: „Kapitalismus ohne Arbeitslose gibt es nicht“
In Südschweden haben Rechtsextreme bei den Wahlen zugelegt. Den Autor Henning Mankell überrascht dabei nur, dass nun alle so überrascht sind. Denn den rechten Erfolg hatte einer schon lange vorhergesehen: Kommisar Wallander
taz: Herr Mankell, die nationalistischen „Sverigedemokraterna“ haben bei der Reichstagswahl in Schweden fast 3 Prozent der Stimmen erhalten und ihre kommunalen Mandate verdreifacht. Ihr Held, Kommissar Wallander, hat schon immer vor dem rechten Tendenzen in der schwedischen Gesellschaft gewarnt. Was würde er jetzt sagen?
Henning Mankell: Ich weiß nicht, was Wallander sagen würde. Ich weiß nur, dass ich überrascht bin, dass so viele Leute überrascht sind. Diese Entwicklung war in den letzten fünf bis zehn Jahren abzusehen. Die etablierten Parteien haben die Sverigedemokraterna ignoriert und versucht sie totzuschweigen. Das war ein schwerer Fehler, vor allem von den regierenden Sozialdemokraten. Das hätte Wallander übrigens auch so gesehen.
Er war ja schon immer sehr pessimistisch, wenn es um die Zukunft Schwedens ging …
… nein, er sieht nur die Tatsachen. Man muss endlich mit den Nationalisten offen diskutieren und sie mit Fakten widerlegen, denn sie verbreiten vor allem Lügen. So stimmt es zum Beispiel einfach nicht, dass die meisten Immigranten von der Sozialhilfe leben.
Überraschend ist, dass die Sverigedemokraterna Erfolg hatten, obwohl ihnen ein charismatischer Führer fehlte. Jimmie Åkesson ist 27 Jahre alt und sieht aus wie ein dicklicher Oberschüler.
Da zeigt sich ja gerade der Fehler, dass die etablierten Parteien die Nationalisten nicht in einer offenen Diskussion gefordert haben. Es wäre ganz leicht gewesen, sie in die Ecke zu drängen.
Aber wie erklären Sie sich den Zulauf?
Viele Arbeitslose glauben zum Beispiel, dass die Einwanderer schuld sind, wenn sie keinen Job finden.
Offiziell beträgt die „offene“ Arbeitslosigkeit doch nur 4,6 Prozent.
Diese Statistik ist geschönt. Die wirkliche Arbeitslosigkeit liegt sehr viel höher. Die Arbeitslosen wurden zum Beispiel bei den Krankschreibungen versteckt. Mich hat schon immer gewundert, dass so viele Deutsche Schweden für ein Arbeitsmarktparadies halten.
Wenn die Arbeitslosigkeit das eigentliche Problem ist, dürfte es aber wenig bringen, mit den nationalistischen Wählern nur zu diskutieren.
Deswegen war es richtig, dass die bürgerlichen Oppositionsparteien den Arbeitsmarkt zu ihrem zentralen Thema gemacht haben. Damit haben sie ja auch die Wahl gewonnen.
Die Vorschläge der neuen schwedischen Regierung sind in Deutschland schon alle umgesetzt worden, wie zum Beispiel die Privatvermittlung – ohne großen Erfolg.
Ich glaube nicht, dass man Schweden mit Deutschland vergleichen kann. Man muss es hier ausprobieren. Aber es scheint tatsächlich so zu sein, dass der Kapitalismus immer eine Quote von Arbeitslosen braucht und produziert.
Die Nationalisten waren vor allem in Südschweden erfolgreich …
… man muss vorsichtig damit sein, das Wort „Erfolg“ zu benutzen. Noch sind die Sverigedemokraterna sehr klein.
Trotzdem sind sie in einigen südschwedischen Gemeinden auf bis zu 22 Prozent gekommen. Ist die Region Schonen anders als der Rest von Schweden?
Nein, Schonen ist nur eine Grenzregion, wo Skandinavien an Zentraleuropa stößt. Überall auf der Welt haben die Grenzregionen Probleme, weil dort besonders viele Migranten ankommen. So kann dann am ehesten der Mythos entstehen, dass die Einwanderer an den sozialen Problemen schuld sind. Aber eigentlich zeigt die Wahl nur, dass Schweden ein normales europäisches Land ist, das wie die anderen Länder eine fremdenfeindliche Partei hat. Die Überraschung ist nur so groß, weil vorher der Mythos gepflegt wurde, dass es bei uns keine Nationalisten gibt.
In Schweden gehen die Meinungen auseinander, wie die Sverigedemokraterna zu beschreiben sind: Manche sehen sie als Protestpartei, andere als rassistische Partei.
Die Sverigedemokraterna sind beides, das lässt sich nicht trennen. In dem Programm zeigt sich mehr oder minder offene Fremdenfeindlichkeit, wenn es etwa heißt, dass es als „Endlösung“ am besten wäre, wenn die Einwanderer freiwillig wieder das Land verlassen würden.
Von 9 Millionen Schweden wurden 1,1 Millionen nicht im Land geboren. 450.000 stammen aus nicht-europäischen Staaten. Wurden zu viele Einwanderer ins Land gelassen?
Nein. Man kann nicht die Migranten für die Probleme der Gesellschaft verantwortlich machen.
Da ist Wallander aber anderer Meinung.
Am Anfang vielleicht, zu Beginn der 90er. Aber jetzt hat er seine Ansichten geändert und stimmt mit mir überein.
INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN