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Archiv-Artikel

Horizontales Gewerbe noch lange nicht legal

Das Prostitutionsgesetz läuft weitgehend ins Leere, besagt die erste offizielle Studie über seine Wirkung. Schuld sei vor allem die Halbherzigkeit des Gesetzes. Huren arbeiten weiter im Graubereich – oft aber auch, weil sie selbst es wollen

Behörden vertreiben Bordelle immer noch als „störendes Gewerbe“ aus Wohngebieten

BERLIN taz ■ Das Prostitutionsgesetz, das die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2002 verabschiedete, ist bisher weitgehend wirkungslos. Das ergibt die erste umfangreiche Untersuchung der Auswirkungen des Gesetzes, die ein Forschungsinstitut noch im Auftrag der alten Bundesregierung erstellt hat. Die Studie, die der taz vorliegt, wurde bisher nicht veröffentlicht, obwohl sie im November 2005 abgeschlossen wurde. Das Familienministerium begründete die Verzögerung damit, dass es noch ergänzende Gutachten in Auftrag gegeben habe, die mit in die Untersuchung einfließen sollten.

Für die Studie des Sozialwissenschaftlichen Frauenforschungsinstituts in Freiburg wurden Prostituierte, Bordellbetreiber, Beratungsstellen, Behörden, Polizei und Gerichte nach ihren Erfahrungen und Problemen mit dem Gesetz befragt. Das Gesetz selbst wurde zwar von weiten Teilen der Befragten (mit Ausnahme einiger, vor allem bayerischer Behörden) begrüßt. „Es gibt jedoch eine Einigkeit dahingehend, dass das Gesetz bislang weitgehend ins Leere läuft“, heißt es in der Studie.

Das Gesetz sollte vor allem die rechtliche Einordnung der Prostitution als „sittenwidrig“ aufheben. Prostituierte sollten nun endlich Arbeitsverträge abschließen dürfen oder ihre Honorare einklagen können. Sie sollten Aufnahme in gesetzliche Sozialversicherungen finden und in Bordellen zu vernünftigen Bedingungen arbeiten können, ohne dass sich deren Betreiber gleich als „Förderer der Prostitution“ strafbar machen.

Doch all dies ist bisher kaum geschehen. Von den rund 300 befragten Prostituierten hatten exakt drei einen Arbeitsvertrag, vier hatten einen Kunden, der nicht zahlen wollte, verklagt. Die meisten Prostituierten waren zwar krankenversichert, aber nur 13 Prostituierte waren dort offiziell als Huren angemeldet.

Die Ursache für die wenigen Änderungen in der Praxis liegen vor allem darin, dass das Gesetz selbst äußerst halbherzig war. „Das Gesetz führt konkrete Veränderungen nur in sehr begrenztem Umfang ein“, befinden die Autorinnen der Studie.

So ist der Wunsch, Prostitution nicht mehr als sittenwidrig anzusehen, nicht im Gesetzestext verankert, sondern nur in der Begründung. Manche Bundesländer definieren Prostitution deshalb einfach weiterhin als sittenwidrig und gehen dagegen nach Gutdünken vor. Verschiedene andere rechtliche Sonderbehandlungen der Prostitution wurden gar nicht erst geändert: Es gibt weiterhin einen Zuhältereiparagrafen, den Bayern etwa so weit auslegt, dass er Arbeitsverträge faktisch ausschließt. Auch Sperrgebietsverordnungen, die Huren in bestimmte Zonen verbannen, und das Verbot, für ihre Dienste zu werben, gibt es nach wie vor. Zudem können die Behörden Bordelle immer noch als „störendes Gewerbe“ aus Wohngebieten vertreiben. „Bis dato ist damit nicht eindeutig klargestellt, ob die Sittenwidrigkeit gefallen ist“, resümieren die Autorinnen.

Dennoch begrüßten 85,5 Prozent der Prostituierten und 91 Prozent der Bordellbetreiber das Gesetz als ersten Schritt zur Anerkennung ihrer Branche. Dass sie es kaum nutzten, lag auch daran, dass sie immer noch halb illegal arbeiten müssen, wenn sie etwa Freier in Wohngebieten empfangen und damit ein „störendes Gewerbe“ darstellen oder wenn sie in für Huren gesperrten Gebieten agieren. Auch konnten die meisten sich nicht vorstellen, ihre Anonymität aufzuheben. Die Autorinnen empfehlen deshalb, die Entkriminalisierung der Prostitution weiter voranzutreiben. Sie raten vor allem, das Gewerbe mit einer Art Lizenz auszustatten. Diese sollten Betriebe und Huren erhalten, die gute Arbeitsbedingungen bieten und legal arbeiten.

Die meisten Huren können sich nicht vorstellen, ihre Anonymität aufzuheben

Eine der Hauptinitiatorinnen des Gesetzes, die frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irmingard Schewe-Gerigk, zeigte sich nicht überrascht von den schwachen Befunden: „Alles, was das Gutachten nun einfordert, wollten die Grünen ohnehin im Gesetz haben“, sagte sie der taz. Leider habe die SPD die weitreichende Legalisierung nicht gewollt. Außerdem habe man alles, was Länderrecht angeht, wie die Sperrgebietsverordnungen, aus dem Gesetz genommen, weil der damals unionsdominierte Bundesrat ohnehin nicht zugestimmt hätte.

Die neuen Vorstöße aus der Union, das Gesetz gänzlich zurückzunehmen, werden von der Studie übrigens nicht gestützt. Auch Polizei und Staatsanwaltschaften begrüßten das Gesetz weitgehend. Nur eine der 52 befragten Staatsanwaltschaften wollte das alte Verbot der „Förderung der Prostitution“ wieder einführen. HEIDE OESTREICH