: Kampf der Kulturbanausen
Kritik der Kritik (14): Das Feuilleton interessiert sich immer weniger für Kultur, schon gar nicht für solche aus fremden Regionen. Genau das macht es anfällig für eine schlicht gestrickte Rhetorik vom „Kampf der Kulturen“. Aufklärung sieht anders aus
■ Kritikfähigkeit wird heute von jedem Schulkind erwartet. Aber wie steht es damit in der Kultur? Ist Kritik auf dem Rückzug, bedrängt durch die Kulturindustrie? Ist sie nötiger denn je? Und wie soll/kann/muss sie heute aussehen? Eine Artikelreihe zum gegenwärtigen Stand des kritischen Handwerks
von DANIEL BAX
„Orhan Pamuk ist der Westen“, jubelte Frank Schirrmacher nach der Verleihung des Literaturnobelpreises an den türkischen Schriftsteller in der FAZ, denn er markiere „die äußerste Front unseres westlichen Lebensstils und seiner Überzeugungen“ gegenüber dem Islam. Markige Worte, wie sie wohl in einen Leitartikel gehören. Nur war diese Interpretation gelinde gesagt gewagt, denn sie widersprach nicht nur dem oft geäußerten Selbstverständnis des Autors wie auch der Begründung der schwedischen Akademie für ihre Auszeichnung. An dieser Einordnung wurde auch deutlich, dass Schirrmacher bislang offenbar noch keine einzige Zeile von Pamuks Werk, in dem sich westliche und östliche Traditionen aufs Innerste verschränken, gelesen haben konnte, denn sonst hätte er solch eine kühne Behauptung wohl nicht zu treffen gewagt.
Nun steht es jedem Journalisten frei, Unsinn zu schreiben. Doch Frank Schirrmacher ist ja nicht irgendwer, sondern steht als Mitherausgeber einer der einflussreichsten Zeitungen der Republik vor. Das Problem weist also tiefer und ist symptomatisch, zumal Frank Schirrmacher als eine Leitfigur eines Feuilletons gilt, in dem auch gesellschaftspolitische Debatten geführt werden. Dieses Feuilleton gilt vielen als Gegenmodell zum traditionellen, auf Kultur im engeren Sinne fokussierten „Rezensionsfeuilletons“, das auf Literaturkritiken, Filmbesprechungen und ähnlichem Rezensionswesen basiert.
Die Annahme, dass sich aus der Beschäftigung mit Literatur, Kunst oder auch Alltagskultur heraus ein anderer, vielleicht genauerer Blickwinkel auf die Welt finden ließe, hat dazu geführt, dass sich das Feuilleton heute mit gesellschaftlichen Debatten aller Art beschäftigt, von der „Unterschicht“ bis zur Gentechnik. Wenn aber der frühere FAZ-Feuilletonchef die Bücher nicht mehr liest, mit denen er argumentiert, wird darin eine grundsätzliche Fehlentwicklung deutlich: Das Feuilleton hat sich von seinem Gegenstand gelöst – zu Gunsten einer enthemmten Meinungsfreude, die es sich an den Ufern aktuell grassierender Ideologien bequem macht.
Deutlich wird das beim Reden über den angeblichen „Kampf der Kulturen“. Als populäres Ideologem wird Samuel Huntingtons notorisch gewordene Kampfformel hierzulande gern herangezogen, um die Schwierigkeiten bei der Integration von muslimischen Einwanderern oder die Herausforderung des islamistisch gefärbten Terrorismus zu einer Art Entscheidungsschlacht zwischen Morgen- und Abendland zu stilisieren. Auch im Feuilleton wird das Schlagwort gern aufgegriffen. Frappierend ist nur, mit wie viel Demagogie und wie wenig Sachkenntnis sich dabei auskommen lässt.
Das Feuilleton der FAZ etwa machte kürzlich, anlässlich der Diskussion um die Regensburger Papst-Rede, mit einer flammenden Schlagzeile auf. „Der Islam will die Welteroberung“, schrieb da der Althistoriker Egon Flaig und rührte auf ganzen zwei Seiten eine brachiale Interpretation islamischer Geschichte mit einem Lob der Kreuzzüge und der Reconquista, der Rückeroberung der iberischen Halbinsel durch die katholischen Könige Spaniens, zu einem kruden Pamphlet zusammen. Dass er großzügig den Islam als Religion und die islamistische Ideologie der ägyptischen Muslimbrüder gleichsetzte, dass er islamisches Recht mit den Nürnberger Rassegesetzen verglich – Letztere schnitten bei ihm übrigens besser ab –, und dass er bei alledem eine antiislamische Kampfschrift der Autorin Bat Ye’Or zitierte, hätte eigentlich genügen müssen, um ihn für eine seriöse Debatte zu disqualifizieren. Kaum vorstellbar jedenfalls, dass die FAZ auch einen Artikel mit der Überschrift „Das Judentum will die Weltherrschaft“ gedruckt hätte.
