: Wettbieten mit Nazis?
In Delmenhorst wollen Bürger und die Stadt ein marodes Hotel kaufen, damit es kein Nazi-Schulungszentrum wird. Kann man den Nazis so einfach den Schneid abkaufen oder spielt die Bürgerbewegung ihnen sogar in die Hände? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander, auch in der taz
Spart es euch!
Nazis wird man nicht los, indem man ihnen Geld hinterherwirft
Das Bemühen der Delmenhorster Bürger, der Nazi-„Stiftung“ für Ariernachwuchs die Schrottimmobilie in bester City-Lage vor der Nase wegzuschnappen, ist ehrenwert. Als hilfloser Reflex auf die braune Bedrohung des Friedens in der Stadt ist es ebenso verständlich wie sympathisch. Sinnvoll ist es aber nicht.
Dass das Gebot des Nazi-Anwalts Jürgen Rieger mit 3,4 Millionen Euro weit überhöht ist, war immer klar und ist durch das neue Wertgutachten erneut bestätigt, das dem „Hotel am Stadtpark“ gerade mal einen Wert von 1,33 Millionen Euro attestiert. Man kann trefflich spekulieren über eine Kumpanei zwischen Alteigentümer und Nazis mit dem Ziel, den Preis in schwindelnde Höhen zu treiben. Vielleicht teilen sie sich am Ende wirklich den Extraprofit, der durch die Sammlung unter Delmenhorster Bürgern ermöglicht wird. Vielleicht ist Besitzer Günter Mergel auch nur von krankhaftem Hass auf die Stadtverwaltung getrieben, der er sein persönliches Scheitern als Geschäftsmann anlastet, und benutzt die Nazis als Vehikel im absurden Bemühen, der Stadt maximal zu schaden.
Warum die Nazis so viel bieten? Nun, zunächst einmal weil sie das Geld offensichtlich übrig haben. Solvente Altnazis wissen mit ihrem Vermögen nichts anderes anzufangen, als es windigen Geschäftsleuten im braunen Gewand zu hinterlassen. Aber wollen die die Immobilie wirklich? Und können sie sie nutzen? Das darf durchaus bezweifelt werden. In Hameln hat Rieger ein altes Kino erworben und versucht nun seit geraumer Zeit, es wieder loszuwerden. Sein „Heisenhof“ im nahen Dörverden platzt nicht gerade aus allen Nähten und das alte Militärgelände wäre für „Schulungszwecke“ des braunen Nachwuchses schon atmosphärisch besser geeignet als ein abgewracktes 70er-Jahre-Hotel. Auch der Platzbedarf der Neonazis hat – glücklicherweise – seine Grenzen. Und eine Strategie nach dem Motto „Heute gehört uns der Heisenhof und morgen ganz Niedersachsen“ würde auch die Kriegskasse des Erbschaftsverwalters Rieger überstrapazieren.
Vieles spricht dafür, dass es den Nazis nicht um die Immobilie geht, sondern um die öffentliche Debatte darum. Sonst hätten sie einfach einen weniger prominenten Strohmann als Käufer vorgeschickt. Aber Rieger drängt ins Rampenlicht. Mehr Aufmerksamkeit erreichte der Rechts-Anwalt nie. Nicht mit noch so spektakulären Mandaten für angeklagte Nazischläger. Was er in Delmenhorst durchzieht, ist auch eine Machtdemonstration: Er ganz allein hat es geschafft, dass die Kommune ein Sanierungsgebiet auswies, wo keines geplant war. Indirekt machen Nazis so Kommunalpolitik.
Dagegen muss jeder Demokrat etwas haben. Aber mit Geld allein ist dem Problemnicht zu begegnen: Wenn Initiative und Stadt gemeinsam das Hotel erwerben, wird Rieger weiter ziehen und die nächste Stadt aufmischen. Soll er den Betonkasten doch ruhig kaufen! Die Sanierung wird noch ein paar Nazi-Millionen binden. Dann erst wären Stadt und Bürger wirklich gefordert: Tagtäglich müssten sie den Nazis zeigen, dass sie in der Stadt nichts verloren haben, müssten ihre Fantasie spielen lassen, sich mit rassistischem Gedankengut auseinander setzen – auch im Vorfeld der rechten Parteien, vielleicht sogar in den eigenen Reihen. Das erfordert mehr Engagement als eine einmalige Ablasszahlung, würde aber auch eine nachhaltigere Positionierung bewirken. Das bereits eingezahlte Geld könnte dabei durchaus helfen: Vielleicht in einer Stiftung, die sich die Verteidigung des multikulturellen Delmenhorst zur Aufgabe macht. JAN KAHLCKE
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Für den Delmenhorster Nazi-Verhinderungs-Kauf muss Geld her. Und zwar sofort. Denn er ist ohne Alternative
Es wird ernst. Das Verkehrsgutachten der Katasterbehörde verbietet es Delmenhorst, das von Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger umworbene Hotel am Stadtpark zum geforderten Preis zu kaufen. Mit Drittmitteln ließe sich der Fehlbetrag von 1,8 Millionen Euro ausgleichen – allerdings ist das Spendenaufkommen dafür noch zu niedrig. Manche fragen sich derweil: Ist es überhaupt richtig, Geld für den Nazi-Verhinderungskauf beizusteuern? Nutzt die öffentliche Aufregung nicht dem Immobilienbesitzer, weil sie den Preis treibt? Und steht nicht, sobald Rieger aus Delmenhorst vertrieben ist, ein Heer skrupelloser Spekulanten bereit, um, wie der Delmenhorster Hotelier Günter Mergel, mit dem Neonazi die Gewinnspanne zu erhöhen?
