: „Es geht darum, wer der Hausherr ist“
Den Palästinensergebieten steht ein Bürgerkrieg bevor, meint der Sicherheitsexperte Mordechai Kedar. Der Machtkampf zwischen Hamas und Fatah könnte zur politischen Trennung von Westjordanland und Gaza-Streifen führen
taz: Herr Kedar, zwischen dem Gaza-Streifen und Israel herrscht derzeit eine brüchige Waffenruhe. Erst im November war die israelische Armee dort wieder einmarschiert. Ist das denn wirklich notwendig gewesen?
Mordechai Kedar: Den Zeitpunkt für die Operation haben die Palästinenser selbst bestimmt: In dem sie Kassam-Raketen auf Israel abschießen, laden sie die israelische Armee förmlich zu sich ein. Die Hamas weiß genau, dass Israel nicht die Hände in den Schoß legen kann, wenn Kassam-Raketen auf seine Grenzstadt Sderot fliegen. Aber die Palästinenser tun das, um so die Konflikte in den eigenen Reihen zu beruhigen.
Nach monatelangen Verhandlungen zur Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit hat Präsident Mahmud Abbas diese kürzlich für gescheitert erklärt. Was steht einer innerpalästinensischen Einigung im Weg?
Es kann keine Nationale Einheitspartei geben, weil es keine Einigung gibt über das Verwaltungspersonal, über die Sicherheitsdienste und die Frage, welche Familie welchen Aufgabenbereich übernehmen wird. Wer wird ein Gehalt bekommen und wer nicht? Wer gibt den Sicherheitsdiensten Befehle: der Innenminister der Hamas oder der Präsident der Fatah?
Warum ist das so schwer zu klären?
Nach seiner Rückkehr in die Palästinensergebiete im Jahr 1994 hat Jassir Arafat die Autonomiebehörde mit Hilfe seiner eigenen Leute aufgebaut, die komplette Führung brachte er aus Tunis mit. Die Topanführer der Fatah haben sich die Minister aus ihrem Umfeld geholt, die Minister wiederum ihre Generaldirektoren und andere Mitarbeiter. So rekrutierte sich am Ende das komplette Verwaltungspersonal aus bestimmten Großfamilien: Ein Ministerium wurde nur von Leuten aus Hebron verwaltet, ein anderes von Leuten aus Nablus. Wenn du da einen Job wolltest, dann spielte keine Rolle, was du gelernt hast, sondern welcher Familie du angehörst. Wer einen Familienangehörigen im System hatte, brauchte sich um sein Auskommen keine Sorgen zu machen. Alle anderen mussten sich allein behelfen und haben entweder als Bauern gearbeitet, in Kleinunternehmen oder in Israel.
Das ging zwölf Jahre lang gut. Warum kommt es erst jetzt zu der oft so blutigen Konfrontation zwischen beiden Gruppen?
Das System hat so lange gut funktioniert, bis Israel Ende 2000 die palästinensischen Gebiete absperrte und damit der israelische Absatzmarkt für palästinensische Produkte und Dienstleistungen verschwand. Der private Sektor verlor seine Einnahmequelle und verarmte, während das Personal der Autonomiebehörde weiter seine Gehälter kassierte. Die neuen Arbeitslosen waren auf Wohlfahrt angewiesen, und hier sprang die Hamas ein. Viele Leute haben im Januar nicht aus ideologischen Gründen für die Hamas gestimmt – sondern schlicht, weil sie ihnen während der Intifada das Überleben ermöglicht hat.
Das erklärt das Wahlergebnis, nicht aber die jüngsten Straßenkämpfe zwischen Anhängern von Fatah und Hamas.
