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Archiv-Artikel

Erfolgreiches Modell in Turbulenzen

74-mal wurde im Norden das Prädikat „Schule ohne Rassimus“ vergeben. Obwohl allerorten betont wird, wie wichtig Präventions- und Aufklärungsarbeit gegen Rechtsextremismus ist, muss die Initiative um ihre Finanzierung fürchten

VON ANDREAS SPEIT

Am Ende spielte die Musik. „Aufmucken gegen Rechts“ wollten mehrere hindert Besucher am Samstagabend in der Verdener Stadthalle – und das zu Klängen der Bands „Super700“ und „Verground“ sowie von Rapper Smudo, dem Stargast des Abends. Beim Punk-Karaoke mit Noah Sow kamen viele Konzertbesucher spontan auf die Bühne. Die gemeinsame Message war eindeutig formuliert: „Neonazismus und Rassismus stoppen.“

Die überwiegend jugendlichen Gäste wussten, warum sie gekommen waren: „Die Nazis treten hier offen auf“, erzählte eine Schülerin. „Mit CDs und Schülerzeitungen“ hätten sie geworben. Ein Schüler berichtete: „An den Klamotten erkennt man sie nicht immer.“ Beide wussten von rechten Übergriffen in der niedersächsischen Region zu berichten. An diesem Abend allerdings wollten sie sich aber von den „braunen A…löchern“ nicht die Party vermiesen lassen.

Den ganzen Nachmittag bereits hatten sich Schülerinnen und Schüler beim „Aktionstag kontra Rassismus“ des Verdener Gymnasiums am Wall (GAW) mit rechten Ressentiments und neonazistischen Strukturen auseinander gesetzt. Nicht zum ersten Mal: Seit 2005 gehört das Gymnasium zum Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ (SOR-SMC). Am Eingang des Gebäudes in der Windmühlenstraße ist das Logo des Bundesprojekts angebracht. Dessen eigene Zukunft indes ungewiss: „Die Finanzierung ist bisher nicht geklärt“, sagt Eberhard Seidel, langjähriger taz-Redakteur und Geschäftsführer der SOR-SMC-Bundeskoordination in Berlin.

Zwar hat das Bundesfamilienministerium – auch aufgrund von öffentlichem Druck – unlängst die Mittel für den Kampf gegen Rechtsextremismus um fünf Millionen Euro aufgestockt. Zugleich wurde aber auch der Antragsrahmen erweitert. Der Kampf um die finanziellen Mittel wird für die laufenden Projekte schwieriger. Die „Schule ohne Rassismus“ erhält bisher an die 300.000 Euro jährlich. Diese Mittel sind befristet bis 2007. „Einen bestimmten Zynismus empfinde ich schon dabei“, sagt Seidel, „und ich sage: Jede Bevölkerung hat die Gesellschaft, die sie verdient.“ Und wenn sie nicht in der Lage sei zu sehen, dass 50 Kilometer Autobahn mit über 640 Millionen Euro mehr kosten, als in den letzten sechs Jahren in Maßnahmen gegen Rechtsextremismus investiert worden sei, sagt Seidel, „dann fällt mir eigentlich auch nichts mehr ein“.

Bundesweit haben 297 Schulen die Auszeichnung „Schule ohne Rassismus“ erhalten. In Niedersachsen gehören 52 Schulen dazu, in Bremen elf, in Schleswig-Holstein sind es sieben, in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg je zwei. 1995 griff die AktionCourage die aus Belgien stammende Idee auf. Kinder und Jugendliche, berichtet Seidel, wollten durchaus am gesellschaftlichen Leben partizipieren, hätten aber gleichzeitig eine kritische Haltung gegenüber Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen. SOR-SMC sei dagegen eine „alternative Partizipationsmöglichkeit“, bei der Ideen sofort umgesetzt werden könnten. Landauf, landab bemüht sich die Berliner Zentrale, Kooperationspartner zu finden, Materialien zu erstellen und Konzepte zu erarbeiten.

Mit dem Titel verschwänden indes nicht die diskriminierenden Denkmuster, weiß Seidel. Aber eine „Sensibilität“ werde geweckt: Längst ließen Eltern ihre Kinder gern auf „Schulen ohne Rassismus“ gehen, weil sie hofften, dass dort die Atmosphäre offener und freier sei. Seidel hat ebenso festgestellt, dass Firmen gern Jugendliche von solchen Schulen einstellten – „weil die sich für was engagiert haben“.

Ein Jahr vor der Auszeichnung hatten Schülerinnen und Schüler am Verdener GAW mit Projekten gegen Rechts begonnen. Auslöser war ein Störversuch von Neonazis bei einer GEW-Veranstaltung. Im Landkreis sorgte die Jugendlichen zudem, dass die NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ eine „Schuloffensive“ ausgerichtet habe. Seit im nahe gelegenen Dörverden das Neonazizentrum „Heisenhof“ besteht, wächst die neonazistische Szene in der Region. „Genau deswegen wollten wir keine kurzweiligen Aktionen machen“, erklärte am Samstag der 18-jährige Max Mätheling. So sei man auf die Idee gekommen, sich den „Schulen ohne Rassismus“ anzuschließen. Die antirassistischen Grundsätze der SOR-SCM unterschrieben schließlich 80 Prozent der Schüler und Lehrer am GAW. Die Patenschaft übernahm die taz. Bis heute setzen sich die Verdener Jugendlichen mit dem Thema Neonazismus auseinander. So berichten etwa NS-Opfer im Unterricht, und in einer selbst herausgegebenen Zeitung informierte die Schülerschaft unter anderem über Rechtsrock. Beim Aktionstag am Wochenende spielten sie Argumentationen gegen Neonazismus durch oder übten HipHop-Stücke ein. Unverständlich fand nicht nur sein Geschäftsführer Seidel, dass das Erfolgsmodell demnächst wohl um öffentliches Geld streiten muss.