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Archiv-Artikel

Kehrseite der Weltmusik

Alan Bishop ist einer der eigenwilligsten Aktivisten des amerikanischen Undergrounds. Auf seinem Label Sublime Frequencies veröffentlicht er Musik aus den popkulturell vergessenen Ecken der Welt

VON ANDREAS HARTMANN

Über Nordkorea wissen wir nicht viel. Das übliche halt: irrer Diktator, beinharter Kommunismus, Massenaufmärsche, Atombombe. Die Kultur des Landes, Musik, Theater, Film, ist so gut wie unbekannt. Kim Jong Il soll ein paar Opern geschrieben haben, das war es aber auch schon bald. Wie eine unerwartet bunte Postkarte aus einem unbekannten Land wirkt somit die Compilation „Radio Pyongyang: Commie Funk and Agit Pop from the Hermit Kingdom“. „Schmaltzy Synthpop, Revolutionsrock und frechen Kinderrap“ verspricht sie im beiliegenden Booklet. Das ist doch was: frecher Kinderrap aus Nordkorea, darauf hat man gewartet. Bislang wusste man nicht einmal, dass es in diesem traurigen Land überhaupt Musik jenseits von Märschen zu Ehren des großen Führers zu hören gibt, und dann gleich so etwas. Plötzlich eröffnet sich vor einem eine Welt aus wunderbar pathetischem Chorbombast und Synthiekitsch, einer Mischung aus einer Karaokeversion von Laibach und derzeit angesagtem Achtzigerjahre-Revival. Man kann auch Popmusik dazu sagen.

So lässig funky und grell poptrashig, wie hier der Soundtrack einer brutalen Diktatur erscheint, geht es in Nordkorea in Wirklichkeit natürlich nicht zu. Dieser Sampler bildet keine obskure Exotik authentisch ab, ist keine ethnografisch wertvolle Studie, sondern überhöht Klischees, bricht sie nach Belieben sofort wieder, spielt eher mit unseren Vorstellungen, als sie zu hinterfragen. Verwurstet wurden hierfür über Jahre hinweg beim nordkoreanischen Sender Radio Pyongyang mitgeschnittene Klänge und Musik. Das Ergebnis ist eine lustige Collage, „Motherland Megamix“ nennt sich eine Nummer, der „Sound of Nordkorea“ wird also präsentiert wie das Mixtape eines DJs. Und auf der Rückseite der CD grinst Kim Jong Il sein dämlichstes Grinsen.

Bizarr, schön, aufregend

Sublime Frequencies nennt sich das Label aus Seattle, das derartige Sampler veröffentlicht, die nirgendwo richtig einzuordnen sind. Fast alle dieser CDs sind unheimlich bizarr, aufregend, seltsam schön und machen vor allem ziemlich viel Spaß. Wer bereits die aktuelle Platte von Robbie Williams für ungewöhnlich und eigenwillig hält, sollte es mal mit diesen Schatzkästchen versuchen, baffes Staunen sei hiermit garantiert! Das Konzept des Labels ist vergleichbar mit dem, was auch die Szene rund um die sogenannte Weltmusik im Sinn hat: die Musik fremder Länder einem westlichen Publikum auf bequeme Art zugänglich zu machen. Doch was der Betreiber von Sublime Frequencies, Alan Bishop, von der Weltmusikszene hält, macht er unmissverständlich klar: „Sie ist der Feind, und zwar aus mehreren Gründen. Sie ist langweilig, korrupt, heuchlerisch, herablassend und manipulativ. Doch am schlimmsten ist: Es fehlt ihr an einer Vision.“

Nun ist unter „Weltmusik“ alles mögliche subsumierbar, der Begriff ist extrem schwammig. Doch fasst man sie so allgemein wie möglich, lässt sich sagen: Alle Musik, die nicht aus Europa oder Nordamerika kommt, ist Weltmusik. Und dann ist Sublime Frequencies, auch wenn Bishop mit dem Begriff so gar nichts anzufangen weiß, eine Art Kehrseite des Genres, das Schmuddelkind, das sich nicht um die kümmert, die es bereits geschafft haben, sondern um die, die einfach vergessen wurden.

