: Neue Trockenheit im Amazonasgebiet
Dürre beschleunigt Waldsterben am Amazonas. Forscher berechnen Schwellenwert für beschleunigten Klimawandel
BERLIN taz ■ Der Countdown für das Amazonasgebiet läuft: Sobald die Hälfte des Regenwaldes zerstört ist, droht der globalen Klimapumpe des brasilianischen Regenwalds die Puste auszugehen. Das zeigt eine Computersimulation von US-Forschern am Woods Hole Research Institute in Massachusetts. Diese Grenze ist bald erreicht: Bisher ist ein Fünftel des Waldes abgeholzt, weitere 22 Prozent sind durch Holzeinschlag geschädigt.
Waldforscher und Naturschützer sind alarmiert. Denn eine weitere Rekordtrockenzeit droht das Amazonasgebiet weiter zu schwächen. „Vor allem im Zentrum und im Süden Brasiliens ist es für die Jahreszeit zu trocken“, sagt Gustavo Wachtel, Berater der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) für Schutzgebiete im Amazonasraum. Die Flusspegel einiger Zuflüsse des Amazonas würden noch rascher und früher als im vergangenen Jahr sinken. Damals waren Tausende von Siedlungen von der Außenwelt abgeschnitten, weil viele Flüsse nach ungewöhnlich langer Trockenheit nicht mehr befahrbar waren. Millionen Fische starben, Satellitenbilder zeigten Zehntausende von Waldbränden. Dabei ist es in großen Teilen des Amazonasbeckens normal, dass in der zweiten Jahreshälfte über mehrere Monate kein Niederschlag fällt. Die Regenwaldvegetation zehrt in dieser Zeit von im Boden gespeichertem Wasser. Offenbar werden die Niederschlagsverhältnisse aber zunehmend durch die Entwaldung und globale Erwärmung gestört.
„Die Entwaldung im Amazonasgebiet hat eine kritische Grenze erreicht“, sagt Daniel Nepstad vom Woods Hole Research Institut. Er fürchtet, dass die neue Amazonas-Dürre dort die Versteppung beschleunigt. Sein Institut hat die zerstörerischen Auswirkungen immer wiederkehrender Dürren für den Regenwald in einem Großexperiment wissenschaftlich nachgewiesen: Einen Hektar Regenwald haben die Forscher mit Plastikfolien abgedeckt, um so eine Dürre zu simulieren. Ergebnis: Nach zwei Jahren hörten die Bäume wegen der Trockenheit auf zu wachsen, nach drei Jahren starben die ersten Exemplare. Zuerst fielen die großen Bäume, die den übrigen Bestand beschädigten und so das Ökosystem für Erosion, Feuer und andere Gefahren empfindlicher machten.
Die Folgen der weiteren Regenwaldzerstörung werden auch das weltweite Klima beeinflussen. Denn mit dem Regenwald verschwindet ein wichtiger Kohlendioxid-Speicher. Die Vegetation des Amazonasbeckens speichert das Mehrfache der jährlich vom Menschen verursachten CO2-Emissionen. Würde das Treibhausgas freigesetzt, würde sich das Weltklima weiter erwärmen. Gleichzeitig sinkt die Fähigkeit des Regenwaldes, große Mengen Wasser verdunsten zu lassen. Die Regenwolken aus dem Amazonasgebieten tragen bislang zur Abkühlung der Ozeane bei. Würde dieses Zusammenspiel gestört, würden die Meerestemperaturen steigen und starke Hurrikane weiter zunehmen.
JENS WIETING