: Das umstrittene Projekt Atomforschung
Seit 1967 forschen in Jülich Wissenschaftler zur Atomenergie – mit wechselnder Begeisterung der Landesregierung
Die Unterstützung des Forschungszentrums Jülich (FZJ) war stets vom politischen Klima geprägt. 1956 vom Land NRW bei Aachen gegründet, schwamm das FZJ zunächst auf der Atomeuphorie-Welle der 60er Jahre. 1962 gingen die ersten beiden Forschungsreaktoren in Betrieb, die allerdings nicht zur Energiegewinnung genutzt wurden. Sie dienten lediglich als Neutronenquelle für zahlreiche Experimente, etwa für die Chemie, Biologie oder Physik.
Kernenergie aus NRW im Stromnetz
Nach siebenjähriger Bauzeit wurde der weltweit erste „Thorium-Hochtemperatur-Reaktor“ (THTR) 1967 in Jülich fertig gestellt. Seine Besonderheiten sind der kugelförmige Uranträger Graphit (so genannter „Kugelhaufenreaktor“) und das verwendete natürliche Element Thorium. Finanziert wurde die Forschung seit dem Bestehen zu 90 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent vom Land. Von Beginn an lieferte der Reaktor Strom ins NRW-Netz.
Die Kernforscher rühmten sich damit, die Kettenreaktion bei der Kernspaltung könne wegen der Besonderheiten des Graphits sehr gut kontrolliert werden. Damit wollten sie der in Verruf geratenen Atomtechnik ein Image der sicheren Energieerzeugung verpassen.
Kernreaktoren in der Kritik
Als sich Mitte der 80er Jahre das politische Klima änderte, verfügte der Aufsichtsrat des FZJ, dass die Leistung des THTR kontinuierlich gesenkt werden solle. 1988 stellten die Betreiber ihn endgültig ab. Die Frustration bei den Wissenschaftlern war damals groß: „Wir waren von der Technik überzeugt“, sagt FZJ-Sprecher Peter Schäfer. Allerdings gab es auch in einem zweiten THTR-Reaktor Störfälle, der 1987 in Hamm-Uentrop in Betrieb gegangen war. Haltebolzen waren von den Keramikplatten abgebrochen, die den Kühlkreislauf schützen sollten, wodurch im Ernstfall Strahlung hätte austreten können. Nach zwei konfliktreichen Jahren wurde die Anlage bereits wieder geschlossen. Anti-Atom-AktivistInnen hatten so häufig gegen den Reaktor geklagt, dass sie sich auch finanziell nicht mehr lohnte – so jedenfalls die Darstellung der THTR-Befürworter aus Jülich. Umweltinitiativen machten die technischen Pannen im Reaktorsystem für das Scheitern verantwortlich. Inzwischen sind andere Länder an der THTR-Technologie interessiert. In Südafrika wird momentan mit Unterstützung aus Jülich ein THTR-Reaktor gebaut.
Pinkwart will Kernforschung im Land halten
Zurzeit gibt es noch einzelne Forschungsarbeiten, in denen vor allem die verbrauchten Graphitkugeln des Reaktors untersucht werden. Lange werden die Studien aber nicht mehr möglich sein. Die beiden leitenden Wissenschaftler der Reaktorforschung in Jülich werden in den kommenden drei Jahren emeritiert. Zurzeit verhandelt eine Arbeitsgruppe, bestehend vor allem aus den Trägern des FZJ von Landes- und Bundesministerien, über die Zukunft der Kernforschung.
Landes-Forschungsminister Andreas Pinkwart (FDP) setzt sich für neue Professorenstellen und Gelder ein: „Wir wollen die vorhandene Kompetenz im Bereich der Kerntechnologie und der Kernsicherheitsforschung erhalten und ausbauen“, sagte er Ende Juni. Sein Sprecher André Zimmermann ergänzte gestern: „Dafür ist die Förderung von Nachwuchs ein wichtiger Schwerpunkt“. Ausgebildet werden soll nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für Betreiber, Bewilligungsbehörden und Überwachungsstellen von Anlagen im In- und Ausland. Gegen die Pläne regt sich Protest von Umweltinitiativen und FZJ-MitarbeiterInnen.
MORITZ SCHRÖDER