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Archiv-Artikel

Animalisches Vögeln

In den Niederlanden kämpft eine Aktionsgruppe für das tierische Recht auf Sex

Millionen Tiere sterben jährlich, ohne dass sie auch nur einmal im Leben Sex gehabt haben

AMSTERDAM taz ■ Vielleicht haben Sie, liebe Wahrheit-Leser, über das folgende Problem noch nie nachgedacht, aber schon rein zahlenmäßig lässt es sich kaum negieren: 1,3 Millionen Kälber, 10 Millionen Schweine und mehr als 750 Millionen Hühner und Hähne sterben jährlich allein in den Niederlanden, ohne dass sie auch nur einmal im Leben Sex gehabt haben. Der niederländische Tieraktivist Boris van Oirschot nimmt die Sache sehr ernst: „Tiere liefern unter anderem Milch, Eier, Fleisch, Wolle und gute Gesellschaft. Sie haben darum ein Recht auf gute Arbeitsumstände und Spaß im Leben“, so der 32-Jährige. „Es liegt in unserer Verantwortung dafür zu sorgen, dass sie Vergnügen, leckeres Essen, eine schöne Arbeitswoche und ab und zu eine gute Runde Sex haben können.“

Die Aktivisten der Gruppe „Sex voor Dieren“ haben sich alle Mühe gegeben, um ihren Gedanken einen hohen Bekanntheitsgrad zu geben. Ihre vortreffliche Website (www.sexvoordieren.nl) wurde bis Ende August von mehr als 350.000 Menschen besucht. Boris: „Dazu noch zahlreiche Artikel in Zeitungen und Zeitschriften sowie Radio- und Fernsehsendungen. Wahrscheinlich haben mehr als eine Millionen Niederländer von uns gehört.“

Allerdings, dass darf nicht verschwiegen werden, gab es auch reichlich Spott und negative Bemerkungen. Boris will einiges zurechtrücken. „Ein Fernsehsender legte zu viel Nachdruck auf die sexuelle Selbstentwicklung von Haustieren, die wir natürlich auch für wichtig halten. Aber wir machen uns eigentlich mehr Sorgen über die landwirtschaftlichen Nutztiere, die sich mehrheitlich mittels künstlicher Besamung und Kunstweibchen fortpflanzen.“ Eine Amsterdamer Zeitung, Het Parool, suggerierte, dass die Aktionisten Animiertiere anschaffen wollten, die ihre Artgenossen sexuell befriedigen sollten. „Lustige Idee“, sagt Boris, „aber nicht wirklich Teil unserer Pläne.“ Die zum Beispiel so aussehen: Für zehn Euro sollen Niederländer ihre „sexlosen Tiere“ einander zuführen, aber nur unter Artgenossen. Erste Erfolge soll es bereits gegeben haben. Außerdem will „Sex voor Dieren“ 40.000 Unterschriften sammeln, um das Den Haager Parlament zu zwingen, das Thema zu behandeln.

Es zeigt sich wieder einmal, wie wunderbar das Internet in solchen Fällen funktioniert. Die Reaktionen sind zahlreich: „Habt ihr nichts Besseres zu tun“, heißt es da, oder: „Sucht euch mal einen ernsthaften Job.“ Oder es wird die nicht unberechtigte Frage aufgeworfen, was mit den ganzen Nachkommen der heute noch 750 Millionen jungfräulich aus dem Leben scheidenden Hühner in unserem Nachbarland passieren solle. „Wollt ihr dann ein Tierkondom erfinden?“, wird da gewitzelt. Jemand anders merkt an, dass Tiere eigentlich den Sex gar nicht genießen, mal abgesehen von den Bonobo-Affen, den Delfinen und einer bestimmten Sorte Tintenfisch. Im bei Apeldoorn gelegenen Affen-Tierpark Apenheul werden die Bonobo-Affen übrigens sogar als Pornoaffen bezeichnet. Boris meint: „Wir sind allerdings sehr neugierig, wie man herausfinden kann, ob Tiere nun Spaß haben beim Sex oder nicht.“

Jedenfalls ist die Aktion ziemlich erklärungsbedürftig. Auf Radio Noord-Holland durfte ein „Sex-voor-Dieren“-Aktivist eine geschlagene Stunden über das Thema referieren. Am Beginn der Sendung fanden 85 Prozent aller Hörer die Aktion „idiotisch“, am Ende der Sendung „nur noch 78 Prozent“.

Einige Bauern zeigten sich begeistert. „Mit einem Schmunzeln lasen wir von eurer Aktion“, meldete sich die Bauernfamilie Jan Blok, Angelique und Nick Schipper aus Wapsersveen in der Provinz Drenthe. „Wir arbeiten schon seit einigen Jahren nicht mehr mit künstlicher Besamung. Es ist auch viel schöner, die Stiere selbst in Aktion zu sehen. Der Stier weiß genau, wann die Kuh so weit ist und folgt ihr dann über die Weide.“ Wer will, der kann sich das in Wapsersveen persönlich ansehen, denn die Bauern haben ein Bed-&-Breakfast-Hotel. Bewundern kann man dann zum Beispiel Brammie, einen einjährigen Jersey-Stier, der bereits einen kleinen Harem hat. Brammie könnte dann auch für das Louis Bolk Institut in Driebergen in Aktion treten. Dort soll eine biologische Zuchtanstalt aufgebaut werden und dafür sei, wie es heißt, bereits ein „Netzwerk Stier bei der Kuh“ gegründet worden – mit schon 38 Anmeldungen.

Übrigens sind die Aktivisten von „Sex voor Dieren“ noch mit einem anderen außergewöhnlichen Netzwerk verknüpft. Die Aktionsgruppe „Wonder“ hat sich das Projekt „Burgerbuddy“ ausgedacht, bei dem Politiker einen „normalen Bürger“ adoptieren können, damit die Politiker wiederentdecken können, wie es in der Wirklichkeit zugeht. Wenn da bei den Aktionen mal bloß nichts durcheinander kommt.

FALK MADEJA