: Wohin mit dem Despoten?
Mit der Verhaftung wurde Saddam Hussein auf menschliches Maß zurückgestutzt, er verlor seinen symbolischen Körper. Durch eine Hinrichtung würde genau dieser Körper wieder überhöht werden
von ISOLDE CHARIM
Die gegenwärtigen Diskussionen zur Todesstrafe für Saddam Hussein problematisieren das Urteil in moralischer Hinsicht oder bezüglich der Unteilbarkeit der Menschenrechte. Eine grundlegende Frage wird dabei jedoch nicht erörtert: Wie entsorgt man einen Despoten? Kann man sich seiner durch Hinrichtung tatsächlich entledigen? Entgegen der Evidenz des Hängens ist dies eine kompliziertere Frage, als der erste Anschein glauben macht.
Denn Formen von absoluter Herrschaft funktionieren immer durch die Vorstellung von den „zwei Körpern des Königs“, wie sie Ernst Kantorowicz in seiner berühmten gleichnamigen Studie genannt hat. Das ist jene politische Fiktion, wonach der natürliche, endliche Körper des Herrschers sich verdoppelt – und dieser damit Träger eines anderen Körpers wird: des übernatürlichen, sublimen Körpers der politischen Einheit, in dem sich die Sammlung der Individuen als ein Volk betrachten kann. Kurz –sein Körper wird zur Verkörperung des politischen Gemeinwesens. Es ist klar, dass die Substanz dieses zweiten Körpers letztlich nichts anderes als der Glaube der Bevölkerung an diesen ist – ein Glaube, der sich sowohl durch Überzeugung speisen kann wie auch durch Angst.
Nun haben Herrscher zu allen Zeiten diesen zweiten Körper (auch weit entfernt von seinen religiösen Ursprüngen) als Garant ihrer Herrschaft gepflegt – und das heißt inszeniert. Bei Saddam Hussein hat das zu einer eigenen, paradoxen Bildersprache geführt. Schon als er noch an der Macht war, hat er diese Vorstellung der „zwei Körper“ zugleich genährt und subvertiert: So hat er sich einerseits als Verkörperung, als der eine Körper des Volkes inszeniert und andererseits ebendiese Vorstellung durch seine vielen Doppelgänger wieder unterlaufen. Bei ihm stellte sich nicht die Frage, hat er wirklich einen „sublimen“, einen politischen Körper, sondern: Ist sein natürlicher Körper, der das Allgemeine, die Einheit „inkorporiert“, wirklich seiner? Das war die postmoderne Inszenierung eines vormodernen Despoten.
Seit dem Vormarsch der amerikanischen Truppen im Irak war das wichtigste Bild (des damals totgesagten) Saddams, ein Bild, das fehlte: das Bild seines Leichnams. Dieses Bild war gewissermaßen doppelt unmöglich: zum einen fehlte der Körper, zum anderen aber hätte das Bild – selbst wenn es gemacht worden wäre – nie die notwendige Evidenz gehabt. Immer wäre die Frage offen geblieben: Ist er das wirklich? Diese doppelte Abwesenheit Saddams war für alle Seiten äußerst beunruhigend.
Und dann kam – spät und längst nicht mehr erwartet – doch noch ein ganz anderes Bild: ein verwahrloster Mann wird aus einem dreckigen Erdloch gezogen. Und augenblicklich war klar: Das ist er! Genau in dem Moment, wo der von der Oberfläche Verschwundene buchstäblich aus der Unterwelt heraufgeholt wurde, wo er als lebender Toter exhumiert wurde, stellte sich paradoxerweise die Evidenz des natürlichen Körpers (die er immer verwischen wollte) wieder her. Erst als Untoter hatte sein Körper erneut eine eindeutige Identität.
Dieses Bild eines verfallenden Einzelnen löste auch seinen „erhabenen“ Körper auf. So, auf seine Natürlichkeit reduziert, konnte man ihn nicht mehr als Träger des allgemeinen Körpers imaginieren. Das war ein, vielleicht das einschneidendste Bild – die politisch notwendige Desillusionierung des Diktators. Als man Saddam Hussein aus seinem Erdloch gezogen hat, war er eine doppelt erbärmliche Figur. Denn der Schmutz und die Unwürdigkeit der Situation affizierte nicht nur seinen endlichen Körper, sondern reduzierte ihn auch auf seine Natürlichkeit. Der Despot war nackt! Als solcher aber war er ein Wiedergänger, ein Gespenst seines erhabenen Körpers. Dann kam der Prozess. Wenn man über diesen vor allem in Termini der Selbstreinigung einer Gesellschaft spricht, des Aufarbeitens der Vergangenheit und der Versöhnung, so übersieht man seine ganz anders gearteten, paradoxen Wirkungen. Negativ betrachtet, bot der Prozess Saddam eine letzte Bühne, auf der es ihm gelungen ist, seine Präsenz, seinen sublimen Körper bis zu einem gewissen Grad wiederherzustellen. Positiv betrachtet, hat der Prozess gerade durch seine Dauer ebendiesen wieder erodiert: im Laufe der Zeit verlagerte sich das politische Geschehen des Irak zu anderen Brennpunkten.
Nun aber hat das Urteil „hängen durch den Strang“ Saddam wieder als Herrscher in den Blickpunkt gerückt. Mit diesem Urteil hat man sich wieder das Problem eingehandelt: Wie wird man ihn los? Des natürlichen Körpers kann man sich leicht entledigen, aber der Reste des erhabenen Körpers, der Reste der Herrschaftsaura? Eine Hinrichtung scheint dafür das denkbar ungünstigste Verfahren. Der „Strang“ kann den sublimen Körper nicht erfassen.
Genau dieser untilgbare Rest aber ist das Problem. Er findet ein schreckliches Echo in diesem Land der glaubensfanatischen Selbstmordattentäter. Diese vollziehen eine gespenstische Fortführung des sublimen Körpers, die man als „negative Verkörperung“ bezeichnen könnte. Ein Heer von lebenden Toten versucht, seinen Körper in den sublimen Körper einer höheren Ordnung zu verwandeln – in dem Moment, wo sie sich in die Luft sprengen. Ihr zerfetzter Leib „verkörpert“ in einer Verkehrung die Fiktion einer idealen Gemeinschaft – und zerstört damit das reale Gemeinwesen.
Gerade in diesem zerrissenen Land wäre es nötig, eine andere Lösung als den Strang zu finden. Das Problem der Strafe Saddams ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, es ist auch ein Problem auf der Ebene der politischen Repräsentation. Es braucht hier eine Lösung im Bereich des Symbolischen: ein Bild der Strafe, das die Entwicklung der Demokratie, das heißt den Übergang zu neuen Repräsentationsverhältnissen, befördert und nicht hemmt. Denn Demokratie beginnt mit dem Ende aller „Verkörperungsmechanismen“.