: Die Gleichberechtigung zwischen 0 und 1
Zwischen Diskriminierung von Frauen und wirtschaftlicher Entwicklung eines Landes gibt es einen Zusammenhang. Davon geht die OECD aus. Sie hat eine Datenbank erstellt, mit der Emanzipation international vergleichbar wird
BERLIN taz ■ Was haben Somalia und Sudan gemeinsam? In beiden Ländern ist es noch weit hin zur Gleichberechtigung der Frauen. Und gemeinsam haben die beiden Länder auch schlechte Wirtschaftsdaten. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht darin einen Zusammenhang und belegt dies mit einer aktuellen Studie.
Bislang standen die Forscher vor dem Problem, dass sich der Stand der Gleichberechtigung in einem Land nur schwer bewerten lässt. Ein internationales Expertenteam der OECD hat nun über 50 Parameter festgelegt, mit denen Emanzipation messbar werden soll. Gesammelt wurden Daten aus 162 Ländern. Daraus haben die Forscher die „Gender, Institutions, and Development – kurz: GID – Database“ entwickelt und veröffentlicht. Damit ist die erste umfassende Datenbank über Gleichberechtigung der Geschlechter und der Wirtschaftssituation des Landes, in dem sie leben, online.
Die Motivation der Forscher beruhte auf der Annahme, dass für die Gleichberechtigung der Frauen auch wirtschaftliche Chancen nötig seien. Die Datenbank ist in erster Linie als „Analyseinstrument“ gedacht, erklärt Johannes Jütting vom Entwicklungszentrum der OECD in Paris. Besonders wird die Datenbank durch die Parameter zu den „informellen Institutionen“, also jenen, die sich mit der Stellung der Frau beschäftigen: Daten zur Familie, Heiratsalter der Frau und Polygamiegesetzgebung. Die physische Integrität, die zum Beispiel durch Genitalverstümmelung bedroht ist, wurde ebenso erfasst wie die Möglichkeit für Frauen, am politischen und sozialen Leben im Land teilzuhaben, sich frei zu bewegen oder ein offizielles Amt zu übernehmen. Die Eigentumsrechte erfassen, inwieweit die Frauen des Landes Besitz in Form von Geld oder Land erwerben und besitzen „dürfen“. Die Ergebnisse werden auf einer Skala zwischen 0 und 1 bewertet, dabei ist 1 schlecht und 0 gut.
Jütting räumt ein, dass die Datenbank erweiterungsfähig ist. Indien bestünde schließlich aus mehreren völlig unterschiedlichen Teilstaaten. Die Kritik eines Kollegen, man könne afrikanische Kulturen nicht mit europäischen Maßstäben bewerten, weist Jütting aber zurück: „Die OECD hat ihre Vorstellungen von Gleichberechtigung nicht der gesamten Welt aufgedrückt.“ Gemessen werde nur, was objektivierbar ist: Beispielsweise, wenn in dem Land Zwangsverheiratung von Frauen unter 18 Jahren gesetzlich erlaubt sei oder toleriert werde. Das sei ein Verstoß gegen die universell anerkannten Menschenrechte, darüber lasse sich nicht diskutieren. Ganz zu schweigen von Genitalverstümmelung.
Die OECD hofft, mit der Datenbank NGOs und politischen Entscheidern wichtige Argumente in die Hände zu geben. Alexander Hülle von amnesty international bezeichnet die Datenbank als „sehr guten Anfang“ und „eine große Hilfe für eine menschrechtsbasierte Argumentation bei Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern“.
Aber Hülle bleibt realistisch und glaubt nicht, dass Statistiken allein viel Macht haben. Wirtschaftliche Entwicklung schaffe immer Sieger und Verlierer. Die Frage sei nur, wie die Sieger mit den Verlierern umgingen. „Frauen treffen demokratische Defizite immer stärker“, resümiert Hülle. Wirtschaftlicher Wohlstand schaffe leider nicht automatisch Menschenrechtsachtung. SUSANNE SCHWARZ