Man konnte diesen Beitrag als Beispiel dafür lesen, wie wenig manche Vertreter der deutschen Geschichtswissenschaft offenbar von der Welt außerhalb Europas wissen. Man musste diesen Beitrag aber auch als Zeichen dafür sehen, auf welche Abwege ein Feuilleton geraten kann, dass vor allem auf Knalleffekte setzt. Denn an der teils hysterischen, teils völlig entgleisten „Islam-Debatte“ lässt sich nur besonders augenfällig ablesen, wie sehr aufgeregte Stimmungsmache mancherorts an die Stelle fundierter Analyse getreten ist.
Das ist ein Trend, der sich auch bei anderen Medien erkennen lässt. Dass der Spiegel ausgerechnet eine Krawallschachtel wie Mathias Matussek, der aus seiner Abneigung gegen das traditionelle Feuilleton keinen Hehl macht, zum Chef seines Kulturressorts ernannt hat, zeugt davon, ebenso wie die Konjunktur schlicht gestrickter Polemiken von simplen Haudraufs wie Henryk M. Broder oder eines Borderline-Journalisten wie Joachim Lottmann, bei dem Dichtung und Wahrheit nicht immer sorgfältig getrennt werden können. Damit aber bewegt sich die sogenannte Debatte, die angestoßen werden soll, jedoch oft genug auf „Talk Radio“-Niveau, wo nur die steile These und die schnelle Pointe zählt.
In der Integrationsdebatte um sogenannte Parallelgesellschaften herrscht deswegen auch im Feuilleton zuweilen ein alarmistischer Grundton vor, als hätten in Einwanderervierteln wie Berlin-Neukölln die Mullahs das Regiment ergriffen, und die Enthauptung von Nichtmuslimen oder die Auspeitschung von Ehebrecherinnen auf öffentlichen Plätzen sei dort an der Tagesordnung. Wenn sich dann ein paar türkische Jugendliche im Kino versammeln, um sich einen nationalistischen Reißer aus der Türkei anzuschauen, wird darin schon die Keimzelle einer neuen Dschihad-Bewegung gewittert.
Das ist paradox: Gerade in dem Moment, in dem türkischstämmigen Künstlern der Durchbruch in den Mainstream gelungen ist, die kulturelle Integration also auch auf der Ebene der Hoch- und Massenkultur unübersehbar geworden ist, verfällt die Integrationsdebatte in regressive Zuckungen. Türkischstämmige Schriftsteller gewinnen Literaturpreise und schreiben Bestseller, türkischstämmige Filmemacher reüssieren auf internationalen Filmfestivals, auch an den Kinokassen, und sobald man den Fernseher einschaltet, sieht man türkischstämmige Comedians, die ganz selbstverständlich am deutschen Comedy-Boom teilhaben. Gleichzeitig fabulieren deutsche Kulturjournalisten vom „Scheitern der Integration“ und dem „Ende der multikulturellen Illusionen“. In welcher Welt leben die eigentlich?
Noch viel weniger wird jedoch das kulturelle Leben in der islamischen Welt reflektiert, über die so viel geredet wird. Ein ägyptischer Erfolgsfilm wie „The Yacoubian Building“, in diesem Jahr wohl der meist diskutierte Film der arabischen Welt, fand in den hiesigen Feuilletons so gut wie keine Beachtung. Dabei verbindet er nicht nur harsche Sozialkritik mit den Mitteln des Mainstream-Kinos und reißt von Islamismus, Homosexualität, sexuellem Missbrauch, amtlicher Korruption und Folter in Polizeihaft so gut wie jedes Tabuthema an – er feierte sogar, nahezu unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit, im Februar auf der Berlinale seine Premiere!