Wie schön, dass es Menschen gibt, die in jeder Lage Bedenken generieren können. Schöner allerdings wäre es, wenn sich die Bedenkenträger einerseits in die Lage der Betroffenen versetzen würden. Und andererseits genügend Vorstellungskraft besäßen, sich die Alternative auszumalen. Das ist leicht: Sie wäre ein Skandal gewesen.
Was hätten wir Journalisten – und das zu Recht – auf die Delmenhorster eingeprügelt, wenn ein bundesweit berüchtigter Volksverhetzer dort unbehelligt in Cityrandlage ein leicht renovierungsbedürftiges, aber betriebsfähiges Großgebäude erworben hätte. Ein Schulungszentrum für Rechtsextreme in einer westdeutschen 100.000-Einwohner-Stadt – der Einschätzung des Verfassungsschutzes zufolge wäre das „ein Fanal für die gesamte europäische Nazi-Szene“.
Lokal sind die Folgen noch viel absehbarer: Der Ort wäre am Ende. Delmenhorst verfügt über eine mittelprächtige Fußgängerzone, ein paar Bausünden und kein weiteres Image. Nach einem Hotelkauf durch Rieger wäre Delmenhorst nur noch die Nazi-Stadt – verbrannte Erde.
Insofern ist es schon ein positives Signal, dass es dort überhaupt Menschen gibt, die sich für ihren Wohnort stark machen. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch der Heisenhof-Besitzer Rieger so viel Gegenwind dort nicht erwartet hat. Überall wird das Fehlen bürgerschaftlichen Engagements beklagt – hier hat es sich lautstark artikuliert. Und mindestens auf den Hotelier auch Eindruck gemacht: Der sucht plötzlich wieder nach anderen Käufern. Und schließt Verhandlungen mit der Stadt, anders als vor einer Woche, nicht mehr kategorisch aus.
Das Geld spielt dabei eine Hauptrolle. Denn die Spenden sind, wie eine Demonstration, eine politische Meinungsäußerung. Sie sind aber ungleich verbindlicher – gerade in einer Zeit, in der Privathaushalte nicht nur wegen der zu Ende gehenden Urlaubssaison knapsen müssen wie nichts gutes: Täglich wächst die Summe, 870.086 Euro zeigte die Spendenuhr gestern an, und was sie misst, das ist der Grad der Mobilisierung.
Aber verlagert das nicht nur das Problem? Wird Rieger, einmal aus Delmenhorst vertrieben, nicht die nächste Kommune heimsuchen? Das ist möglich. Schließlich gibt es Engagement immer nur lokal, und Feuer löscht man nur dort, wo es brennt. Aber kann man den Delmenhorstern wirklich vorwerfen, keine Wurzelbehandlung gegen Nazis erfunden zu haben, wo sie doch die ganze Republik verzweifelt sucht? Wobei man die nachhaltige Wirkung des Delmenhorster Engagements nicht unterschätzen sollte. Denn ein erfolgreiches Vorbild ist die beste Ermutigung für einen Widerstand auch an anderer Stelle. Wichtiger noch: Riegers Chancen, willige Anbieter von geräumigen Immobilien aufzutun, werden sinken. Denn selbst skrupellose Spekulanten dürfte ein internationales Presse-Echo abschrecken, wie es die Delmenhorst-Pläne des Unverbesserlichen hervorgerufen haben – dank der Initiative. Nicht, weil sie dadurch ihr Gewissen entdecken würden. Sondern weil es extrem geschäftsschädigend ist, als gewissenlos gebrandmarkt zu sein. BENNO SCHIRRMEISTER