piwik no script img

Archiv-Artikel

Süße Verführung

Die Bären des rumänischen Stramba-Tals sind eine touristische Attraktion. Das Touristenabenteuer kostet 35 Euro pro Person, allerdings ohne Erfolgsgarantie. Auf Lauer auf dem Bärenhochstand

Als Dessert eine Mischung aus Getreide, Früchten und Schokolade

VON BARBARA OERTEL

Im Schritttempo kriecht der Kleinbus über den holprigen Waldweg. Gerade ist Andrei Ciocan zugestiegen. Der 41-Jährige ist Förster und somit Herr und Gebieter über das 150 Quadratkilometer große Areal, das Valea Stramba, rund 30 Kilometer entfernt von der siebenbürgischen Kleinstadt Zarnesti. Bevölkert von Hirschen, Rotwild, Wildschweinen und Braunbären war dieser Ort schon zu kommunistischen Zeiten ein traditioneller Jagdplatz, wo sich auch Rumäniens wahnwitziger Diktator Nicolae Ceaușescu gerne austobte. Andrei Ciocan, seit 22 Jahren im Dienst, schmunzelt, als er erzählt, wie er seinerzeit die Tiere ausfindig und Ceaușescu vor den Gewehrlauf treiben musste.

Mehr als 30 Prozent der europäischen Braunbärenpopulation ist heute in Rumänien beheimatet. Im Stramba-Tal leben 26 bis 28 Bären. Einige davon sollen heute Abend beobachtet werden. Das Touristenabenteuer kostet 35 Euro pro Person, allerdings ohne Erfolgsgarantie. Die letzten Meter bis zu dem Bärenhochstand geht es zu Fuß weiter. Plötzlich kniet sich der Förster hin, vor sich Abdrücke von Bärentatzen in dem morastigen Waldboden. „Ganz frisch“, murmelt er, „die sind höchstens ein bis zwei Stunden alt.“ Die Spannung steigt. Ciocan bedeutet den Anwesenden leise zu sein und mahnt zur Eile. Es gilt, vor Einbruch der Dämmerung auf dem Hochstand einzutreffen. „Die Bären sind extrem scheu. Wenn sie Menschen riechen, meiden sie diesen Ort“, sagt er.

Kurze Zeit später haben alle im Hochstand ihre Plätze hinter einer Glasscheibe eingenommen. Sie gibt den Blick frei auf eine Lichtung mit drei Trögen. Diese füllt Ciocan jeden Tag zur gleichen Zeit. In der Hauptsache ernähren sich die Bären von Wurzeln, Ameisen, Früchten, Gras und Tannenspitzen. Ab und zu gönnen sie sich auch ein Schaf. „Wenn sie hierher kommen, sind sie schon satt. Das ist nur das Dessert“, sagt Ciocan.

Das Dessert wiegt 15 Kilo und kann sich sehen lassen: eine Mischung aus Getreide, Früchten und – der Renner bei den Jungbären – Bruchschokolade. Es ist jetzt angerichtet und alle starren gebannt auf die Lichtung. 20 Minuten später lässt sich der erste Bär blicken. Es ist, wie Ciocan sofort feststellt, der jüngste der Gattung, der Schokoladenfan. Etwas zögerlich nährt er sich dem Trog, lüpft mit der Tatze den Deckel und versinkt kopfüber bis zur Hälfte in dem großen Holzgefäß. „Die Jungen kommen immer zuerst und immer fressen höchstens zwei gemeinsam“, sagt Ciocan. Dabei gebe es aber eine feste Hierarchie. Sobald ältere Bären auftauchten, müssten die jüngeren die Tröge räumen.

Der Förster kennt jeden Bären ganz genau. Auch nach so vielen Dienstjahren scheint für ihn die Beobachtung der Tiere nichts von ihrer Faszination eingebüßt zu haben. „Jeder hat seinen eigenen Charakter“, sagt Ciocan. Der eine nähert sich der Futterstelle von rechts, der andere von links und guckt sich dabei mehrmals um.“ Zudem seien die Bären sehr intelligent und entwickelten eine richtige Jagdstrategie. Einer lenke die Hunde der Schäfer ab, der andere hole sich derweil das Schaf. Beeindruckend sei auch, wie eine Bärenmutter ihrem Jungen beibringe, auf einen Baum zu klettern. „Sie hebt es hoch und schlägt es dann immer wieder mit der Tatze herunter“, sagt Ciocan.

Obgleich er ein bekennender Liebhaber der Jagd ist, findet es der Förster gut und sinnvoll, jetzt vor allem mit der Beobachtung von Tieren Geld zu verdienen. Früher sei man in Rumänien zu einseitig auf die Jagd fixiert gewesen. Gejagt werden kann auch heute noch. Vor allem Ausländer interessieren sich für diese spezielle Art der Freizeitgestaltung zum Preis von 7.000 bis 8.000 Euro – eine Summe, die die gesamte Organisation der Jagd nebst Aufbereitung des Felles umfasst. Derzeit werden in der Valea Stramba zwei Bären im Jahr zum Abschuss freigegeben.

A propos Ausländer: Kann Andrei Ciocan die deutsche Hysterie um den Bären Bruno verstehen? „Nicht der Bär siedelt im Habitat des Menschen, sondern es ist der Mensch, der dort eindringt“, sagt der Förster. Es gebe nur wenige Situationen, in denen Bären einen Menschen angreifen: Wenn der Bär verletzt ist, beim Fressen gestört wird oder eine Bärin mit ihren Jungen unterwegs ist. Auch in Rumänien habe es Begegnungen mit tragischem Ausgang gegeben. Ein Pilzsammler, der einen Bären überraschte, wurde skalpiert.

Die Ausdauer im Hochstand wird an diesem Abend noch einmal belohnt. Das zweite Objekt der Begierde hat den Weg auf den Futterplatz gefunden. Misstrauisch prüft der Bär den Inhalt des ersten Troges. Offensichtlich schmeckt ihm nicht, was er vorfindet. Dafür ist der zweite Trog ein Volltreffer. Es muss wohl an der Schokolade liegen.