: In den Klauen des Drachen
von FRANÇOIS MISSER
Von Europa aus gesehen ist Afrika ein Kontinent der Krisen und Gefahren. Für China ist Afrika eine Region der Chancen und Herausforderungen, Lager gigantischer Rohstoffvorkommen und potenzieller Markt für Exportgüter.
Der chinesisch-afrikanische Handel hat sich seit 1999 verzwanzigfacht, von 2 Milliarden auf 40 Milliarden Dollar – die Hälfte des Handelsvolumens zwischen Afrika und der EU, das sich eigentlich als privilegierter Partner des Nachbarkontinents sieht. Allein 2005 betrug die Steigerungsrate des chinesisch-afrikanischen Handels 72 Prozent.
China engagiert sich in Afrika vor allem in der Ölförderung – derzeit ist es hinter den USA der zweitgrößte Ölimporteur der Welt. Der rapide steigende chinesische Ölverbrauch ist ein Motor für das weltweite Steigen der Ölpreise, das wiederum unerschlossene afrikanische Reserven interessant macht. Allein in Nigeria, Afrikas größtem Ölförderland, investiert China derzeit 4 Milliarden US-Dollar in den Neubau einer Ölraffinerie, im Tausch gegen vier Ölkonzessionen der staatlichen chinesischen Ölfirma CNOOC (China National Offshore Oil Corporation). Wichtigster Öllieferant Chinas ist allerdings Angola, das vor kurzem Saudi-Arabien überholte: Hier hat die chinesische Eximbank der Regierung eine Kreditlinie von 3 Milliarden Dollar gewährt. Damit soll die für das gesamte südliche Afrika wichtige Eisenbahnlinie von Benguela saniert werden, die in den Kongo mit seinen gigantischen Mineralienvorkommen führt, und der Rest der von drei Jahrzehnten Bürgerkrieg zerstörten Infrastruktur dieses schnell wachsenden Ölförderlandes.
Auch im Sudan ist die staatliche chinesische Ölgesellschaft CNPC (Chinese National Petroleum Corporation) der größte ausländische Investor. 85 Prozent der Ölexporte des Bürgerkriegslandes gehen nach China – ein Zehntel des chinesischen Ölkonsums. Darüber hinaus sind die Chinesen von Marokko über Mauretanien bis nach Kenia an der Ölsuche beteiligt.
Politische Instabilität schreckt China dabei nicht ab. Nachdem Kongos Präsident Joseph Kabila 2005 Peking besuchte, stieg die chinesische Bergbaufirma Cobec in die Kupfer- und Kobaltminen der Provinz Katanga ein, und das Unternehmen Wambao Resources baute eine Erzveredelungsfabrik mit einer Kapazität von jährlich 4.000 Tonnen. Eine wichtige Straße im Herzen des kongolesischen Bergbaureviers, um die sich die reichsten Mineralienvorkommen ganz Afrikas gruppieren, wird mit chinesischem Geld renoviert, und chinesische Kleinhändler stecken tief im Geschäft mit den kongolesischen Kleinschürfern in den Minen Katangas.
„Die Chinesen sind Rohstoffjunkies geworden“, sagt ein Fachmann. In vielen Ländern Afrikas kaufen sie heruntergekommene Industriebetriebe auf und bauen dafür Prestigeprojekte: Stadien, moderne Wohnsiedlungen. Inzwischen steht China an dritter Stelle der Auslandsinvestoren in ganz Afrika.
Geschäfte in solchen Dimensionen haben politische Konsequenzen. Die höchsten Politiker der Volksrepublik geben sich in Afrika die Klinke in die Hand und schmieden Allianzen. Im Pentagon sorgt man sich bereits um die kommende Rivalität zwischen China und den USA auf einem Kontinent, der auch für die USA als Öllieferant immer wichtiger wird: Für Washington ist der westafrikanische Ölgürtel von Nigeria bis Angola von strategischem Interesse. Für China ist Afrika noch wichtiger: Die USA beziehen von dem Kontinent 10 Prozent ihres Öls – die Chinesen ein Viertel.
Für afrikanische Autokraten ist China ein bequemer Partner, denn als einzige politische Bedingung fordert Peking die Nichtanerkennung Taiwans. In den Konditionen von IWF und Weltbank hingegen stehen Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten. Die dauerhaft hohen Wachstumsraten Chinas, die hohen Spar- und Investitionsquoten der chinesischen Volkswirtschaft, gekoppelt mit autoritärer Modernisierung im Schnelldurchlauf, sind für afrikanische Autokraten daher ein viel attraktiveres Wirtschaftsmodell als Europa.
Kein Geringerer als Jeffrey Sachs, UN-Sonderbeauftragte für die Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut bis 2015, pries kürzlich China als Vorbild für Afrika auf der Suche nach Auswegen aus der Verarmung: „Chinas Technologie und Investitionen und seine jüngsten Erfahrungen würden in Afrika einen großen Unterschied machen“, sagte der US-amerikanische Ökonom Mitte August in Peking und verwies auf chinesische Bewässerungstechniken im Reisanbau, die Ausrottung der Malaria in weiten Teilen Chinas und die Eindämmung des Bevölkerungswachstums als positive Beispiele.
