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Archiv-Artikel

Schlechter Auftakt in Schweden

Die konservative Regierung ist erst seit zehn Tagen im Amt, doch zwei Ministerinnen mussten bereits gehen. Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik

STOCKHOLM taz ■ Die neue schwedische Regierung, seit zehn Tagen im Amt, hat einen ausgesprochen schlechten Start hingelegt. Gestern trat mit Kulturministerin Cecilia Stego Chilo bereits das zweite Kabinettsmitglied zurück. Sie nahm ihren Hut, weil sie über 16 Jahre lang ihre Fernsehgebühren nicht bezahlte und eine Haushaltshilfe „schwarz“ beschäftigte.

Bereits am vergangenen Samstag musste Handelsministerin Maria Borelius wegen Steuervergehen abtreten. Das war nicht ganz der „Neustart“, den der neue konservative Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt nach seinem Wahlsieg im September ausgerufen hatte.

Die Regierung legte gestern ihr erstes Budget vor, das einen deutlichen Kurswechsel im Vergleich zu ihren sozialdemokratischen Vorgängern vorsieht. Zu den angekündigten Maßnahmen gehören Abschaffung der Vermögensteuer, Senkung von Arbeitgeberabgaben und Kürzung bei Arbeitslosen- und Krankengeld. Der öffentliche Sektor wird geschwächt, Rentner, Kranke und Arbeitslose werden teilweise mit deutlich weniger auskommen müssen als bisher, während Arbeitnehmer und Unternehmer sich über Steuererleichterungen freuen können. Mit dem Versprechen, in Zukunft auf den „produktiven“ Teil der Bevölkerung zu setzen, hatte das Vier-Parteien-Bündnis vor einem Monat die Wahlen gewonnen.

In dem Haushaltsentwurf fehlen allerdings die meisten der ebenfalls versprochenen neuen arbeitsmarktpolitischen Initiativen, mit denen die Regierung Reinfeldt die Arbeitslosenrate senken will. Zunächst wird zum Jahreswechsel vor allem abgebaut. Das populäre Sabbatjahr wird abgeschafft. Diese Möglichkeit, drei bis zwölf Monate aus seinem Job auszusteigen, falls dieser von einem geeigneten Arbeitslosen übernommen werden kann und hierfür 85 Prozent des Arbeitslosengelds zu erhalten, wird ersatzlos gestrichen. An die Stelle der so genannten Plusjobs, durch die mit Hilfe staatlich subventionierter Volltarifarbeitsplätze das Serviceniveau im öffentlichen Sektor erhöht werden sollte, sollen nun „Neustartjobs“ treten. Dabei handelt es sich um eine Art Kombilohnsystem, bei dem Unternehmen die Arbeitgeberabgaben ersetzt bekommen, wenn sie bisherige Arbeitslose oder Frühpensionierte für mindestens ein Jahr beschäftigen. Über gesenkte Arbeitgeberabgaben soll auch die Anstellung Jugendlicher billiger werden.

Da Arbeitslosigkeit für die neue Regierung damit zusammenhängt, dass Arbeit sich für viele nicht „lohnt“, werden bei Arbeitslosen die ökonomischen Schrauben angezogen. Trotz steigender Beiträge zur Arbeitslosenversicherung soll das Arbeitslosengeld nach 200 Tagen von 80 auf 70 Prozent und der Höchstbetrag von umgerechnet 75 auf 71 Euro pro Arbeitstag gesenkt werden. Und ein spezieller Nadelstich wird den Gewerkschaften verpasst: Gewerkschaftsbeiträge sollen in Zukunft steuerlich nicht mehr absetzbar sein. Umfragen haben ergeben, dass jeder Fünfte sich für diesen Fall überlegt, aus der Gewerkschaft auszutreten.

REINHARD WOLFF