Das Label stöbert am liebsten in den vermeintlich ödesten und vergessensten Ecken der sogenannten Dritten Welt, um die abartigsten Soundhybride und Kulturdurchkreuzungen wie verloren gegangene Grabbeilegungen zu bergen. Meist ist der Westen in diesen unzugänglichen Landstrichen bereits angekommen und hat seine Spuren hinterlassen, genau das ist ja das Gute daran. So bekommen wir Wagenladungen an Sufi-Beat, Burma-Pop, Psychedelic aus Sumatra, Trance Rock der Tuareg der Sahel Zone. Musik aus von Diktaturen zerrütteten Ländern, in denen Jimi Hendrix und die Beatles bereits einmal eine Rolle gespielt haben – es kann sich dort heute nur kaum noch jemand daran erinnern, wann das gewesen sein soll. Gefragt sind bei Sublime Frequencies Soundclashes, bei denen röhrende Hammondorgelsounds auf flirrende arabische Streicher treffen oder eine durchgeknallte Fuzzgitarre auf fernöstliche Rhythmen, bei denen einem beinahe schwindelig wird. Authentisch Folkloristisches ist nicht gefragt. Kein Wunder, dass Sublime Frequencies weniger in der Weltmusikszene beachtet wird als bei Popinteressierten, denen auch die Platten von Moondog oder Brother Ah nicht zu obskur sind.

Die Arbeit von Alan Bishop und seinen Helfern ist die von Archivaren. „Choubi Choubi! Folk and Pop Sounds from Iraq“ jubiliert eine dieser Archiv-Compilations voll mit „irakischen Musikstilen aus der Ära Saddam“: In den Siebzigern, man glaubt es kaum, wurden im Irak noch keine Selbstmordanschläge verübt, dafür rockte man, bis die Polizei kam. Oder die „Cambodian Cassette Archives“. Diese präsentieren „Khmer Folk and Pop Music“ aus Kambodscha, verstrahlte polyrhythmische Beatmusik aus den Siebzigern und Achtzigern. Das meiste davon wurde aufgenommen kurz nach dem Errichten der Schreckensherrschaft der Roten Khmer 1975. Zu der Zeit wurden die Künstler des Landes reihenweise hingerichtet, gefunden wurde die Musik somit auf Original-Kassetten von ins Ausland exilierten Kambodschanern.

Arbeit der DIY-Achivare

Zu beinahe jedem der unzähligen Sampler von Sublime Frequencies gibt es derart kuriose Hintergrundgeschichten, die dokumentieren, wie hier Musik mit großen Aufwand wahrhaftig geschürft wurde. Die Rede ist in den Booklets von Kontaktpersonen, die vor Jahrzehnten entstandene Musik gesammelt haben und ihre Privatarchive glücklicherweise nie entsorgt haben. Da wird von Taxifahrern in Bagdad berichtet, die Zugang zu der heißen Ware haben, einem „Mohammed aus Haifa“, der auf die Musik für die Compilation „Radio Palestine“ aufmerksam gemacht hat und der „aus Gründen, die wahrscheinlich nie mehr herauszubekommen sind“, wie es in dem Booklet der CD heißt, inzwischen verschollen ist. Die musikalischen Funde stammen dann oftmals von selbst im eigenen Land längst vergessenen oder verfemten Künstlern, nicht selten ist der Name eines Musikers, dessen Stück vielleicht auf einer verrotteten Cassette auf dem Rücksitz eines Taxifahrers gefunden wurde, überhaupt nicht mehr herauszubekommen.

