: Mini-Krebs rettet die Welt
Ein winziger Krebs sorgt dafür, dass im Pazifik jährlich 600 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid in den Tiefen des Ozeans verschwinden. Doch bisher ist über die Rolle, die die Krebse im Kohlenstoffkreislauf spielen, relativ wenig bekannt
VON GERD F. MICHELIS
Er ist fünf Millimeter klein und hat einen lateinischen Namen: Neocalanus. Vom Typ her ist er ein Ruderfußkrebs und von Beruf Kohlendioxid-Entsorger. Er und Myriaden seiner Zooplankton-Kollegen sorgen dafür, dass jährlich fast 600 Millionen Tonnen des gefährlichen Treibhausgases im Pazifik versenkt und somit unschädlich gemacht werden. Doch die Versauerung der Ozeane bedroht seine Existenz.
„Der subarktische Teil des Pazifiks“, erklärt Professor Naonobu Shiga, Meeresbiologe an der Universität Hokkaido in Japans, „ist eine der wichtigsten Sinkregionen für Kohlendioxid, oder besser gesagt: für organische Kohlenstoffe. Bisher nahmen wir an, dass pflanzliches Plankton, also Phytoplankton, dabei die wichtigste Rolle spielt, weil es via Photosynthese zunächst Kohlendioxid bindet und dann bei seinem Absinken Kohlenstoff in große Tiefen mitnimmt.“
Biologische Pumpe nennen Experten diesen Vorgang, bei dem organisches Material in Wassertiefen von 1.000 Metern und mehr absinkt, sich dort ablagert und somit für hunderte von Jahren dem Kohlenstoffkreislauf entzogen ist. „Unsere aktuellen Forschungen jedoch haben ergeben“, ergänzt Professor Shiga, der nebenbei auch Vizepräsident der japanischen Plankton-Gesellschaft ist, „dass die Rolle des tierischen Planktons, also des Zooplanktons, und hier im Besonderen die des Ruderfußkrebses wesentlich bedeutender ist.“
Nun ist die Feldforschung an Ruderfußkrebsen im Nordpazifik keine einfache Sache. Jetzt im Spätsommer sind die Copepoden, wie die Tiere auch genannt werden, dick und wohlgenährt, nachdem sie die Planktonblüten abgegrast haben. Doch ihre Größe von bis zu fünf Millimetern und ihre Sinkgeschwindigkeit von 100 Metern pro Tag sind nicht gerade hilfreich, wenn man ihnen nachspüren will.
„Zwar wissen wir noch viel zu wenig über die Nahrungskette entlang der vertikalen Wassersäule“, erläutert Shiga, „trotzdem sind wir ziemlich sicher, dass viele der Neocalanus-Copepoden in Tiefen von bis zu 1.000 Metern, wo sie ihre Diapause einlegen, um zu überwintern, von dort lebenden Tiefseefischen gefressen werden.“ So verbleibt organischer Kohlenstoff, den die Copepoden an der Oberfläche aufgenommen haben, in großen Tiefen – etwa in den Mägen der kleinen Laternenfische.
Eine weitere wichtige Rolle bei der Kohlenstoff-Einlagerung spielen die Kotkügelchen, die Ruderfußkrebse auf ihrem Weg in die Tiefe ausscheiden. „Während nämlich absinkendes pflanzliches Plankton häufig von Bakterien befallen wird“, so Professor Shiga, „und dabei selbst wieder Kohlendioxid freisetzt, bleiben die Kotprodukte der Copepoden von Bakterien verschont. Sie sinken einfach zu schnell, außerdem sind sie relativ dickwandig.“
Angesichts der Tatsache, dass Neocalanus-Copepoden die größte Biomasse im subarktischen Teil des Pazifiks darstellen, müssen es Tonnen von Kot sein, die im Spätsommer mit einer Geschwindigkeit von dreihundert Metern pro Tag in die Tiefen rauschen. Tonnen von organischem Kohlenstoff also, der sauber und sicher entsorgt wird.
Hiroaki Saito vom japanischen Nationalen Fischerei-Forschungsinstitut in Tohoku hat das einmal hochgerechnet. „Wenn wir davon ausgehen“, erklärt er, „dass Neocalanus-Copepoden etwa 4,3 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter Wasseroberfläche mit in die Tiefe nehmen, entspricht das ungefähr 590 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die mit Hilfe der kleinen Krebse der Erdatmosphäre entzogen werden – und zwar pro Jahr und allein im Bereich des Nordpazifiks.“
Dennoch handele es sich dabei, so Professor Ulf Riebesell vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften IFM-Geomar in Kiel, „um einen vergleichsweise geringen Beitrag zur biologischen Kohlenstoffpumpe, durch die Kohlendioxid in den tiefen Ozean verfrachtet wird. Insgesamt werden hierdurch jährlich circa 15 Milliarden Tonnen Kohlenstoff bzw. 55 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Tiefe gepumpt.“ Zum Vergleich: 2004 lagen die gesamten Kohlendioxid-Emissionen Japans bei etwa 1,3 Milliarden Tonnen.
Verblüffend ist dennoch, dass Kleinstlebewesen wie Neocalanus eine solch bedeutende Rolle bei der Kohlenstoffversenkung spielen. Aber noch verblüffender mag die Erkenntnis sein, dass ebendieser Prozess durch die stetig steigende Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre bedroht ist. Denn ein Drittel davon löst sich als Kohlensäure im Meer, was zu einer dramatischen Versauerung der Ozeane führt: Phytoplankton etwa leidet unter Kalkmangel und wächst erheblich langsamer – seine Gesamtmenge nimmt ab. Dadurch sinkt nicht nur die Photosyntheserate, Neocalanus verliert auch seine Nahrungsgrundlage.
Um dieser negativen Entwicklung entgegenzuwirken, arbeiten Forscher weltweit an Eisendüngungsexperimenten, bei denen Meeresgebiete großflächig mit Eisenionen angereichert werden. Saitos Erfahrungen damit sind durchwachsen: „In eisenarmen Ozeanen wie etwa dem subarktischen Teil des Pazifiks löst die Eisendüngung zwar eine Art künstlicher Blüte des Phytoplanktons aus“, erläutert der Wissenschaftler. „Wir mussten jedoch feststellen, dass der von uns gewünschte Effekt, nämlich die Bindung und Abtrennung von Kohlenstoff, erheblich geringer ausfiel als erwartet.“
Dies hänge damit zusammen, so der japanische Forscher weiter, dass das komplexe marine Ökosystem auf seine eigene Art auf diesen Eingriff reagiert habe. So sei etwa das blühende pflanzliche Plankton in Windeseile von winzigstem tierischem Plankton – etwa 0,06 Millimeter groß – abgegrast worden, wobei der größte Teil des Kohlenstoffs an der Wasseroberfläche verblieben sei.
Wesentlich bessere Erfahrungen machte Ulrich Bathmann, Professor für Biologische Ozeanographie am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Sein Forschungsgebiet ist das Südpolarmeer, wo er bereits zweimal die Reaktionen der Copepoden auf Eisendüngungsexperimente untersuchte.
„Neu ist“, berichtet er von Bord des Forschungsschiffs „Polarstern“, „dass die Tiere diese neu geschaffenen künstlichen Planktonblüten aktiv finden und ausnutzen können. Es handelt sich ja um Plankton, also im Wesentlichen um driftende Organismen, die nicht gegen die Strömung anschwimmen können. Wir haben für das Südpolarmeer jetzt den Mechanismus entdeckt, wie die Tiere es dennoch schaffen, die Blüten zu finden und zu nutzen. Eine Publikation dazu ist gerade in Arbeit.“