: Das wilde Biest Klima
Alles, was man über das Treibhaus Erde wissen muss, erfährt man leicht verständlich in Stefan Rahmstorfs und Hans Joachim Schellnhubers neuem Buch „Der Klimawandel“
VON BERNHARD PÖTTER
Normalerweise machen sich Laien mehr Sorgen als Fachleute, hat der Professor für Ingenieurwissenschaften an der US-Universität Princeton, Robert Socolow, beobachtet: Bei der Atomkraft etwa sind die Kernphysiker weniger aufgeregt als der Durchschnittsbürger. „Beim Klima aber“, sagt Socolow, „sind die Experten – die Leute, die tagtäglich an Klimamodellen arbeiten – besorgter und sagen: Tut endlich was!“
Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber gehören zur internationalen Elite der Klimaforscher. Und sie machen sich Sorgen. Rahmstorf untersucht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die Physik der Ozeane, Schellnhuber lehrt Physik in Oxford. Zusammen haben sie „Der Klimawandel“ geschrieben: 144 Seiten kurz, leicht zu lesen und daher auch besonders lesenswert. Ruhig schlafen kann der Leser nach diesem Buch allerdings nicht mehr.
Der Tenor ist nicht neu: Wir sind schon mittendrin im Klimawandel, und es kommt noch viel dicker. Auch für Menschen, die sich seit der 11.Klasse nicht mehr mit Physik befasst haben, erklären Rahmstorf und Schellnhuber, wie der Treibhauseffekt entsteht, was der Klimawandel bewirkt, wer dafür die Verantwortung trägt und wo eine Lösung des Problems liegen könnte.
Für sie zählen die Fakten: Anreicherung des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre von ursprünglich 280 auf jetzt 380 ppm (parts per million), globaler Temperaturanstieg im 20. Jahrhundert um 0,6 Grad. Zudem steigt der Meeresspiegel schneller als gedacht, die Gletscher tauen ab, Stürme, Sturmfluten und Dürren nehmen zu.
Die Forscher warnen: Das Klima der Erde „ist ein sensibles System, das in der Vergangenheit schon auf recht kleine Änderungen in der Energiebilanz empfindlich reagiert hat – kein träges Faultier, sondern eher ein wildes Biest“. Ohne Gegenmaßnahmen ist unser Planet am Ende dieses Jahrhunderts um 2 bis 6 Grad wärmer. Es könnten aber auch 7 bis 8 Grad sein.
Die Autoren argumentieren wissenschaftlich, denken aber auch politisch. So entzaubern sie den Klimaskeptiker Richard Lindzen mit dem schlichten Hinweis, er stütze seine These nicht durch empirische Belege und negiere alle Daten der Klimageschichte. Und sie erklären, wie die Lobbyarbeit der Ölindustrie in den USA dazu geführt hat, dass die Mehrheit der US-Amerikaner die Lüge glaubt, die Wissenschaft streite noch immer über den Klimawandel.
Das Buch birgt keine überraschenden Lösungen: Um den Anstieg der Temperaturen erträglich (bei 2 Grad Celsius oder 450 ppm) zu halten, fordern Rahmstorf und Schellnhuber einen „Strukturwandel vom Kaliber einer Zweiten Industriellen Revolution“. Gebraucht werde eine Politik der öffentlichen Hände, die durch Gesetze und Richtlinien, Aufklärung und Technologieförderung einen „induzierten Fortschritt“ ermöglicht. „Der Fortschrittshund der Weltwirtschaft“, so die Forscher, „muss von der Energiepolitik zum Jagen getragen werden.“
Das sei nicht nur ökologisch geboten, sondern auch ökonomisch erforderlich: Alle Klimaschutzmaßnahmen zusammen kosteten ein halbes Prozent des globalen Bruttosozialprodukts und seien Peanuts, verglichen mit den Kosten des ungebremsten Klimawandels: „Die volkswirtschaftlichen Einbußen würden rund zwanzigmal so hoch liegen wie die Kosten der Klimastabilisierung auf einem akzeptablen Niveau.“
„Der Klimawandel“ ist schon deshalb ein Gewinn, weil er kurz und prägnant komplexe physikalische Prozesse eingängig erklärt, ohne die man die geografischen und politischen Veränderungen auf dem Globus in den nächsten Jahrzehnten nicht begreift. Das Buch hat seine besonderen Stärken aber auch dort, wo der Leser unter den wissenschaftlichen Fakten die kalte Wut der Experten spürt, wie ihr überlebenswichtiges Thema in der öffentlichen Debatte verdrängt und von den Medien verhunzt wird.
Sie schildern völlig abstruse Gedankenexperimente, mit Großtechnologien des Klimawandels Herr zu werden (Spiegel im Weltraum, Flutung des Kongobeckens). Sie nennen die bisherigen Mittel für die Anpassung an den Klimawandel ein „Millionen-Dollar-Programm für ein Billionen-Dollar-Problem“ oder stellen zur Wahl, ob man wegen der steigenden Hurrikangefahr nicht gleich die Karibik räumen sollte. Und sie rauben uns die Illusion, es werde schon irgendwie gut gehen: „Auf eine rasche und ungewöhnlich starke Abnahme der Sonnenaktivität oder auf kühlende Vulkaneruptionen können wir kaum hoffen.“
Stefan Rahmstorf, Hans Joachim Schellnhuber: „Der Klimawandel. Diagnose, Prognose, Therapie“. C. H. Beck Wissen, München 2006, 144 Seiten, 7,90 Euro