Der Einfluss der multilateralen Geldgeber in Afrika nimmt daher rapide ab. Angolas Präsident Eduardo dos Santos, dessen Land dieses Jahr aufgrund der Ölförderung mit einer prognostizierten Wachstumsrate von 26 Prozent an der Spitze des Kontinents steht, kann es sich leisten, IWF-Kredite oder ausländische Hilfe zur Wahlvorbereitung ganz abzulehnen, und auch, nicht auf Geberkonferenzen der Weltbank zu warten, bevor er mit chinesischen Milliarden um sich wirft. Die Weltbank verlangt von Angola Transparenz in der Verwendung der Ölgelder. Stattdessen verpfändet Angola lieber seine zukünftigen Öleinnahmen und verzichtet auf eine Umschuldung.
Chinas Drang nach Afrika hat noch andere politische Schattenseiten. Das rasche Wachstum chinesischer Rüstungsexporte nach Afrika macht Menschenrechtlern weltweit Sorgen, ebenso die Präsenz von fast 900 chinesischen Soldaten auf dem Kontinent im Rahmen von Ausbildermissionen.
In vielen afrikanischen Ländern wächst außerdem der Unmut gegen China, dessen Firmen schlechte Arbeitsbedingungen bieten und dessen Geschäftsleute skrupellos die einheimische Kleinindustrie verdrängen. Die Zeiten, als Chinesen in Afrika vor allem Straßen, Schulen und Krankenhäuser bauten, sind lange vorbei. China baut Staudämme wie Mpanda Úncua in Mosambik für 2,3 Milliarden Dollar – ohne Umweltstudien. Afrikas größtes Wasserkraftwerk, Inga am Unterlauf des Kongo-Flusses, könnte ebenfalls mit chinesischem Geld saniert werden.
Nicht alle Afrikaner sind von all dem begeistert. Die angolanische Zeitung Agora kritisiert, dass chinesische Firmen ihre Arbeitskräfte selbst mitbringen, statt Angolaner einzustellen – sogar chinesische Häftlinge kommen in Angola zum Arbeitseinsatz. Dass Chinas Einfluss Regime wie Sudan und Simbabwe bestärkt, kritisiert neben Europäern und Amerikanern auch die lokale Opposition. Von Südafrika bis Senegal klagen Unternehmerverbände über chinesische Billigkonkurrenz auf den Märkten.
Aus Sicht der italienischen Zeitschrift Nigrizia breiten sich mit dem chinesischen Geld auch chinesische Mafia-Gruppen, sogenannte Triaden, über Afrika aus, im Handel mit Waffen, Drogen und Menschen. Ihr wichtigstes Aktionsfeld sei, schreibt die katholische Zeitschrift in einer Sondernummer zum Thema, die südafrikanische Provinz Gauteng, also der Großraum Johannesburg, wo die Triade „San Yee“ aus Hongkong besonders aktiv sei. Im Kongo schmuggeln Kleinhändler mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen Erze aus Katanga. Belgien, das gemeinsam mit Ländern wie Großbritannien den kriminellen Rohstoffhandel im Kongo unter Kontrolle bringen will, schlug China jüngst vergeblich vor, ein Zertifizierungssystem mit staatlichen Herkunftsnachweisen für Kongos Mineralienexporte zu unterstützen, wie es bereits für Diamanten gilt.
Der chinesische Rohstoffhunger hat aber auch andere wirtschaftliche Konsequenzen. Rohstoffverarbeitende Unternehmen aus aller Welt ziehen nach Afrika, um von dort aus den chinesischen Markt zu erobern. So plant der australische Bergbauriese BHP Billiton den Bau einer 2,5 Milliarden Dollar teuren Aluminiumschmelze im Kongo, die mit Strom aus dem Wasserkraftwerk Inga betrieben werden könnte. Der brasilianische Stahlriese CVRD (Companhia do Vale do Rio Doce) hält in Angola für zwei Drittel der Fläche Deutschlands Bergbaukonzessionen für Eisen, Kalium, Diamanten, Nickel und Gold – erhoffter Abnehmer ist China.
Und auch aus Asien bekommt China in Afrika Konkurrenz: vor allem aus Japan und Indien. Vergangenes Jahr lud die indische Industrie- und Handelskammer Minister und Unternehmen aus 13 Ländern Afrikas zu einer Großkonferenz, auf der unter anderem Kongos Vizepräsident Jean-Pierre Bemba mit dem indischen Stahlmagnaten Mittal Steel über gemeinsame Investitionsprojekte sprach – die Eisenminen von Banalia im Ostkongo, für deren Ausbeutung ein Eisenbahnnetz nötig wäre. Und indische Ölfirmen sind im Sudan und Gabun aktiv. Noch bevor die befürchtete Rivalität zwischen China und „dem Westen“ Afrika zerreißt, tobt auf dem Kontinent bereits ein heftiger Kampf zwischen den neuen Schwellenländern.