: „Der Irak ist zerbrochen“
taz: Herr Galbraith, Sie haben 2003 einen Krieg gegen Saddam Hussein unterstützt. Bedauern Sie das heute?
Peter Galbraith: Ja, ich glaube der Krieg war ein großer Fehler.
Warum?
Weil er die USA nicht einem einzigen Ziel ihrer Außenpolitik nähergebracht hat – im Gegenteil. Während wir uns im Irak festgefahren haben, haben Iran und Nordkorea mit viel Tempo an ihrem Atomprogrammen gearbeitet. Außerdem hat dieser Krieg das amerikanische Prestige nachhaltig beschädigt. Ich glaube, dass die USA noch nie ein so miserables Image hatten wie derzeit. Außerdem frisst dieser Krieg Geld und Menschenleben. Allerdings würde ich trotzdem sagen, dass es den Irakern seit dem Krieg besser geht.
Wirklich?
Ja. 80 Prozent der Iraker sind Kurden und Schiiten, die unter Saddam grausam unterdrückt wurden. Vor allem den Kurden geht es viel besser. Das kurdische Gebiet im Norden ist stabil, sicher, und es geht, seit die Sanktionen verschwunden sind, wirtschaftlich bergauf. Und auch im schiitischen Süden sieht es besser aus.
Aber dort herrscht faktisch eine Theokratie, von individuellen Freiheitsrechten keine Spur.
Doch. Die persönlichen Freiheiten der Schiiten sind heute weit größer als unter Saddam. Und die schiitische Theokratie hat ihnen niemand aufgedrängt. Das ist ihre eigene Wahl.
Und was sollten die USA im Irak nun tun?
Die Bush-Regierung sollte sich mit der Realität im Irak befassen – und weniger mit ihren Wunschvorstellungen, wie es dort sein sollte. Sie muss begreifen, dass der Irak auseinandergebrochen ist und dort ein Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten tobt. Nur wer das anerkennt, kann eine brauchbare Strategie entwickeln.
Wie sieht die aus?
Fragen wir zuerst, ob die Ziele der Bush-Regierung realistisch sind. Die Bush-Regierung will einen demokratischen und einigen Irak schaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die USA den Bürgerkrieg beenden. Das heißt: Die US-Truppen müssten erstens in allen multiethnischen und -religiösen Gebieten des Irak und vor allem in Bagdad als Polizei den Frieden erzwingen. Und zweitens müssten die USA die schiitischen Milizen entwaffnen, die sich unter der US-Besatzung bislang zu einer mehr als 100.000 Mann starken Truppe entwickelt haben.
Und das halten Sie für unrealistisch?
Ja. Wer das will, muss viel, viel mehr US-Soldaten in den Irak schicken. Selbst dann ist fraglich, ob die beiden Ziele erreichbar sind. Niemand weiß, ob wir bei der Entwaffnung der schiitische Milizen erfolgreicher wären als derzeit bei der Bekämpfung der Aufstände.
Die Bush-Politik ist also Ihrer Meinung nach gescheitert, der Irak faktisch schon auseinandergebrochen. Was folgt daraus?
Erstens, dass wir die Kurden und ihre Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, unterstützen. Zweitens, dass wir die Schiiten ermutigen, zu tun, was sie sowieso wollen – nämlich eine südliche Region formen. Wir sollten die Verwandlung der schiitischen Milizen in eine reguläre Armee unterstützen – so wie die Peschmerga schon jetzt die reguläre Armee der Kurden ist.
Damit wird der Süden zu einer Theokratie …
Ja, und er wird stark vom Iran beeinflusst werden. Allerdings ist genau das auch jetzt schon der Fall – und wir schauen tatenlos dabei zu. Die dritte Region ist die sunnitische. Dort scheitert tagtäglich der Versuch der USA, den Aufstand unter Kontrolle zu bekommen. Und er muss auch scheitern, solange dies irakische Truppen tun, die faktisch schiitische Truppen sind, die den sunnitischen Aufstand bekämpfen. Die Sunniten mögen den Aufstand nicht besonders – doch die schiitische Theokratie mögen sie noch viel weniger.
Sie plädieren also für einen vollständigen Rückzug der USA?
Nein, nicht vollständig. Es existieren faktisch drei Regionen. Eine prowestliche, proamerikanische im Norden, eine proiranische im Süden. Und eine den USA feindliche gesinnte sunnitische in der Mitte. Wenn diese Teilung vollzogen ist, könnten sich die USA sofort aus dem Süden völlig zurückziehen. Derzeit erreichen wir dort mit unserer militärischen Präsenz gar nichts: Wir fördern die Demokratie nicht, wir bekämpfen die Milizen nicht. Die USA können sich auch aus der sunnitischen Mitte zurückziehen, die hoffentlich imstande ist, die Extremisten im Zaum zu halten. Wir haben im Irak nur ein übergeordnetes Ziel – nämlich zu verhindern, dass al-Qaida in der sunnitischen Region Fuß fasst und dort Basen etabliert. Aber dazu reicht es, wenn wir Truppen im Norden stationiert lassen, die, wenn dies nötig ist, mit der Peschmerga zusammen gegen al-Qaida intervenieren können.
Machen Sie nun nicht den gleichen Fehler wie Georg W. Bush – nämlich Wunsch und Wirklichkeit zu verwechseln? Woraus speist sich denn Ihr Vertrauen, dass es in der gewalttätigen sunnitischen Mitte zu einer Befriedung kommt?
Ich hoffe das. Aber natürlich weiß ich nicht, ob die sunnitischen Araber al-Qaida draußen halten werden. Man muss dies, auch finanziell, attraktiv für sie machen. Wenn sie mit al-Qaida kooperieren, ist das nicht gut für ihre Wirtschaft. Außerdem wird al-Qaida von den lokalen, traditionellen Führern als Konkurrenz betrachtet. All dies ist aber unsicher. Deshalb sollten wir Truppen im Norden stationieren.