Auch von dem Roman „Girls of Riad“ – ein Stück Popliteratur einer jungen Autorin aus Saudi-Arabien – erfuhr man hierzulande bislang nichts; von populärer Musik, zeitgenössischer Kunst und aktuellem Theater aus islamisch geprägten Ländern ganz zu schweigen. Wem es wirklich ernst ist mit der Auseinandersetzung mit der Region, der müsste hier ansetzen. Doch an Stelle der Beschäftigung mit Kultur ist vielerorts die lautstarke Schaumschlägerei getreten.
Dabei ist es ja nicht so, dass es in Deutschland grundsätzlich an Expertise über den Nahen Osten und die „islamische Welt“ mangeln würde: Auch die FAZ verfügt mit Wolfgang Günther Lerch über einen langjährigen Fachmann für den Orient im eigenen Haus. Ihn in der eigenen Zeitung mit halbgaren Beiträgen im Feuilleton zu konfrontieren, kommt einer Beleidigung gleich. Auffällig ist aber, wie wenig die weltweit durchaus anerkannten Islamwissenschaftler zu Wort kommen, die es hierzulande gibt, wo doch die Debatte über den Islam derzeit Hochkonjunktur hat. Und auch Autoren aus dem arabischen Raum oder mit türkischem Hintergrund, so scheint es, sind nur dann wohl gelitten, wenn sie ihrer Herkunftskultur mit möglichst drastischen Worten eine Abfuhr erteilen.
So zeigt sich das Feuilleton anfällig für plumpen Populismus und für Autoren, die mit Halbwahrheiten, selektiven Interpretationen und schlichtem Unsinn hausieren gehen. Halb lüstern, halb bangend werden damit Ängste geschürt, die offenbar auch in einer verunsicherten Mittelschicht – der klassischen Leserschaft des Feuilletons – viele Menschen umtreiben. Im Kampf um Aufmerksamkeit ist offenbar jedes Mittel recht. Nur: Aufklärung sieht anders aus.
Aufklärung würde bedeuten, dem Feuilletonleser etwas mehr über die Welt außerhalb der engen Grenzen des deutschen Kulturbetriebs zu berichten. Ein Metafeuilleton wie der „Perlentaucher“ hat sich genau das zur Aufgabe gemacht: Jeden Tag erstellt das Internetmagazin eine „Feuilleton-Rundschau“ deutschsprachiger Kulturseiten, und übersetzt regelmäßig Auszüge aus ausländischen Kulturmagazinen. Um so bedenklicher, dass man sich selbst beim „Perlentaucher“ für eigentliche Kultur nur noch am Rande zu interessieren scheint. Zwar ist der Online-Dienst inzwischen zu einer Art Leitmedium des Kulturbetriebs aufgestiegen – es dürfte kaum einen Feuilletonredakteur geben, der es nicht allmorgendlich anklickt. Umso auffälliger ist es deshalb, wie stiefmütterlich sich auch dieses Leitmedium um sein traditionelles Feld kümmert. Abgesehen von Literatur, die intensiv und eingehend behandelt wird – kein Wunder, denn der „Perlentaucher“ finanziert sich vorwiegend über Anzeigen der Buchverlage –, werden Besprechungen aus den Sparten Film, Theater, Kunst und Musik oft nur kursorisch abgehandelt. Und wenn die Kulturseiten einer Zeitung mit den Worten „heute reines Rezensionsfeuilleton“ bedacht werden, dann ist das selten anerkennend gemeint.
Es ist für einen Kulturjournalisten ziemlich einfach, im „Perlentaucher“ lobend Erwähnung zu finden: Man muss nur einen flammenden Appell zur Verteidigung „westlicher Werte“ und gegen den Islam formulieren, schon kann man sicher sein, am nächsten Tag in dessen Feuilleton-Rundschau gleich an erster Stelle ausgiebig zitiert zu werden. Die Pose des Kulturkämpfers kommt hier gut an.
Der imaginäre Gegner, gegen den es Stellung zu beziehen gilt, tritt dabei lediglich als schemenhaftes Zerrbild in Erscheinung: Er ist ein Pappkamerad, der nur als Punchingball benötigt wird. In seinen Wesenszügen ähnelt er Borat, dem fiktiven Reporter aus Kasachstan, dessen Abenteuer in dieser Woche in die Kinos kommen. Borat – homophob, sexistisch, antisemitisch und rassistisch – ist zwar nur eine Karikatur. Aber der Eindruck drängt sich auf, dass in deutschen Feuilleton-Redaktionsstuben tatsächlich nicht wenige glauben, die Bewohner der Welt östlich von Istanbul sähen allesamt genau so aus wie Borat. Alle, bis auf Orhan Pamuk natürlich.