Verschlungene Wege

Diese verschlungenen Wege, auf denen Sublime Frequencies oftmals fündig wird, haben dem Label bereits den Vorwurf eingebracht, unseriös zu arbeiten, die Dritte Welt auf der Suche nach den obskursten Fundstücken abzugrasen und zur großen Freude des Wohlstandswestens „auszubeuten“. Die meist unheimlich trashig und wild collagiert gestalteten CD-Cover tun ihr Übriges, um diesen Eindruck zu verstärken. Alan Bishop sieht die Sachlage jedoch völlig anders. „Dass wir unseriös arbeiten würden“, sagt er auf Anfrage, „das ist einfach nicht wahr. Wir bezahlen so viele Künstler wie möglich, wenn wir sie ausfindig machen können. Von den Einheimischen bekommen wir ausschließlich positive Reaktionen, weil sie wissen, dass wir das, was wir tun, mit Liebe tun.“

Außerdem führt er an, dass das Erstellen von Bootlegs in den Gebieten, für die sich sein Label interessiert, einen ganz anderen Stellenwert hat als bei uns. Kassetten würden dort andauernd wild kopiert, und niemand kümmere sich um Lizenzen. Musiker, die davon lebten, live aufzutreten, freuten sich vielmehr darüber, dass sie und ihre Musik Verbreitung fänden. Bishop beschreibt sich selbst als jemanden, der Zeit, Geld und Energie in sein Label steckt, das für ihn selbst finanziell nichts abwirft. Seine Arbeit stellt er dabei in eine Traditionslinie mit solch einflussreichen Labels wie Smithsonian Folkways oder Nonesuch Explorer, für die Soundforscher durch die ganze Welt und durch die entlegensten Wälder und Sumpfgebiete Amerikas reisten, um eigenwillige bis eigentümliche Musik ausfindig zu machen. So genannte field recordings wurden bereits 1952 von dem legendären Harry Smith zur „Anthology of American Folk Musik“ zusammengefasst, die heute als heiliger Schrein der klassischen amerikanischen Popmusik gilt und der nicht nur Bob Dylan alles verdankt. Smith, das sei noch angemerkt, hat sich übrigens nie um die Rechte für seine Aufnahmen gekümmert.

Alan Bishop ist der Harry Smith unserer Tage mit „Around the world“-Ticket, und ein echter Kauz ist er obendrein. Seit 25 Jahren sammelt er diese seltsame Musik aus aller Welt, sagt er, genauso lange, wie er in der oberobskuren Band Sun City Girls zusammen mit seinem Bruder und einem weiteren komischen Vogel spielt. Derzeit ist viel die Rede von einer neuen Bewegung des „weird folk“, von Typen wie Devendra Banhart, Neohippies mit Bärten, einem „anderen Amerika“, das den Geist Jack Kerouacs und Grateful Deads neu beschwört. Die Sun City Girls sind ganz bestimmt die Urväter dieser erneuerten Szene und gleichzeitig deren kuriosestes Abbild. Unzählige Platten und Kassetten gibt es von ihnen, erschienen auf den Kleinstlabels, voll mit der seltsamsten Musik zwischen Folk, Punk, Kraut, Schamanismus und, na ja: Weltmusik.

Bishop betrieb außerdem Anfang der Achtziger zusammen mit Moe Tucker, der Schlagzeugerin von Velvet Underground, die längst vergessene Band Paris 1942, spielt unter den Pseudonymen Alvarius B und Uncle Jim Platten im Fingerpicking-Gitarrenstil John Faheys ein und hat zuletzt eine Sammlung früher Soundtracks von Ennio Morricone zusammengestellt. Der Mann ist ein Unikat, einer der eigenwilligsten DIY-Aktivisten des amerikanischen Undergrounds. Und nun verliert er eben, so sagt er, bereitwillig Geld mit seinem Label, um „obskure Musik von kaum bekannten Teilen der Erde von großartigen Künstlern“ zugänglich zu machen. Einer müsste das ja machen. Aufgrund der übrigen Musikindustrie, der es nur um das Geld ginge, gäbe es leider nur eine Alternative zu seiner Forschertätigkeit. „Die Alternative“, so sagt er, „lautet ganz einfach: diese Musik nicht hören zu können.“

www.sublimefrequencies.com