Sie plädieren für drei autonome Regionen mit eigenen Regierungen, eigenen Armeen und Bürgern, die eine gemeinsame religiöse und ethnische Identität verbindet. Kurzum: eine Teilung des Irak in drei Nationen.
Nun, ich glaube, dass die vollständige Unabhängigkeit Kurdistans unvermeidlich ist. Die Kurden haben 2005 bei einem Referendum mit 98 Prozent für die Unabhängigkeit votiert. Mehr noch – sie hassen den Irak, und zwar aus nachvollziehbaren Gründen. Sie wollten, vom Tag der Gründung des Irak, nie Teil dieses Staates sein. Die arabischen Iraker haben sie stets unterdrückt – bis hin zu dem Gasangriffen Saddam Husseins. Fast jedes kurdische Dorf ist schon mal zerstört worden. Sobald die internationale Lage es erlaubt, werden sie einen unabhängigen Staat gründen.
Das Nato-Mitglied Türkei dürfte die Frage, ob ein kurdischer Staat unvermeidlich ist, etwas anders beurteilen.
Wenn die Türken die kurdischen Unabhängigkeit verhindern wollen, wird das ungeheuer teuer. Das wissen auch die türkischen Militärs und Politiker. Eine militärische Intervention gegen die Peschmerga, eine 100.000 Mann starke Truppe, würde ihnen einen Konflikt mit den USA bescheren. Die Chance, in diesem Jahrhundert noch Mitglied der EU zu werden, wäre gleich null. Und dieser Krieg könnte zudem ein türkisches Vietnam werden. Das türkische Militär hat 15 lange Jahre gebraucht, um 5.000 PKK-Kämpfer zu unterdrücken – und das war außerdem ein Heimspiel auf türkischem Territorium. Deshalb gibt es in der Türkei auch manche, die in einem unabhängigen Kurdistan mittlerweile eine Chance sehen: Die Kurden sind säkular, prowestlich, eher demokratisch, und keine Araber – wie die Türken auch. Deshalb ist es klüger, wenn die Türkei das Unvermeidliche akzeptiert und Kurdistan zu einem türkischen Satelliten zu machen versucht.
Halten Sie die Teilung zwischen Sunniten und Schiiten auch für unvermeidlich?
Die Lage dort ist anders als in Kurdistan. Dass sich die Leute so stark als Schiit und Sunnit definieren ist relativ neu. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass das Pendel auch wieder umschwingt. Außerdem wollen alle Kurden die Unabhängigkeit – aber nicht alle Schiiten und Sunniten. Jedenfalls zurzeit noch nicht.
Falls es zu dieser Teilung kommt – was wird dann aus Bagdad?
Dort ist die Teilung in den schiitischen Osten und den sunnitischen Westen längst im Gang. Nicht weil es einen Teilungsplan gibt, es passiert einfach. Das ist ein Drama.
Warum sperrt sich die Regierung dagegen, die, wie Sie sagen, unaufhaltsame Teilung des Irak zu akzeptieren?
Ich glaube, weil viele Leute in der Bush-Regierung schlecht informiert sind und keine Ahnung haben, was wirklich im Irak los ist. Condoleezza Rice hat mir, als sie noch Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates war, erzählt, wie „beeindruckt“ sie von der „Treue der Kurden zum irakischen Staat“ war …
Oha …
Ein wörtliches Zitat. Praktisch macht die US-Regierung allerdings längst eine andere Politik. Sie hat eine Verfassung auf den Weg gebracht, die eine Roadmap zur Trennung ist. Die Regionen verfügen demnach über eigene Armeen – und die Kontrolle über alle künftig neuentdeckten Ölfelder.
Die US-Regierung hat also faktisch, wenn auch nicht öffentlich, anerkannt, dass der Traum von einem demokratischen, einigen, prowestlichen Irak tot ist. Gleichzeitig sind Nordkorea und Iran hinter den Schwierigkeiten der USA im Irak verschwunden. Was kann die US-Außenpolitik in Bezug auf Iran und Nordkorea tun?
Reden. Einen diplomatischen Dialog beginnen. Die Sache ist doch ziemlich einfach: Wenn man keine militärische Option hat, ist es sinnlos, damit zu drohen. Wer nicht kämpfen will – und die USA wollen dies nicht –, muss reden. Nordkorea hat mehrmals angeboten, sein Atomprogramm zu stoppen, wenn es dafür einen Friedensvertrag und eine Sicherheitsgarantie bekommt. Ich weiß nicht, ob es sein Wort hält oder nicht. Ich weiß aber, dass die Strategie der US-Regierung ein kompletter Fehler ist. Wir sollten Nordkorea eine Chance geben –denn eine machbare Alternative haben wir nicht.
Und im Fall Iran?
Gilt das Gleiche. Der iranische Präsident ist ein Heißsporn und wirklich nicht mein Fall. Aber er hat uns einen Dialog angeboten. Doch die US-Regierung weigert sich, ihn aufzunehmen …
Warum? Weil noch immer die Dogmen der Neocons die US-Außenpolitik beherrschen?
Ja, genau deswegen. Unsere Politik gegenüber der sogenannten Achse des Bösen zeigt, dass unsere nationale Sicherheit einer Ideologie geopfert wird. Das hat religiöse Züge. Es gibt Glaubenssätze wie „Wir reden nicht mit bad guys“ oder „Wir werden einen Regimewechsel im Iran schaffen“, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben.
INTERVIEW: MATT HERMANN