: Die Überflüssigen entsorgt
Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Idee der Neoliberalen. Kein Wunder, dass es unsozial ist. Es hilft nur Lohnkosten zu sparen und schafft keine neuen Arbeitsplätze
Je mehr die Massenarbeitslosigkeit und das damit einhergehende Elend wächst, desto größer werden die Sympathien für eine scheinbar grundsätzliche Lösung: das bedingungslose Grundeinkommen. Jeder Mensch, weil er ein Mensch ist, soll das Anrecht bekommen, ohne jegliche Bedürfnisprüfung von der Gesellschaft ein Grundeinkommen zu erhalten.
Doch: Weshalb sollen die Ackermanns ein Grundeinkommen erhalten, das sie nicht brauchen? Weshalb ganz normalen Beschäftigten, die gut verdienen, ein staatliches Einkommen zahlen? Weshalb an einen Personenkreis von 80 Millionen Menschen ein Grundeinkommen auszahlen?
Gerade von neoliberaler Seite finden sich Protagonisten des bedingungslosen Grundeinkommens. Ja, historisch sind sie sogar die Erfinder. Schwebt ihnen wirklich die Menschheitsbeglückung vor? Oder ist ihr Motiv nicht eher die elegante Entsorgung überflüssiger Arbeitskräfte? Bei gleichzeitiger Einsparung bei den Löhnen, den Lohnnebenkosten, da die Sozialversicherung ohnehin überflüssig wird?
Götz Werner, Chef der Drogerie-Kette DM, sagt: Nehmen wir an, eine Krankenschwester verdient 2.500. Nach Abzug des Bürgergeldes müsste das Krankenhaus ihr dann nur noch 1.200 bezahlen.
Thomas Straubhaar, der Chef des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, sieht auch vor allem den Vorteil, dass die Löhne sinken könnten. Ein Kombilohnmodell für alle. Zur Freude der Unternehmer. Genauso propagiert der CDU-Ministerpräsident Althaus neuerdings ein Bürgergeld. Zutreffender Kommentar aus der Zeitschrift Konkret: „Hartz IV für alle“.
Die Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ wirbt ausdrücklich: „Das bedingungslose Grundeinkommen stärkt die Unternehmen. Sie können automatisieren, ohne sich Sorgen um entlassene Mitarbeiter zu machen.“ Prima, da können die Manager endlich wieder frei von Gewissensbissen ruhig schlafen.
Mit einer fortschrittlichen oder gar sozialistischen Perspektive hat das nichts zu tun. Wir brauchen eine Politik, die in solidarischer Weise die Belange von Jungen und Alten, von Beschäftigten und Erwerbslosen im Blick hat. Eine Politik für das ganze Haus ist notwendig.
Die These vom Ende der Arbeit ist weitverbreitet. Viele halten Vollbeschäftigung für ein unrealistisches Ziel. Schaut man sich jedoch die vielen Mangelbereiche in unserer Gesellschaft an, dann ist eigentlich klar: Es gibt viel zu tun. Ältere Menschen, die in Heimen leben, werden zu oft zu schlecht betreut. Dass für Erziehung und Bildung viel mehr getan werden muss, ist bekannt.
Unsere Verkehrsinfrastruktur steht vor dem Kollaps. Das Kanalnetz zur Entsorgung der Abwässer ist marode. Viele weitere Mangelbereiche könnte man auflisten. Alleine mit einem Zukunftsinvestitionsprogramm in Höhe von insgesamt 40 Milliarden Euro können 1 Million zusätzlicher sinnvoller Arbeitsplätze geschaffen werden.
Derartige Programme ließen sich ausweiten, sodass 2 bis 3 Millionen Arbeitsplätze entstehen könnten. Käme eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 bis 32 Stunden die Woche für alle hinzu, gäbe es Vollbeschäftigung, denn so ließen sich rund 5 Millionen Arbeitsplätze schaffen. Das wäre eine wirklich solidarische Umverteilung von Arbeit.
Diesem Konzept gegenüber steht das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens. Je nach Ausgestaltung soll es zwischen 700 Milliarden Euro und 1 Billion Euro im Jahr kosten. Selbst wenn die Finanzierung gelingen sollte, wäre für die Neuschaffung von Arbeitsplätzen in den vielen Mangelbereichen kein Geld mehr vorhanden.
Der Schutz für Menschen in Notlagen reicht den Fans des bedingungslosen Grundeinkommens nicht: „Jeder Mensch soll die Freiheit haben, nicht arbeiten zu wollen.“ Die Menschen leben in gesellschaftlichen, arbeitsteiligen Zusammenhängen und gestalten in diesen ihren Lebensgewinnungsprozess miteinander und mit der Natur. Dass dies über sächliche Austauschbeziehungen und unter der Despotie des Kapitals abläuft, ändert nichts an diesem grundlegenden Zusammenhang.
„Die Freiheit (…) kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden.“ So Marx. Und er ergänzt: „Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit.“
Deshalb ist die Vorstellung einer absoluten Freiheit des Individuums eine Illusion; sie ist zutiefst unsolidarisch. Was ist der emanzipatorische Fortschritt, wenn ein WG-Mitbewohner sich von jeder Hausarbeit freistellen lässt und stattdessen sein Zimmer künstlerisch verschönt?
Bürgerschaftliches Engagement soll die Alternative zur Erwerbsarbeit sein. Der Vorteil der Freiwilligkeit ist aber auch gleichzeitig die Begrenzung. Viele hochkomplexe Tätigkeiten als auch Tätigkeiten, die eine bestimmte Zeitdauer erfordern, können nur mit einem hohem Maß an Verbindlichkeit durchgeführt werden. Erziehungsarbeit, Bildungsarbeit in der Schule, die Reparatur großtechnischer Infrastruktur wie Brücken und Kanalisation. Das alles sind Arbeiten, die einen verbindlichen und professionellen Einsatz erfordern.
Daneben sollte sich die Politik auf notwendige Hilfeleistungen an Menschen konzentrieren, denen es wirklich schlecht geht. Wer kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen hat, bedarf der Hilfe durch die Gesellschaft. Deshalb: Der Bedarf muss entlang von Einkommen und Vermögen festgelegt werden. Wir brauchen die Wiederherstellung des Arbeitslosengeldes als Versicherungsleistung – und eine bedarfsorientierte, menschenwürdige Grundsicherung in Höhe von 420 Euro zuzüglich der Leistung für das Wohnen. Mit der Ausschnüffelei der Bedarfsgemeinschaften muss Schluss sein.
Selbstgenutzte Immobilien und Vermögen für die Altersvorsorge sind auszunehmen. Die Leistungen sollten repressionsfrei gewährt werden. Es muss wieder einen hinreichenden Schutz davor geben, jede Arbeit annehmen zu müssen. Eine angebotene Tätigkeit, die deutlich von der erworbenen Qualifikation abweicht, ist unzumutbar. Das Einkommen darf nicht unterhalb der einschlägigen Tarifverträge oder des ortsüblichen Lohns liegen.
Arbeitslosengeld II wird heute immer stärker zu einem Kombilohn. Bis zu 2 Millionen Menschen arbeiten und verdienen so wenig, dass sie trotzdem auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Es gibt Fälle, in denen Unternehmer Lohnsenkungen damit begründen, dass die Beschäftigten das fehlende Geld über Arbeitslosengeld II hereinholen können. Unter dem Deckmantel von Arbeitslosengeld II kassieren so Unternehmer Geld vom Staat. Deshalb und weil es ein Skandal ist, dass viele zu Hungerlöhnen arbeiten müssen, brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn.
MICHAEL SCHLECHT