MARTIN UNFRIED über ÖKOSEX : 2-Komma-7, Al Gore wird mich lieben
Es ist so einfach, ein atomstromfreier Mensch zu sein. Sogar meine Schwiegermutter hat EnBW längst „Adele“ gesagt
Wir befinden uns in turbulenten Ökosexwochen, und ich erkläre gleich, warum. Erst das Ergebnis des taz-Effizienzwettbewerbs (vgl. letzte Ökosex-Kolumne): Thomas Langen aus Cottbus ist unser Topenergie-Experte. Er produzierte 2005 zu Hause mit Photovoltaik 247 kWh Strom mehr, als er verbrauchte. Langen wird voraussichtlich das taz-Kompetenzteam der Effizienzrevolutionäre im Kanzleramt beim Energiegipfel vertreten. Wir warten nur noch auf die offizielle Einladung der Kanzlerin. Jetzt zu den anderen Wundern.
Ich steuerte letzte Woche mit einem Tiroler Kollegen, der in Barcelona wohnt, von Berlin-Kreuzberg Richtung Blankenburg im Harz. Mit einem Audi, angetrieben von fossilen Brennstoffen. Der Tiroler sprach heiter von seinem neuen Offroader Santa Fe. Der hat einen 60-Liter-Tank, mit dem er von Barcelona kaum an die französische Grenze kommt. Der Costa-Brava-Kenner weiß, das sind nicht mal 300 Kilometer. Santa Fe, ha! So fuhren wir durch die anhaltinische Nacht. Und es ereignete sich etwas, was später nur noch das Wunder von Blankenburg genannt werden wird. Am Ortseingang sprang die Verbrauchsanzeige des Audis von 2,8 auf 2,7 Liter. Wir hatten 2,7 Liter auf 100 Kilometer verbraucht. Ich bekam ein orgasmusähnliches Gefühl und schrie aus dem Fenster: „Zweikommasieben, Al Gore wird mich lieben!“
Angeberei ist ja eigentlich eine recht unappetitliche Tugend. Nicht aber, wenn wir es ernst meinen mit der Rettung des Planeten. Ein amerikanischer Trendforscher hat in der Zeit erklärt, warum Leute für Handyklingeltöne gern Geld auszugeben, für Musik-Runterladungen dagegen nicht. Es läge an der Außendarstellung. Das Klingeln sollen andere hören, Musik dagegen konsumiere man nur noch im Kopfhörer. Es tauge nicht mehr zum Herzeigen. Und damit zum dritten Wunder, dem Atomausstieg.
Unerwartet traf mich in letzte Woche das Wunder von Berlin. Neun große Umwelt- und Verbraucherverbände brüllten zum Thema Biblis/RWE: „Es reicht, kein Strom mehr von Atomkonzernen!“ Das ist der lang ersehnte knallharte Atomstromboykott. Die Stromkündigung als Steinewerfen des 21. Jahrhunderts am Bauzaun der Nachfrage. Und die regelt bekanntlich das Atomstromangebot.
Vergesst die Politik. Wenn das Volk der Atomkraftskeptiker das Produkt Atomstrom nicht mehr kauft, dann wird es keinen Atomstrom mehr geben. Oder bescheidener: wenn viele Stromkunden bis Ende des Jahres zum RWE-Chef Harry Roels Harriwidertschi sagen, dann wird RWE viel weniger Stromkunden haben und sich überlegen, ob es sich Anträge zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken noch leisten kann. Es ist so einfach, die Homepage www.Atomausstieg-selber-machen.de zu öffnen und in fünf Minuten ein atomstromfreier Mensch zu sein. Es geht übrigens auch um Eon, Vattenfall und EnBW (Yello).
Wie aber löst man den vollen Ausstiegshype aus? Wie kreiert man beim Strom den Herzeigeeffekt, der Handyklingeltöne so erfolgreich machte? Ganz einfach: mit Angebersteckdosen. Atomstromfreier Strom darf nur aus trendigen Designersteckdosen kommen, die man kaufen und herzeigen kann. Und schon haben wir ein richtiges Produkt. Coole Dose, cooler Strom.
Als Plan B folgt das Konzept der Nervensägen. Ich beispielsweise gebe ständig an mit meiner Schwiegermutter. „Wer hat denn“, doziere ich häufig, „bereits vor vier Jahren den Atomkonzernen die rote Karte gezeigt?“ Meine Schwiegermutter! Und warum hat Sie der EnBW Adele gesagt? Weil ich sie so lange nervte, bis sie überzeugt war vom grünen Strom. In diesem Sinne: taz-LeserInnen tretet ein in den „Verband der Deutschen Nervensägen Atomstromkündigung“ (NERVAT). Ich bin zufällig der Präsident und vergebe ein schönes Zertifikat: „Diplom-Nervensäge Atomstromkündigung“. Und dann kann jeder seine eigene Ausstiegsparty zelebrieren. Bei Salzgebäck und Bier werden die Nachbarn so richtig ungezwungen genervt, bis sie umsteigen. Von Tupper lernen heißt siegen lernen.
Change? www.Atomausstieg-selber-machen.de Montag: Susanne Lang trifft DIE ANDEREN