: Menschheit schafft Sonne auf Erden
Verträge für Internationalen Forschungsreaktor zur Kernfusion (Iter) unterzeichnet. Forscher und Politiker erhoffen sich davon die Lösung des Energieproblems – gerade dann, wenn die Ölvorräte zur Neige gehen. EU zahlt fast 5 Milliarden Euro dafür
VON MAIKE BRZOSKA
Das internationale Projekt Iter zur Stromerzeugung aus der Kernfusion ist unter Dach und Fach. Gestern wurde der Vertrag zur Errichtung des 5 Milliarden Euro teuren Forschungsreaktors in Paris unterzeichnet. Von den Baukosten übernimmt die Europäische Union fast fünfzig Prozent. Weitere Projektpartner sind die USA, Russland, China, Japan, Indien und Südkorea.
Der Reaktor Iter (Internationaler Thermonuklearer Versuchsreaktor) wird im südfranzösischen Cadarache gebaut. Der Betrieb von 2018 an kostet weitere 5 Milliarden Euro. Eine kommerzielle Stromgewinnung wird frühestens in einem halben Jahrhundert erwartet. „Bis dahin werden noch zig Milliarden nötig werden“, kritisiert Hans-Josef Fell, Energiesprecher der grünen Bundestagsfraktion. Die Technologie stecke noch in den Kinderschuhen, obwohl man ihr seit 50 Jahren hinterher jage.
Die Kernfusion ahmt den in der Sonne ablaufenden Prozess nach, bei dem die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium unter Freisetzung großer Mengen Energie zu Helium verschmelzen. Damit die Atome fusionieren, müssen Temperaturen von rund hundert Millionen Grad erzeugt werden. Die Kernfusion setzt im Vergleich zur Verbrennung fossiler Energieträger aus der gleichen Ausgangsmenge millionenfach mehr Energie frei – genug für die gesamte Menschheit und ohne Kohlendioxid (CO2) freizusetzen, wie beteiligte Wissenschafter betonen. Im Iter wird daran gearbeitet werden, die Verschmelzung der Atomkerne zu steuern und Energie kontrolliert freizugeben.
„Das Risiko der Fusion ist gering“, meint Günter Janeschitz vom Forschungszentrum Karlsruhe. Selbst wenn das Gebäude – etwa durch ein Erdbeben – beschädigt würde, müsste nach den Vorgaben der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) nicht einmal jemand evakuiert werden. Radioaktiver Müll entstehe zwar, allerdings „muss dieser nur rund hundert Jahre zwischengelagert werden“, erklärt Janeschitz. Anders als bei radioaktivem Müll aus der Kernspaltung sei kein Endlager nötig.
„Das Risiko darf nicht unterschätzt werden“, meint Grünen-Sprecher Fell. Er plädiert dafür, „diese gigantischen Summen in die Entwicklung erneuerbarer Energien zu stecken“. Damit käme man weiter als mit Fusionskraftwerken. Das Problem radioaktiven Mülls entfalle auch.
Ulrike Flach, technologiepolitische Sprecherin der FDP, will die nationale Fusionsforschung dagegen weiter vorantreiben: „Es ist eine große Herausforderung für die Energieforschung.“ Grüne Technikfeindlichkeit sei ein schlechtes Signal für die deutsche Forschung, sagt sie.
Bei der Unterzeichnung gestern im Pariser Élyséepalast sprach der französische Staatspräsident Jacques Chirac von einem „außergewöhnlichen Abenteuer“. Wenn Iter gelinge, sei das Energieproblem in 50 Jahren gelöst – ungefähr dann, wenn die Ölvorräte der Welt voraussichtlich zur Neige gehen. „Das ist reichlich spät“, findet Fell.
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