Der Kampf findet heute statt zwischen den dicken Fischen, die sich zwölf Jahre lang den Bauch vollgeschlagen haben, und den hungrigen Katzen, die auch ihren Teil abkriegen wollen und die nun auf Maßnahmen der neuen von ihnen gewählten Führung warten. Nur gibt es da ein Problem: Das alte Personal ist auf seinen Posten geblieben. Das gesamte Verwaltungssystem und auch die Sicherheitsdienste sind um bestimmte Leute herum errichtet worden. All diese Kommandanten und und ihre Leute sind bis heute auf ihren Posten, obwohl nun offiziell die Hamas das Oberkommando hält. Die Hamas kann ihr Mandat nicht umsetzen, solange die Fatah nicht kooperiert. Die Sicherheitsleute drohen damit, die Computer und Dokumente mitzunehmen, sollte die Hamas versuchen, sie aus ihren Büros zu vertreiben. Das würde bedeuten, dass die neuen Polizisten bei null anfangen müssten – ohne Verbrechensakten und ohne Daten aus dem Einwohnermeldeamt. Die Fatah-Leute weigern sich, ihre Posten aufzugeben, vom Generaldirektor bis hin zum einfachen Dienstboten. Das ist, was die Hamas erzürnt.
Wie reagiert sie darauf?
Sie hat eine neue Polizeimacht gegründet, die offiziell die Anweisungen vom Innenminister entgegennimmt. Damit hat wiederum Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ein Problem. Der Kampf geht letztlich darum, wer der Hausherr ist.
Spielen ideologische Differenzen dabei überhaupt keine Rolle?
So gut wie keine. Ein Palästinenser erschießt keinen anderen Palästinenser wegen dessen Meinung zu Israel. Israel ist schlecht für die Palästinenser, darin sind sich alle einig. Der Grund für die Schießereien ist der Machtkampf, der sich hinter politischen Slogans wie „Ja zur Anerkennung Israels“ versteckt. Entscheidend ist aber, wer die Behörden unter sich hat und wer das Geld kontrolliert.
Aber könnte die Hamas denn Israel anerkennen?
Nein. Die Hamas kann indirekt erklären, dass ein Teil Palästinas besetzt ist, aber niemals den Staat Israel auch „de jure“ anerkennen.
Die Hamas hat eine zehnjährige Waffenruhe vorgeschlagen. Warum lehnt Israel diesen Vorschlag ab?
Wenn die Hamas sagen würde: Wir erkennen den Judenstaat grundsätzlich an und müssen nur noch regeln, wo genau die Grenze verläuft. Lasst uns die Waffenpause nutzen, um das herauszufinden – damit hätte ich keine Probleme. Aber so ist es nicht. Israel soll für sie von der Landkarte verschwinden. Und im Schatten des temporären Friedens werden Waffen geschmuggelt, Waffen produziert und entwickelt, und zwar so, dass die Palästinensergebiete zum Hisbollah-Land werden.
Gibt es innerhalb der Hamas denn keine Unterschiede – etwa zwischen Ministerpräsident Ismail Hanijeh und dem Chef des Politbüros, Chaled Meschal, der in Damaskus sitzt?
Keine ideologischen. Hanijeh, der selbst in Gaza lebt und die Probleme der Bevölkerung dort kennt, ist aber etwas flexibler in der Frage der Waffenruhe, während Meschal permanent das Feuer schürt – vor allem, weil die Iraner das wollen. Die Iraner sind bereit, bis zum letzten palästinensischen Blutstropfen gegen Israel zu kämpfen.
US-Präsident Bush hat angekündigt, Palästinenserpräsident Abbas mit Waffen und dem Training seiner Truppen zu unterstützen. Halten Sie diese Parteinahme für richtig?
Es ist Teil der Vorbereitung auf den Bürgerkrieg, der nicht mehr abzuwenden ist. Es wird einen Bandenkrieg geben, bei dem es nicht um Ideologien geht, sondern schlicht um Geld und Macht.
Ist nicht eher ein Putsch der Fatah-Sicherheitstruppen gegen die gewählte Hamas-Regierung zu erwarten?
Wenn das passiert, würde es eine politische Teilung zwischen dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen geben. Im Westjordanland sind die Sicherheitstruppen der Fatah stärker, im Gaza-Streifen würde die Hamas die Oberhand gewinnen. Das wäre das Ende des palästinensischen Traums von einem gemeinsamen Staat im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Stattdessen gäbe es zwei Staaten: einen islamischen in Gaza und einen Fatah-Staat im Westjordanland.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL