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Archiv-Artikel

Erst hingerichtet, dann ausgeweidet

Auf einer Medizinerkonferenz in China gibt das Gesundheitsministerium zu, dass die Mehrzahl der transplantierten Organe von Exekutierten stammt. Über die Zahl der vollstreckten Todesurteile schweigt Peking. 1.770 waren es 2005, schätzt amnesty

AUS PEKING GEORG BLUME

Mabel Wu kümmerte sich nicht um die Bedenken ihres Facharztes. Gegen seinen Rat reiste die 69-Jährige aus Northridge, einer ruhigen Vorstadt von Los Angeles, im vergangenen Juli in die südchinesische Boomcity Dongguan in der Provinz Guangzhou. Dort wollte sie sich für 40.000 Dollar eine neue Niere beschaffen. Man teilt ihr bald nach ihrer Ankunft mit, dass diese von einem 30-jährigen Mann stamme. Mehr nicht. In dem Krankenhaus in Dongguan befanden sich noch vier weitere Patienten, alle aus Taiwan, die Nierentransplantationen hinter sich hatten. Nach ihrer Operation flog Wu zurück nach Kalifornien, „sehr glücklich“ mit der neuen Niere, wie sie der Los Angeles Times mitteilte.

Heute weiß Mabel Wu, dass ihre Niere wahrscheinlich von einem Todesstrafenopfer stammt. Was tausende westliche Transplantationstouristen auf ihren China-Reisen nicht wahrhaben wollen, ist nun offiziell bestätigt worden. Chinas schnell wachsende Transplantationsmedizin basiert auf dem Geschäft mit der chinesischen Todesjustiz. „Außer einem kleinen Teil von Verkehrsopfern stammen die meisten Organe von hingerichteten Gefangenen“, sagte der chinesische Vizegesundheitsminister Huang Jiefu in der letzten Woche auf einer Chirurgenkonferenz in Guangzhou.

Zuvor hatte das Pekinger Gesundheitsministerium stets das Gegenteil behauptet. Noch im April verlautbarte ein Sprecher, dass „nur eine kleine Zahl der Organe von hingerichteten Kriminellen stammten, die zuvor freiwillig ihre Spendenbereitschaft bezeugt hätten“. Kein Wunder also, wenn Huangs Stellungnahme für Wirbel in einer bislang unterbeleuchteten Branche sorgt.

„China hat bislang jede Diskussion über das Thema abgeblockt“, erklärt Nicholas Bequelin, Hongkonger Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Für ihn berührt die Transplantationsmedizin einige der wichtigsten Menschenrechtsprobleme in China: die Todesstrafe und die Verwahrlosung der medizinischen Ethik beim Organhandel. „China muss endlich die Zahl der Todesurteile und die Zahl der Organtransplantationen veröffentlichen“, fordert Bequelin.

Laut amnesty international wurden 2005 in China 1.770 Menschen exekutiert – was 80 Prozent aller Hinrichtungen weltweit entspräche. Andere Schätzungen sprechen von bis zu 10.000 jährlich Hingerichteten. Peking betrachtet die Zahl der Hinrichtungen als Staatsgeheimnis, beziffert die Zahl der Organtransplantationen derweil auf 20.000 im Jahr. Nach Angaben des namhaften Chirurgen Chen Zhonghua gab es 2005 in China 8.102 Nieren-, 3.741 Leber- und 80 Herztransplantationen.

Bislang galt die Kritik an der Transplantationsmedizin in China selbst der geschäftlichen Seite, weil Krankenhäuser zahlungskräftige westliche Patienten den Chinesen vorziehen. Die in China verbotene Falun-Gong-Bewegung wirft Medizinern und Beamten hingegen organisiertes Verbrechen vor, bei dem Häftlinge ermordet würden, um deren Organe zu verkaufen.