CIA-Beamter vor kurzem dem ARD-Magazin „Monitor“. Auf die Frage, warum die CIA nun mit den Volksmudschaheddin zusammenarbeite, antwortete er: „Ich denke, weil sie vor Ort sind, und weil sie bereit sind, sich für uns einspannen zu lassen. Früher galten sie für uns als Terrororganisation. Und genau das sind sie auch. Aber jetzt sind sie unsere Terroristen.“

„Sie werden jetzt über die Grenze in den Iran geschickt“, sagte McGovern. „Für die üblichen Geheimdiensttätigkeiten. Sensoren anbringen, um das iranische Atomprogramm zu überwachen. Angriffsziele für die Luftwaffe markieren. Vielleicht auch geheime Lager einrichten und die Truppenstationierung überwachen. Und ein bisschen Sabotage.“ Die Ex-Pentagon-Beamtin Karen Kwiatkowski sagte in derselben Sendung: „Die Volksmudschaheddin sind bereit, Dinge zu tun, für die wir uns schämen müssten, und über die wir am liebsten schweigen. Doch genau für solche Aufgaben benutzen wir sie.“ MacGovern zweifelt nicht daran, das es sich bei den Volksmudschaheddin um eine terroristische Organisation handelt! „Aber es ist ein großer Unterschied, ob es meine oder deine Terroristen sind.“

Das ist die andere Geschichte, die nicht in der schwarzen Mappe der Spendensammler steht. Und übrigens: Es sind nicht nur ahnungslose Passanten, die ihre Unterschriften geben. Auch Parlamentarier aus verschiedenen Fraktionen, ja sogar PDS-Europaabgeordnete wie André Brie und Helmuth Markov stehen auf den Unterstützerlisten der Volksmudschaheddin.