Ein Schriftsteller gibt den Weg vor : KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH
Das schwedische Nobelpreiskomitee hält an seiner neuen Praxis fest, Schriftsteller zu ehren, die über einen hohen Streitwert im eigenen Land verfügen. Nach der Anti-Österreicherin Elfriede Jelinek und nach dem kritischen Dramatiker Harold Pinter, der vergangenes Jahr mit seiner Nobel-Rede den britischen Irakkrieg kritisierte, hat nun Orhan Pamuk den Literaturnobelpreis zugesprochen bekommen. Weltbekannt wurde er erst, weil er kritisierte, dass in der Türkei nicht vom Massenmord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg gesprochen werden darf, und deswegen vor Gericht gestellt wurde. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass das Nobel-Komitee seine Entscheidung just an dem Tag verkündete, als das französische Parlament beschloss, die Leugnung dieses Völkermordes künftig zu bestrafen.
Nur: Für Orhan Pamuk und die türkische Literatur insgesamt ist dies ein höchst unglückliches Zusammentreffen. Die Empörung vieler Türken über die dumme Entscheidung in Paris wird nun auch Pamuk treffen und die Freude, dass einer der Ihren mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird, erheblich schmälern. Pamuk hat sich zu Recht immer dagegen gewehrt, dass sein literarisches Werk hinter seinen politischen Stellungnahmen zu verschwinden droht. Er hat große Literatur produziert, die des Nobelpreises würdig ist, auch wenn er sich politisch niemals geäußert hätte.
Hoffentlich nimmt das internationale Interesse an türkischer Literatur nun insgesamt zu. Obwohl er herausragt, ist Orhan Pamuk kein einsamer Solitär. Von Nazim Hikmet über Yașar Kemal bis Aziz Nesin und bis hin zu einer Vielzahl junger türkischer Literaten gibt es ein reiches Feld zu entdecken. Passenderweise wird die Türkei 2008 das Partnerland der Frankfurter Buchmesse.
Die einzig richtige Reaktion der türkischen Regierung auf die Ereignisse des gestrigen Tages wäre es deshalb, endlich die „Beleidigung des Türkentums“, deren Pamuk angeklagt war, aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Damit Orhan Pamuk der erste bedeutende türkische Schriftsteller wird, der nie in den Knast kam. Und auch alle anderen mit und nach ihm davor keine Angst mehr haben müssen.