: Die Unvermeidlichen
Lotti hat drei Hunde, Frauen haben zwei Brüste, und Jörg Pilawa hat ein Problem: Bei der achten Verleihung des Deutschen Fernsehpreises feierten Prominente und solche, die es gern wären, routiniert sich selbst – auch wenn es nichts zu feiern gab
AUS KÖLN DAVID DENK
Beginnen wir mit der Sensation des Abends: Cherno Jobatey hatte keine Turnschuhe an. Warum? Hat er endlich mitgekriegt, wo und unter welchen Arbeitsbedingungen Nike die luftgefederten Treter produzieren lässt? Oder hat jemand aus der Konzernzentrale ihn zufällig im Fernsehen gesehen?
Stattdessen also schwarzes Glattleder an Jobateys Riesenfüßen, Hersteller: unbekannt – zumindest der taz, doch die Kolleginnen von Galabuntedingsbums, die mit ihren Notizblöckchen oder Kamerateams den roten Teppich des Deutschen Fernsehpreises umschwirrten wie Fruchtfliegen eine Obstschale, wissen das bestimmt.
Es ist ihr Job, Leute, die man aus dem Fernsehen kennt oder die zumindest so aussehen, als ob, über ihre Garderobe auszufragen – ein Job, um den sie nur beneidet, wer mit Promis reden mit Promi sein verwechselt. Welche der Damen die Interviewerin ist und welche sonst wie fernsehbekannt, konnte man im Foyer des Coloneum meistens nur daran erkennen, wer von beiden das Mikrofon hielt – das gleiche Blond, die gleiche Frisur, das gleiche Bleachinglächeln, die gleiche Vorliebe für Oktober-inkompatible Abendkleidrudimente und Push-up-BHs.
Das alles wiederum ist keine Sensation. Das ist der Deutsche Fernsehpreis, ein von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 am Freitag zum achten Mal gemeinsam veranstaltetes Branchentreffen, bei dem rund 1.500 geladene Gäste sich selbst feiern – in diesem Jahr mit 400 Kilo Seawater Gambas und 2.188 Flaschen Wein bzw. Sekt, unter anderem, versteht sich. Diese und viele weitere Zahlen hat das Organisationsbüro für die Journalisten zusammengestellt – als wären 15 Kilo Gänsestopfleber und 3.000 kleine Crème Brulées ein Garant für Glamour, eine selbst erfüllende Prophezeiung.
Kein Prophet musste man sein, um zu ahnen, dass Jörg Pilawas Moderation der Gala ungefähr so originell sein würde wie diese Überleitung. Pilawa kann ganz passabel Quizfragen vorlesen, unterhalten kann er nicht. Dafür mangelt es ihm an Bühnenpräsenz – und an Humor. Sonst hätte er sich definitiv geweigert, für einen Einspieler in verschiedenen, aber gleich bleibend lächerlichen Tanzoutfits vor einer Spiegelwand herumzuhampeln. Die geladenen Gäste waren Pilawa knapp drei Stunden hilflos ausgeliefert, die Journalisten dagegen nebenan in der Presselounge isoliert. Sie ignorierten Pilawa, so gut es ging. Und angesichts des Büfetts und der vielen klatsch- und tratschbereiten Kollegen in diesem goldenen Käfig, den man während der Gala „aus versicherungs- und ordnungsrechtlichen Gründen“ nur zum Pinkeln verlassen durfte, funktionierte das ziemlich gut – erst recht mit einer Tischnachbarin wie Lotti, die eigentlich anders heißt. Ungefragt erzählte sie von der Weltreise mit ihrem mittlerweile in den „Hundehimmel“ umgezogenen vierbeinigen Freund: „Er war der erste Hund mit Senator Card.“
Jetzt hat sie drei neue, eigentlich vier, doch den vierten hat sie zu Freunden gegeben, deren Hund gerade gestorben ist. Die drei anderen, einer davon ein Jack-Russell-Terrier namens Fielmann, hat sie mit nach Köln genommen – wie immer, wenn sie verreist: „Der Concierge kümmert sich um sie.“
Lotti, eine der Älteren im Raum, hat mal die Kommunikationsabteilung eines deutschen Privatsenders geleitet und Magic Johnson nicht erkannt, als er neben ihr an der Bar saß. Gleiches gilt übrigens für das Zusammentreffen mit Mel Gibson und Tom Cruise. Letzterer hat für sie sogar einen Tisch in einem chinesischen Restaurant in San Francisco reserviert. War es ein Chinese? Vielleicht doch in Las Vegas? Egal! Das Restaurant war auf jeden Fall extrem angesagt und Lotti mittendrin. Mit am Tisch in der Presselounge saß auch ihre einstige Assistentin, die im Gegensatz zum Rest der Meute kaum etwas trank und wenn dann nur von dieser Cola, die nach Spülmaschine roch.
Eine nette Runde, die sich selbst genug war und die Gala nur mit halbem Auge verfolgte, wenige Preiskategorien, den Auftritt der Sportfreunde Stiller, die Laudatio von Piet Klocke, die Dankesrede von Kurt Krömer und das Kleid von Förderpreisträgerin Rosalie Thomass. Lottis Exassistentin war der Meinung, dass deren Agentin sie angesichts ihrer strammen Waden vor dem knielangen Kleid hätte warnen müssen. „Das ist der Unterschied zwischen Agenten und Managern“ – Managern wie ihr.
Gegen zehn war die Gala überstanden, Zeit für die Belohnung: Die Gäste strömten an die unzähligen Büfetts bzw. rissen den Hostessen die kleinen Leckereien von den Tabletts, die Journalisten waren schon satt. Aber immer noch durstig. Beim Rundgang durch die riesige Studiohalle, in der sich ganz Fernsehdeutschland drängte, ertappte man sich kurz bei dem Gedanken, wie das Fernsehprogramm der kommenden Tage wohl aussähe, wenn im Coloneum eine Bombe hochginge: Mal abgesehen von Wiederholungen würden wohl erst mal Thomas Gottschalk und Stefan Raab im Wechsel senden. Die waren nämlich beide nicht da.