: Der Barde und der Krieg
Heute hat Wolf Biermann siebzigsten Geburtstag. Keine große Lobrede, aber dringliche Fragen: War der Dichter mit seinem Plädoyer für einen Menschenrechtsbellizismus Anfang der 90er-Jahre Avantgarde? Und warum sind er und die deutsche Linke sich dann bis heute nicht grün?
Es war das Frühjahr 1991, die US-geführte Allianz hatte gerade die Operation „Desert Storm“ begonnen, die die irakischen Truppen aus Kuwait vertreiben sollte, da schrieb Wolf Biermann in der damaligen Ost-taz: „Damit wir einander richtig verstehn: Ich bin für diesen Krieg am Golf.“ Und: „Wer mich heute fragt: Willst du den totalen Frieden? – dem sage ich nein danke.“ Damals hing die westdeutsche Linke noch ziemlich flächendeckend weiße Bettlaken als Zeichen ihrer pazifistischen Standhaftigkeit aus den Fenstern.
War Biermann, den viele spätestens zu diesem Zeitpunkt für einen krausen Barden hielten, also wieder einmal Avantgarde? Nun, er war nicht der einzige, der so dachte; aber er war, zusammen mit Hans Magnus Enzensberger, der Lauteste aus dem linken Justemilieu. Knapp gesagt, lautete Biermanns Argumentation so: Wenn Genozide geschehen oder Blutsäufer herrschen, dann hilft der Pazifismus den Völkermördern und Folterfürsten. Militärische Gewalt kann ihr Gutes haben, wenn es Demokratien sind, die Diktatoren wegräumen – vorexerziert beim Krieg der Alliierten gegen Nazideutschland. Und die Solidarität deutscher Linker mit den Arabern, die Ignoranz gegenüber den Sicherheitsbedürfnissen Israels stehe in einer schlechten, alten, deutschen Tradition. Statt: „Die Juden sind an allem schuld“, heißt es jetzt: „Die Israelis (und die Amerikaner) sind an allem schuld.“
Zumindest Teile dieser Rechtfertigung haben sich danach ziemlich weit im linken Feld durchgesetzt. Erst mit dem zweiten Irakkrieg vor drei Jahren kam es wieder zu einer markanten Verschiebung: Die meisten hielten ihn für ein imperialistisches Abenteuer der USA, eine Minderheit unterstützte ihn. Biermann auch. Ist der siebzigjährige Barde auch diesmal Avantgarde?
Unterzieht man die Texte und Reden Biermanns zum Nahostkonflikt einer Hermeneutik der Einfühlsamkeit, so könnte man urteilen: Der Mann ist einer, der richtig irrt – im buchstäblichen Sinn. Der irrend richtig liegt. Es graut ihm vor der Apologie einer Appeasement-Politik, die, wie er in seiner jüngsten Gastvorlesung in Jerusalem und Haifa formulierte, den Despoten suggeriert, sie kämen „elegant davon“. Wenn in Deutschland jemand Israel kritisiert, wegen dessen „unverhältnismäßigem“ Vorgehen, dann riecht er den neualten Moder des Antisemitismus.
All das ist wahr und falsch zugleich. Die Welt sortiert sich, in die, die für die USA, für Bush, die Neocons, für Israel, für den Krieg gegen den Terror sind – und in die, die gegen die USA und Bush, gegen Krieg und Antiislamismus sind. Wer Teil einer dieser Meinungsgemeinschaften ist, der hat trübe Freunde mit im Boot.
„Ich bin kein Jude. Die aus mir einen hätten machen können, sind alle ermordet worden“, sagte Biermann noch 1991. Aber natürlich kann man nicht davon abstrahieren, dass Biermann der überlebende Sohn eines von den Nazis ermordeten jüdischen Kommunisten ist. Viele mit einer ähnlichen Geschichte wie Biermann fühlen heute in Europa eine wachsende Bedrängung und in Nahost eine existenzielle Gefährdung Israels.
Wie real die Bedrängung und Gefährdung ist, ist die eine Sache – die Realität des Gefühls ist die andere. Dass Israel heute weniger Freunde hat als früher, ist wohl nicht ernsthaft zu behaupten: So viel Apologie wie der Libanonkrieg dieses Sommers hervorrief hätten sich die Strategen im Libanonkrieg des Jahres 1982 sicher gewünscht.
Biermann war vor 15 Jahren in einem gewissen Sinne Avantgarde, weil er als einer der Ersten laut sagte, dass Kriege manchmal nötig und sogar dann unterstützenswert sein können, wenn die USA an ihnen beteiligt sind. Aber wie immer mit den Avantgarden ist es so, dass sich ihre Pointe erledigt hat, wenn sie sich durchsetzen. Heute ist dazu zu sagen: Kriege, die die Welt besser machen wollen, müssen sich schon fragen lassen, ob sie effizient im Sinne ihres Postulates sind. ROBERT MISIK